Mit dem Wort "zeitlos" hat Matthias Stotz ein Problem. "Denn wenn die Uhr die Zeit 'los' ist", erklärt er, "erfüllt sie ihre Funktion nicht mehr." Einem Uhrmacher nimmt man so eine Aussage sofort ab. Aber dem Chef von Junghans? Da klingt es ein wenig nach Koketterie. Stotz ist tatsächlich beides: Uhrmachermeister und Geschäftsführer der Uhrenfabrik Junghans. In dieser Funktion stört ihn das Attribut "zeitlos" keineswegs. Schon gar nicht wenn die Rede von einer deutschen Uhrenikone ist, dem Modell "Max Bill". Stammt dieser Klassiker des Uhrendesigns doch aus seinem Haus.

Wer sich mit Uhren auseinandersetzt, kommt an der "Max Bill" nicht vorbei. Schon gar nicht heuer, wo das Thema Bauhaus quasi an jeder Ecke lauert. Gilt doch der vom Bauhaus-Schüler, Künstler und Architekten Max Bill entworfene Zeitmesser gemeinhin als das, was eine Bauhaus- gar die "deutsche" Uhr ausmacht: Sie ist perfekt ablesbar und auf das Wesentliche reduziert.

Ihr Ursprung war eine Küchenuhr. Die sollte der Schweizer Bill gemeinsam mit seinen Studenten im Auftrag von Junghans 1956 entwerfen. Man folgte dem Leitsatz "form follows function", einer Grundtugend der Bauhaus-Schule. "Bill wollte auf keinen Fall 'Saisonblümchen', wie er es nannte, entwerfen, er wollte keiner Mode folgen", ergänzt Stotz.

Ursprung der erfolgreichen "Max Bill"-Uhren von Junghans: eine Küchenuhr.
Foto: Junghans

Essenzielles bleibt

Also räumte Max Bill auf und ließ nur das übrig, was für eine Uhr essenziell ist: Die Balken der Minutenskala sind gut sichtbar voneinander getrennt. Gegliedert wird sie durch etwas längere Striche für die Stunden, die außerdem durch arabische Ziffern gekennzeichnet sind. Die Ziffern lehnen sich an Typen der modernen Druckgrafik an und geben bei aller Nüchternheit ein unverwechselbares Bild. Das Küchenuhrenzifferblatt findet sich ab 1961 auf den "Max Bill-"Armbanduhren wieder.

Wäre der Wiederaufstieg von Junghans ohne diese Kollektion genauso gut gelungen? "Junghans hat von Anfang an unterschiedliche Designrichtungen verfolgt. Das heißt: Junghans wäre auch ohne Max Bill erfolgreich", hält Stotz fest. Ob der Erfolg genauso so groß wäre, liegt im Bereich des Hypothetischen. "Dass sich das Thema klassische Uhr und Bauhaus so gut entwickelt, konnte noch im Jahr 2005 niemand voraussagen." Es sei letztendlich eine glückliche Fügung gewesen, einen solchen Designklassiker im Haus zu haben: Gutes Design trifft auf Zeitgeist.

Junghans feiert "100 Jahre Bauhaus" mit einer speziellen "Max Bill".
Foto: Junghans

Wesentlich mitgetragen hat diese Entwicklung eine Marke, die kurz nach der Wende auf den Plan trat und sich seither zum führenden Hersteller mechanischer Uhren in Deutschland gemausert hat – inklusive eigener Werke: Nomos Glashütte. Dort hat man Bauhaus, Werkbund und Minimalismus mit der Muttermilch aufgesogen (ebenso wie gutes Marketing). Nicht zufällig ist Nomos Mitglied des Deutschen Werkbunds, einer Vorläuferbewegung des Bauhauses und der Ulmer Schule. All das spiegelt sich im Antlitz der "Tangente" wider, jener Ur-Uhr, die den gesamten Spirit der Manufaktur beinhaltet und bis heute ihr Bestseller ist: ein Zeitmesser, geradlinig und ausgewogen, klar und schlicht, ein Klassiker.

