Alkoholfasten ist grundsätzlich eine gute Sache. Allerdings sollten es das ganze Jahr über promillefreie Phasen geben, empfehlen Mediziner.

Foto: Getty Images/iStockphoto

Herr und Frau Österreicher trinken viel zu viel Alkohol. Das ist amtlich. Aktuelle Zahlen attestieren sogar einen unrühmlichen Platz an der Weltspitze der Trinker. Nur in Deutschland, Frankreich, Irland und Russland wird noch mehr Promillehaltiges gezecht. Das ist bedenklich, wie der Neurologe Stefan Kiechl von der Medizinischen Universität Innsbruck erklärt: "Die Anzahl disziplinierter Alkoholkonsumenten ist hierzulande sehr gering. Das hat zahlreiche gesundheitliche Probleme zur Folge."

Daher ist eine sechswöchige Fastenzeit, wie sie sich derzeit viele selbst auferlegen, zwar zu begrüßen. Doch langfristig raten Experten zu einem insgesamt bewussteren Konsum. Die Statistiken, die Kiechl dazu parat hat, sind alarmierend. 90 Prozent aller Österreicherinnen und Österreicher trinken. Und zwar durchschnittlich pro Jahr 14 Liter reinen Alkohol. Männer sind deutlich konsumfreudiger und kommen auf rund 20 Liter reinen Alkohol, Frauen durchschnittlich auf zehn. In Europa, so eine aktuelle Studie, die Kiechl zitiert, haben sogar 30 Prozent aller Todesfälle von Menschen im Alter zwischen 15 und 45 Jahren mit Alkoholkonsum zu tun.

Doch von Einsicht ist trotz dieser Zahlen wenig zu bemerken. Denn gerade in Zusammenhang mit Alkohol klaffen Eigen- und Fremdwahrnehmung der Konsumenten weit auseinander. Mehrere Untersuchungen haben gezeigt, dass der Selbstkonsum krass unterschätzt wird. Und zwar um durchschnittlich 50 Prozent. "Es gibt dazu sehr valide Daten", sagt Kiechl. So wurden nicht nur Personen direkt befragt und gebeten, am Ende der Woche die leeren Flaschen zu zählen, sondern man hat sogar schon ganze Länder dahingehend untersucht. So wurden die Angaben der Befragten mit den Steuereinnahmen aus dem Alkoholverkauf abgeglichen. Das Ergebnis war immer ungefähr dasselbe. Der tatsächliche Konsum ist doppelt so hoch wie der angenommene.

Abstrakte Grenzwerte

Dass Alkohol das Urteilsvermögen einschränkt, ist eine von vielen negativen Auswirkungen, die das giftige Lösungsmittel auf den menschlichen Körper hat. Und wie sooft gilt, die Dosis macht das Gift. Doch die offiziell geltenden Grenzwerte sind letztlich nichts anderes als Empfehlungen und zu abstrakt, um sie im Alltag wirklich anzuwenden. So lautet die aktuell von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) definierte Grenze für einen unbedenklichen Konsum maximal 100 Gramm reinen Alkohol pro Woche. "Darunter kann man sich nur schwer etwas vorstellen", räumt auch Kiechl ein. Umgemünzt auf Getränke würde dieser Grenzwert circa einem Achterl Wein pro Tag entsprechen.

Wobei Männer und Frauen Alkohol unterschiedlich gut vertragen. Das hat nichts mit Vorurteilen, sondern mit Biologie und Chemie zu tun. Frauen haben in der Regel weniger Körpermasse. Folglich dauert es für sie länger, Alkohol abzubauen. Nicht nur das Geschlecht, auch die Herkunft spielt eine Rolle bei der Verträglichkeit.

So führen Forscher das Alkoholverbot im muslimischen Glauben auf evolutionäre Ursachen zurück, wie Kiechl erklärt: "Es sind bestimmte Enzyme im Körper, die für den Abbau von Alkohol verantwortlich sind. Die arbeiten bei Europäern sehr effektiv. Bei Menschen, die aus dem Mittleren und Nahen Osten stammen, sind genau diese Enzyme aber weniger aktiv." Das bedeutet, dass die Betreffenden Alkohol langsamer abbauen und er seine toxische Wirkung im Körper länger entfalten kann. Wissenschaftler glauben, dass diese erblich bedingte Unverträglichkeit letztlich Niederschlag im Koran gefunden hat, wo Alkoholkonsum verpönt ist.

Kleine Mengen sind gesund

Neue Forschungen attestieren dem Alkohol aber auch gesundheitsfördernde Wirkung. Wobei Kiechl in dem Zusammenhang darauf verweist, dass es auf die Dosis, Frequenz und Qualität ankommt. Doch geringe Mengen – also das empfohlene Achterl am Tag – können sich vor allem bei Gefäßerkrankungen positiv auswirken. "Bei ischämischen Schlaganfällen, die mit rund 90 Prozent den Großteil dieser Erkrankungen ausmachen, ist das sehr gut belegt", bestätigt Kiechl.

Auch bei Diabetes-Typ-2 und Demenz können kleine Mengen Alkohol positive Wirkungen zeitigen. Wobei hier Vorsicht geboten ist wie der Experte erklärt. Denn Alkohol ist nicht gleich Alkohol: "Nicht nur Ethanol selbst ist für die Wirkung wichtig, es geht um den Mix aus Inhaltsstoffen." Als die gesundheitlich empfehlenswerteste Form gilt der Rotwein. Die darin enthaltenen Phenole, Tannine und Catechine können entzündungshemmend wirken.

Umgekehrt verhält es sich mit harten Alkoholika. Selbst in kleinen, wie von der WHO empfohlenen Dosen genossen hat etwa Schnaps keinerlei gesundheitsfördernde Wirkung. Trotz gewisser positiver Effekte bei Kleinstmengen warnt der Experte davor, Alkohol gemeinhin als Medizin zu betrachten. Er verdeutlicht die Gefahr eines übermäßigen Konsums anhand eines anschaulichen Beispieles: "Wer eine Flasche Wein pro Tag trinkt geht damit ein höheres Gesundheitsrisiko ein als ein Kettenraucher." (Steffen Arora, 12.3.2019)