Die Frisur hält, die Lieder stehen dem in nichts nach: Dagobert, der große Balladensänger.

Foto: Max Zerrahn

Dagobert ist von jener Sorte Dandy, die man um neun Uhr früh anrufen kann, weil sie dann nicht etwa gerade vom Ausschweifen nach Hause gekommen, sondern schon wieder aufgestanden sind. Nicht nur das Ausschweifen braucht Disziplin, sondern auch die Disziplin benötigt Selbstbeherrschung. Gleich einmal stehen geschäftliche Termine an. Die einzig mondänen Geräusche, die man beim Interview hören wird, sind deshalb Löffelklirren (wohl eher Tee als Absinth) und das Klicken eines Feuerzeugs.

Dagobert bildet seit seinem 2013 beim Buback-Label des deutschen Künstlers Daniel Richter erschienenen Debüt und wunderbar herzzerreißenden Liedern wie Morgens um halb Vier eine Ausnahmeerscheinung im deutschsprachigen Pop. Die Markenzeichen: ein wirklich sehr breiter Schweizerdeutscher Akzent und eine zünftig im Bereich der halben Wahrheit entworfene Biografie.

Von Trauerflor umrandet

Vom armen und in der jahrelangen Isolation einer Almhütte lebenden Lukas Jäger, der 1982 im eidgenössischen Aargau geboren wurde, um dann später als "Schnulzensänger aus den Bergen" nach Berlin zu ziehen und dort die Musikwelt zu erobern, war da die Rede. Dazu schleppte sich die Musik, mit Trauerflor umrandet und großen Gesten, die an die Stummfilmära erinnern (Bela Lugosi ist eines der Idole von Dagobert), zum Lachen in den Keller von Nick Cave.

DAGOBERT

Der hat dort eine Jukebox stehen, in der sich nicht nur Singles von Leonard Cohen oder Roy Orbison finden. Auch Experten des tragödischen deutschen Schlagers der 1970er-Jahre warten dort auf ihren grammelnden Einsatz. Christian Anders und dessen aus dem ganzen Kuchlradioschrott herausragende Monumente der deutschsprachigen Popmusik wie Geh Nicht Vorbei oder 6 Uhr Früh in den Straßen hallen wieder im Werk Dagoberts; auch noch im zeitweilig durchaus moderner als zuvor arrangierten neuen Werk.

Ein Hauch von Ironie

Allerdings meint Dagobert im Interview streng: "Ich höre diese Vergleiche andauernd, aber mit Schlager habe ich nichts am Hut! Ich würde mich hassen, wenn ich Schlager machen würde. Diese ganze Szene widert mich an. Wenn Sie sagen, dass das ja nur ein anderes Wort für deutschsprachige Popmusik ist, kann ich nur feststellen, dass ich auch Popmusik so gut wie gar nicht höre." Dagobert weiter: "Mir geht es um Einfachheit und Klarheit. Ich möchte dahinkommen, wo ein Hank Williams gewesen ist. Simple Texte, die einem zu Herzen gehen und trotzdem wehtun."

Der 1953 an einer Überdosis verstorbene US-Countrysänger Hank Williams (I‘ll Never Get Out of This World Alive) kommt als von Dagobert ins Spiel gebrachte Referenzgröße ebenso überraschend daher wie ausgerechnet der alte irre Düsseldorfer Gründerzeit-Punk Tommi Stumpff vom KFC (Kriminalitätsförderungs-Club). Möglicherweise versteckt sich hinter Dagoberts blauäugiger bis bierernster Fassade also doch zumindest ein Hauch Ironie.

Nach Afrika von 2015 liegt nun mit Welt ohne Zeit allerdings eine dritte Arbeit vor, in der sich bei allem sturen Beharren Dagoberts eine musikalische Handschrift herauszuschälen beginnt, die sich in einer langen historischen Linie von Musik im Zeichen des "Happy to be sad" wiederfindet.

Paradoxes Glücksgefühl

Dagobert singt in der pathetischen, dennoch zurückgenommenen Todesballade Der Geist die schönen Zeilen: "Dir geht‘s genauso wie mir/ Niemand teilt mit dir das Leben/ Du bist allein/ Und so wird es auch bleiben/ Du wirst für immer leiden/ Ein Leben voller Einsamkeit liegt vor dir." Das paradoxe Glücksgefühl, das sich mitunter einstellt, wenn man traurig ist, mag Dagobert selbstverständlich nicht gelten lassen: "Davon höre ich zum ersten Mal!"

Künstlerisches Alleinstellungsmerkmal als symbolisches Kapital. Wir sehen: Der Reiz von Gesprächen mit Künstlern, die grundsätzlich alle Vergleiche mit irgendetwas auch nur irgendwie Vergleichbarem ablehnen, ist in der Geschichte des Pop nach wie vor ungebrochen.

DAGOBERT

Die musikalische Feinarbeit, ab sofort auf dem Label Staatsakt von Maurice Summen erscheinend (Ja, Panik, Die Türen, Christiane Rösinger...), erledigt neben Multiinstrumentalist Konrad Betcher, der teilweise auch die neuen Songs geschrieben hat, wie bei Dagoberts Vorgängeralben wiederum Markus Ganter. Der Produzent war unter anderem schon für Sizarr, die frühere Band von Jüngstötter, oder Casper, Drangsal und Tocotronic (Das Rote Album) tätig. Von nichts kommt nichts.

Mit leichtem Gepäck

Trotz einiger hörbarer Einflüsse aus dem Pop der immergrünen 1980er-Jahre (The Cure, New Order, Depeche Mode) möchte Dagobert mit diesem Verweis ebensowenig zu tun haben wie mit Dagobert Duck. Der Kurzgeschichte Die Welt ohne Zeit aus Walt Disneys Lustiges Taschenbuch Nr. 125 – Entführt! ist übrigens der aktuelle Albumtitel Welt ohne Zeit entlehnt. Dem steht Dagobert distanziert gegenüber: "Ich weiß nicht, ob die Donald-Duck-Hefte für mich prägend waren. Ich habe die meisten inzwischen auch an meine Neffen verschenkt."

Mit viel Gepäck reist der Schweizer ohnehin nicht durch die Welt. Er lebt, ohne künstlerische Zugeständnisse gemacht zu haben und in Zukunft machen zu wollen, in Berlin seit Jahren meist auf der Couch von FreundInnen. Er braucht nicht viel. Vom Sofa fleht leise ein Gesang herüber: "All die Probleme entstehen/ Weil Menschen sich niemals zufriedengeben." (Christian Schachinger, 12.3.2019)