Der "Johannes als Mensch" habe ganz klar gesagt, das "ist ein Blödsinn, ein Scheiß, das darf man nicht machen, davor muss man andere warnen", so Dürr. Auf der anderen Seite sei der Leistungssportler Johannes Dürr gewesen, der gesagt habe: "Das gehört dazu."

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Innsbruck/Wien – Johannes Dürr hat in einem weiteren ARD-Interview Erklärungsversuche für seine erneuten Doping-Vergehen abgegeben. "2014 bin ich durch den positiven Dopingtest kurz vor meiner Blütezeit aus dem Leistungssport herausgerissen worden, damit konnte ich nicht umgehen. Nach meiner Sperre wollte ich noch mal zeigen, was in mir steckt, deshalb habe ich mir nach 2014 wieder Blut abnehmen lassen", so Dürr, der berichtet, dass er auch an eine Übernahme der Geschäfte des deutschen Arztes Mark S. gedacht habe.

Leistungssportler und Mensch

Es sei ein ständiges Ringen mit sich selbst gewesen. Doch Dürr führte weiterhin ein Doppelleben, das ihn innerlich zerriss. "Da waren zwei Persönlichkeiten in mir. Nicht schizophren, aber da war der Leistungssportler Johannes und der Mensch Johannes", sagte der 31-Jährige im Interview mit der ARD-Dopingredaktion.

Der "Johannes als Mensch" habe ganz klar gesagt, das "ist ein Blödsinn, ein Scheiß, das darf man nicht machen, davor muss man andere warnen", so Dürr. Auf der anderen Seite sei der Leistungssportler Johannes Dürr gewesen, der gesagt habe: "Das gehört dazu. Wenn du Leistungen bringen willst, dann musst du es machen." Diese zweite Welt, die parallel im Dunklen verlaufe, habe an ihm genagt. Leider habe er den Kampf verloren, sagte er im Beisein seines Anwalts am Mittwochabend zur ARD.

Dürr hatte nach seinem EPO-Dopingvergehen bei Olympia 2014 bis zuletzt während eines Comebackversuchs inklusive Buch- und ARD-Dokumentationsprojekten über seinen angeblich sauberen Weges zurück weiter Blutdoping betrieben, wie er gegenüber der im Seefelder Skandal ermittelnden Behörden am Dienstag zugegeben hatte. Er sei überfordert gewesen, so der Niederösterreicher. "Ich dachte, das kann einfach nicht wahr sein. Ich konnte es nicht glauben. Ich habe versucht, es einzuordnen, aber ich habe es nicht einordnen können", sagte Dürr. "Ich habe das nicht verarbeiten können, bis heute nicht. Dann ist noch dazugekommen, dass ich ja noch eine Leiche im Keller habe, und ich wusste nicht: Kommt es jetzt, oder kommt es nicht?"

Übernahme-Gespräche mit Mark S.

Dürr gibt an, dass er bereits während seiner zweijährigen EPO-Dopingsperre von 2014 bis 2016 an der Fortführung seine Betruges gearbeitet habe. 2015 habe er neue Blutkonserven in Erfurt deponiert. Als der als mutmaßlicher Haupttäter des Dopingnetzwerk geltende deutsche Arzt Mark S. überlegt habe, mit den Blutdopingpraktiken aufzuhören, habe er sogar daran gedacht dessen Geschäfte zu übernehmen. "Ich war davon überzeugt, dass es ohne Doping nicht geht. Und wenn Mark es jetzt nicht an mich, sondern an jemand anderen übergibt, habe ich keinen Zugang mehr. Das ging so weit, dass Mark S. sich zurückziehen wollte und ich mit ihm diskutiert habe, es selbst weiterzumachen, den Kühlschrank zu besorgen, der dann aber in Erfurt gelandet ist."

Durch den Dopingfall seines Freundes Harald Wurm 2016 habe zumindest für einige Zeit ein Umdenken eingesetzt. "Da ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen, dass es so nicht weitergehen kann und weitergehen darf. Ich war ja in einer Phase, in der ich versucht habe, mein Leben neu aufzubauen. Dieser Knall war da einfach zu groß, da habe ich gesagt, so kann es nicht weitergehen", sagte Dürr über sein "Lügenkonstrukt".

