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"Wir erleben eine Krise des gesamten Parteiensystems", sagt Hvorecký, "man sieht das bei der blitzschnell umgebauten ÖVP oder eben bei uns, bei der korrupten Smer-Sozialdemokratie in der Slowakei."

Foto: Picturedesk / Jozef Jakubèo

In seinem jüngsten Roman Troll beschreibt Michal Hvorecký eine düstere Zukunftsvision: Die EU gibt es nicht mehr, die osteuropäischen Staaten sind von einer fremden Macht, dem "Reich", besetzt (womit zweifellos Russland gemeint ist), und die Wirklichkeit wird von Fake News bestimmt, die in Trollfabriken am Laufband erzeugt werden. Von dort werden Hass und Lüge verbreitet, die – wie früher im Sozialistischen Realismus – das Denken der Menschen gefügig machen.

Fragt man Michal Hvorecký nach seiner persönlichen Sicht der Zukunft, wie er sich Europa in fünfzig Jahren vorstellt, erhält man eine überraschend optimistische Antwort, wenn auch als Wunsch formuliert: "Hoffentlich wird Frieden herrschen." Und natürlich soll es ein solidarisches Europa sein, in dem jeder die gleichen Chancen hat. Auch wenn es im Augenblick nicht danach aussieht, ist Hvorecký überzeugt: "Wir Europäer werden diese Zukunft gemeinsam gestalten."

Missverständnisse und schmerzliche Lektionen

Woher kommt diese Zuversicht? Da entwirft ein junger Autor eine Dystopie, die einem Angst machen kann, vor allem weil die darin beschriebene Manipulation der Gesellschaft die Wirklichkeit bereits eingeholt hat, und gleichzeitig blickt er in eine politische Zukunft, in der alles besser würde. Vielleicht liegt das daran, dass er noch zu gut in Erinnerung hat, was es bedeutete, in Bratislava direkt hinter dem Eisernen Vorhang aufzuwachsen.

Lange Zeit war Österreich für ihn und seine Familie ein Sperrgebiet gewesen. Obwohl nur einen Katzensprung von Wien entfernt, hätte seine Mutter nie zu träumen gewagt, einmal diese Stadt zu besuchen. 1989 war Michal gerade einmal dreizehn, aber so weit politisiert, dass er wusste: "Die Revolution war die Rettung meines Lebens." Die Wende habe ihm die Welt geöffnet.

"Im Dezember 1989 stand ich völlig perplex vor der Hofburg, als wäre ich gerade aus einem Traum erwacht, und fragte mich: Bin ich tatsächlich in Wien? Ist das möglich?" Schnell hat er auch die andere Seite begriffen: "Wien war von einer Chimäre zu einem Zerrspiegel Bratislavas geworden. Viele dachten damals, der Kapitalismus sieht ungefähr so aus wie die Mariahilfer Straße."

Das Missverständnis vom schönen Leben im Westen hat im Osten bald zu Fehlentwicklungen geführt. In der Slowakei machten sich Rechtspopulisten ans Werk. Die Privatisierung rief neoliberale Oligarchen auf den Plan, der Staat wurde zum Selbstbedienungsladen, Korruptionsaffären, zum Teil bis heute nicht aufgearbeitet, haben das Land nicht nur innenpolitisch destabilisiert, sondern auch wirtschaftlich kaputtgemacht, regionale Ungleichheit und Massenemigration waren die Folge.

So wie überall im Osten traten Enttäuschung und Ernüchterung ein, verbunden mit schmerzlichen Lektionen in Demokratie, die bis heute andauern.

Künstler als Feinde der Nation

Wie schnell wieder alles kippen kann, erlebt Hvorecký, wenn er in Bratislava auf die Straße geht, um gegen die Machtstrukturen einer korrupten Regierung zu demonstrieren. Wer sich Protestbewegungen anschließt, wird schnell zum Landesverräter. Krawallmacher und Unruhestifter, so hat Ex-Premier Fico, der 2018 zurücktreten musste, Hvorecký genannt.

Aber solche Anwürfe ist der Aktivist bereits gewöhnt. "Wir wurden auch schon als 'dreckige Huren' bezeichnet. Das ist nichts Neues, denn schon zu sozialistischen Zeiten galten die Künstler als Feinde der Nation, das haben die Rechten von heute eins zu eins übernommen. Viele slowakische Politiker bezeichnen uns ja abwertend als 'Kaffeehaus Bratislava', soll heißen: Die Intellektuellen sitzen nur rum, arbeiten nicht und bereiten den Umsturz vor."

