Moskau – Fünf Monat nach einem Eklat um angebliche sexuelle Belästigung hat der ehemalige Chefredakteur der russischen Webseite "Meduza" seinen Job zurück. Das gab die Gründerin der Seite, die für ihre unabhängige Berichterstattung bekannt ist, am Montag bekannt. Iwan Kolpakow war vorgeworfen worden, bei einer Feier die Frau eines Kollegen belästigt zu haben.

Gründerin Galina Timtschenko sagte, sie habe sich dafür entschieden, Kolpakow seine Stelle als Chefredakteur zurückzugeben. Sie kenne niemand anderen, der "besser mit den neuen Aufgaben und Herausforderungen umgehen" könne. Bei einer Party im vergangenen Oktober soll Kolpakow betrunken gewesen sein und die Frau eines Kollegen in den Hintern gekniffen haben. "Meduza" selbst berichtete damals, er habe zu ihr gesagt, sie sei "die einzige auf dieser Party, die ich belästigen kann, ohne dass mir etwas passiert." Kolpakow wies die Vorwürfe zurück.

Der Fall ist deshalb bemerkenswert, weil sexuelle Belästigung von Frauen in Russland so gut wie nicht thematisiert wird. Die #MeToo-Bewegung hat dort kaum Zustimmung gefunden, es gibt auch keine Gesetze, die Frauen vor derartigen Übergriffen schützt. Umso ungewöhnlicher war, wie "Meduza" mit dem Vorfall umging: Die Redaktion hatte die Vorwürfe früh publik gemacht, Kolpakow wurde zunächst suspendiert. Als er auf Geheiß des Aufsichtsrats sein Amt als Chefredakteur wieder aufnehmen sollte, war der Protest im Unternehmen so groß, dass er ganz abtrat.

Um unzensiert über Russland zu berichten, war die "Meduza"-Redaktion vor einigen Jahren nach Lettland umgezogen. In ihrer Berichterstattung thematisiert sie immer wieder Belästigungsfälle und Gewalt gegen Frauen. (APA/AFP, 11.3.2019)