"Schon fast draußen aus dem Sumpf"

Im Sommer 2018 sei schließlich S. an ihn herangetreten, das in Erfurt lagernde Blut wieder zurückzuführen, ohne dafür Geld zu verlangen, behauptet Dürr. "Plötzlich, Mitte Juni, kommt ein Anruf, deutsche Nummer, da war es der Mark. Er sagte, 'Geld kann ich dir keines geben, aber ich unterstütze dich bei deinem Projekt auf meine Art und Weise'", so Dürr. Nach kurzem Zögern habe er zugestimmt. "Ich hatte geglaubt, ich bin schon fast draußen aus dem Sumpf. Aber ich steckte noch bis zu den Knöcheln drin. Bei seinem nächsten Anruf, wo er mich noch mal daran erinnert hat, da bin ich schwach geworden."

Große Enttäuschung in Göstling

In der Heimatgemeinde von Johannes Dürr ist die Enttäuschung über den gefallenen Kronzeugen riesig. Bürgermeister Friedrich Fahrnberger dachte schon darüber nach, Dürrs Bild aus der Heldengalerie am Rathaus von Göstling zu entfernen. "Für uns ist das eigentlich niederschmetternd", sagte das Gemeinde-Oberhaupt dem ORF.

Bis zuletzt betrieb der Whistleblower wieder Blutdoping – mit Hilfe des Erfurter Arztes Mark S., der erst durch Dürrs Aussagen erst verhaftet werden konnte. Dürr wurde zum Täter, die Staatsanwaltschaft prüft eine Anklage. Das Geld aus dem Crowdfunding-Projekt will er aber nicht für das Eigenblutdoping genutzt haben. Laut Dürr erhielt S. für drei Blutrückführungen im zweiten Halbjahr 2018 keine finanzielle Gegenleistung.

Festnahme als Erleichterung

Dürr war am Dienstag in Innsbruck festgenommen und einen Tag später wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Die Festnahme sei für ihn eine Erleichterung gewesen, erklärte Dürr, "als ich den Haftbefehl auf dem Tisch liegen sah, war ich tatsächlich froh." Er sei "ganz sicher nicht Opfer. Ich bin definitiv einfach Täter, von dem System, das mich nicht losgelassen hat." Dürr versicherte, keine weiteren Doping-Geheimnisse zu haben.

Wie viel ist ein Whistleblower wert, der nach Strich und Faden betrügt? Für die Familie alles. Vater Franz Dürr hält weiter zu seinem Sohn. "Er soll hören, dass sein Papa hinter ihm steht, das ist mir wichtig", sagte der einzige Schmied in der 2000-Seelen-Gemeinde Göstling noe.at. Er selbst wäre nie auf den Gedanken gekommen, "dass da etwas nicht in Ordnung ist".

Rat des Vaters ignoriert

Der Vater verriet, dass er in den vergangenen Monaten wenig Kontakt zu seinem Sohn hatte. Am Dienstag, dem Tag der Inhaftierung durch die Staatsanwaltschaft Innsbruck, habe er dessen Freundin eine SMS geschickt und gedacht, Johannes brauche jetzt Unterstützung. Das Doping sei ihm schon immer ein Greuel gewesen. Vor vielen Jahren, als Johannes gerade mit dem Langlaufen begann, habe er ihm gesagt: "Hanni, bevor du zu dopen beginnst, hörst du besser auf."

Doch "Hanni" hörte nicht auf den Vater und ging beharrlich seinen Weg. Für andere Sportler undenkbar und ärgerlich. Vor allem für die Biathleten, die nach dem Doping-Skandal von Seefeld nun bei ihrer WM im schwedischen Östersund ständig auf das Thema angesprochen werden. "Er ist für mich ganz klar ein Täter", sagte der deutsche Biathlon-Olympiasieger Arnd Peiffer der FAZ.

Peiffer widerspricht Dürrs These, dass gute Leistungen im Hochleistungssport nur durch Doping möglich seien. "Ich kann nur für mich sprechen, aber im Biathlon feiern wir Deutsche hier und da ja Erfolge, also ist es möglich", sagte der 31-jährige Deutsche. (APA, sid, 7.3.2019)