Studierende ließen sich durch längere Ferien nicht vom Protestieren abhalten.

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Die Massenproteste gegen die umstrittene Präsidentschaftskandidatur von Algeriens Staatschef Abdelaziz Bouteflika erhalten weiteren Zulauf. Auch am Freitag zogen landesweit wieder mehrere Millionen Menschen durch die Straßen und forderten den 82-Jährigen zum Rückzug seiner grotesken Kandidatur für die Wahl im April auf. Erstmals kam es bei den Demonstrationen im Stadtzentrum von Algier zu ernsthafteren Zusammenstößen zwischen Einsatzkräften der Polizei und protestierenden Jugendlichen, bei denen nach Angaben der nationalen Polizeibehörde DGSN fast 200 Menschen verhaftet und 112 Beamte verletzt wurden.

In anderen Landesteilen blieben die Proteste abermals friedlich. In der Küstenstadt Annaba im Osten Algeriens zogen zehntausende Menschen lautstark, ausgelassen und von den herumstehenden Sicherheitskräften unbehelligt durch die Innenstadt und machten klar, was sie von der Kandidatur des seit zwei Wochen in einem Schweizer Krankenhaus weilenden Staatschefs halten. Noch am Sonntag sollte Bouteflika nach Algerien zurückkehren.

Fünftägiger Generalstreik

Am Wochenende wurde landesweit mobilisiert. Das Hochschulministerium hatte am Vortag die für den 21. März geplanten Frühlingsferien an den Universitäten um zwei Wochen verlängert und deren Beginn auf Sonntag vorgezogen und hoffte offenbar, damit den seit Wochen an den Hochschulen lancierten Großprotesten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ohne Erfolg. Nur Stunden später riefen Studentenverbände dazu auf, am Sonntag vor den Sitz des Hochschulministeriums in Algier zu ziehen und Universitäten und Studentenheime zu besetzen. Schon am Morgen versammelten sich landesweit Studenten und Schüler und skandierten Parolen gegen Bouteflika und sein angezähltes Regime.

Seit Tagen kursierende Aufrufe zu einem fünftägigen Generalstreik setzen die regierenden Elite zusätzlich unter Druck. Auch wenn sich bisher nur einige wenige Gewerkschaften offiziell den Streikaufrufen angeschlossen hatten, blieben am Sonntag in vielen Städten die Geschäfte geschlossen. Vor allem in der Berberregion Kabylei östlich von Algier erlebten die Appelle jedoch signifikante Resonanz.

Politische Übergangsphase gefordert

Wie es politisch weitergeht, bleibt unklar. Während Bouteflikas Unterstützerfront weiter in sich zusammenfällt, fordern immer mehr Oppositionskräfte eine Wahlverschiebung und eine politische Übergangsphase. Wie diese aussehen wird, dürfte sich kommende Woche herausstellen. Denn bis Donnerstag muss der mit der Begutachtung der Bewerbungen für die Präsidentschaftswahl beauftragte Verfassungsrat seine Entscheidungen bekanntgeben. Eine nicht unwahrscheinliche und für die hinter Bouteflika stehenden Eliten partiell gesichtswahrende Lösung wäre es, wenn der Rat Bouteflikas Bewerbung schlichtweg ablehnt.

Sollten die verbliebenen Kandidaten danach ihre Papiere zurückziehen, wäre der Weg frei für einen sanften Neustart innerhalb geltender Rechtsnormen. Wenn Bouteflikas Amtszeit Ende April offiziell endet, würde der Präsident des Oberhauses des algerischen Parlaments, Abdelkader Bensaleh, interimsmäßig die Staatsführung übernehmen und müsste Neuwahlen ansetzen. Fraglich bleibt, ob sich die Opposition und die Straße mit einer solchen sanften Lösung zufriedengeben oder weiter zu Protesten aufrufen würden. Ein direktes Eingreifen der Armee wäre mit dieser Lösung jedoch vorerst aufgeschoben. (Philip Sofian Naceur aus Annaba, 10.3.2019)