Den geistigen Umsturz – bis hin zum propagierten slowakischen EU-Austritt haben freilich andere, Rechts- wie Linkspopulisten, erfolgreich erprobt. Das Schema ist das gleiche: "Russland wird als großer Freund und slawischer Bruder dargestellt, Putin als herausragender, verlässlicher Staatsmann."

Das kommt bei immer mehr jungen Menschen an. Eigentlich, sagt Hovorecký, befindet sich ganz Europa mitten im Informationskrieg. "Früher hieß es: Der Sieger schreibt die Geschichte. Heute wird Geschichte geschrieben, um zu siegen."

Beachtlicher Widerstandswille

Das ist auch das Thema seines Romans Troll, und vieles darin ist nicht einmal ein Vorausblick in eine düstere Zukunft: Die Trollfabriken gibt es längst, man weiß, wo sie stehen und wie sehr die Propagandamaschine mit Geheimdiensten zusammenarbeitet, die slowakischen Trolle sind sogar stolz darauf, direkt von Russland bezahlt zu werden. "Als ich 2015 angefangen habe, an dem Buch zu schreiben, dachte ich, dies sei eine Zukunftsvision. Inzwischen liegt die Handlung leider sehr nah an der Wirklichkeit."

Ob Migranten, Homosexuelle, Roma oder George Soros – Feindbilder sind die Quintessenz von Trolling. Besonders bei Soros funktioniere das gut, verkörpere er doch Judentum, Reichtum, Amerika und offene Gesellschaft in einem – "ein idealer Sündenbock Osteuropas", sagt Hvorecký. Aber was heißt Osteuropa? Die Anti-Soros-Trolle sitzen auch in Österreich, und einige bekleiden hohe politische Funktionen.

"Wir erleben insgesamt eine Krise des gesamten Parteiensystems", sagt Hvorecký, "man sieht das etwa bei der blitzschnell umgebauten ÖVP oder eben bei uns, bei der korrupten Smer-Sozialdemokratie in der Slowakei. Da kassieren skrupellose regierungsnahe Oligarchen EU-Fördergelder. Hier geht es um Geschäfte, nicht um Ideologie."

Da wie dort bedeutet das Fehlen zukunftsorientierter politischer Ideen und Visionen eine Gefahr für die Demokratie, wobei sich die slowakische Gesellschaft immerhin durch einen beachtlichen Widerstandswillen auszeichnet. Nach dem Mord an dem slowakischen Journalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten kam es zu heftigen Bürgerprotesten, die schließlich den Rücktritt des Premierministers erzwangen. Am System selbst hat sich nichts geändert.

Unsagbares heute sagbar

Ob er nicht Angst um seine Person, seine Familie habe? Vor einem Jahr, sagt Hvorecký, hätte er die Frage noch klar mit Nein beantwortet. "Aber letztes Jahr wurde viel Unsagbares sagbar gemacht und viel Undenkbares Realität." Dennoch werde er weiter auf die Straße gehen und Stellung beziehen, etwa als kürzlich eine Diskussion geführt wurde, ob der katholischen Kirche ein automatisches Begutachtungsrecht für Gesetzesentwürfe zugestanden werden soll. "Das ist verfassungswidrig!", sagt Hvorecký, es untergrabe das säkulare Europa. Und betont noch einmal: "Es liegt an uns, wie Europa künftig sein wird."

Dann geht es nicht zuletzt darum, ob Europa als kulturelle Idee überleben wird. Als Hvorecký vergangenen Herbst im ORF gefragt wurde, was er gerne wäre, antwortete er spontan: Bibliothekar in Melk!

Im Gespräch jetzt erklärt er, warum: Nicht nur, weil Melk der Ausgangs- und Endpunkt von Ecos Name der Rose und für ihn eine der schönsten Bibliotheken der Welt ist und er Bibliotheken grundsätzlich liebt – er selbst arbeitet in Bratislava in der einzigen deutschsprachigen Bibliothek, im Goethe-Institut, sondern auch, weil Bibliotheken im Kampf gegen Fake News und manipulierte Meldungen viel besser gerüstet sind.

Und dann ist noch der Glaube an die Macht der Literatur. Die, sagt Hvorecký, kann "immer noch enorm viel bewirken". Dagegen ist Trolling armselig. (Gerhard Zeillinger, 9.3.2019)