Nein, meint Thomas Höhnel, Nomos sei ohne Bauhaus nicht denkbar. "Wir berufen uns auf Grundwerte, die aus dem Bauhaus kommen: Sachlichkeit, Einfachheit, hohe Ansprüche an die Qualität, gute Form."

Der Absolvent der Berliner Kunstuni arbeitet bei Berlinerblau, der Berliner Designabteilung von Nomos. Er hat die "Ahoi" entworfen, die sportliche Schwester der Tangente. "Eine Uhr, die nach diesen Kriterien gestaltet ist, sagt: Ich bin funktional, ich bin ein Messgerät, mir geht es nicht um Luxus und Status. Sie transportiert den Wunsch nach Grundwerten wie Langlebigkeit und Zurückhaltung."

Nomos Glashütte widmet dem Bauhaus eine Sonderedition.
Foto: Nomos Glashütte

Bei der Sonderedition der "Tangente", die Nomos zum Hunderter des Bauhauses aufgelegt hat, folgen die Zeiger einem farbigen Ring, der das Grundprinzip der Uhr sichtbar macht: Die Zeit beschreibt einen Kreis. Mehr nicht. Uwe Ahrendt, CEO der Manufaktur, erklärt selbstbewusst: "Wir machen Zeitmesser, wie sie Bauhäusler von heute zeichnen und tragen würden." Denn wie diese damals konzentriere man sich auch heute aufs Wesentliche, lasse Verzichtbares weg und sei in der Essenz dessen, was bleibt, extrem pingelig.

Durchaus eifersüchtig wird über das Bauhaus-Erbe gewacht. Das zeigte eine Auseinandersetzung zwischen Nomos und der Uhrenmarke Stowa. Die Glashütter waren der Meinung, dass die alteingesessene Uhrenmarke aus dem Schwarzwald, Gründungsjahr 1927, zu tief in ihr Revier eingedrungen sei. Konkret stieß ihnen das Modell "Antea" sauer auf, das starke Ähnlichkeit mit der "Tangente" aufweist. Stowa hat das Modell 2004 auf den Markt gebracht. Das heißt: wieder auf den Markt gebracht.

Tatsächlich stammt das Design der "Antea" aus den 1930er-Jahren, wie Jörg Schauer, Eigentümer von Stowa, erzählt: "Zifferblätter wie diese gab es damals bei verschiedenen Marken, unter anderem bei Lange in Glashütte, 1937." Das konkrete Zifferblattdesign im sogenannten Bauhausstil – damals radikal neu – stammte von Weber & Baral aus Pforzheim. "Das war zu dieser Zeit der größte Zifferblatthersteller der Welt. Lange kaufte dort ebenso ein wie Stowa." So viel zum Thema Legitimation.

Interessant ist dabei die Tatsache, dass die Gestaltung einer Uhr kaum inhouse passierte, man kaufte das Design zu. Damals war es auch nicht üblich sich einen namhaften Designer zu engagieren, anders als heute. Während sich Nomos Mark Braun oder Werner Aisslinger ins Boot holte, setzte sich Jörg Schauer mit Hartmut Esslinger zusammen.

Hartmut Esslinger hat die "Antea back to bauhaus" für Stowa entworfen.
Foto: Stowa

Retrofalle

Der Gründer von Frog Design und frühe Apple-Designpionier gestaltete 2015 die "Antea back to bauhaus". Vorgabe: eine coole Interpretation des originalen Designs. Das Edelstahlgehäuse beließ er.

Dem Zifferblatt verpasste er mit der Bauhaus STD Type einen moderneren Touch. Herbert Bayer, Lehrer am Bauhaus, hatte diese Schrift zwischen 1925 und 1928 entworfen. 1975 entwickelten Ed Benguit und Victor Caruso die Schrift in unterschiedlichen Schnitten weiter. Esslinger hat demnach auf etwas zurückgegriffen, dass es bereits gab, das aber auch heute immer noch frisch und modern wirkt.

Das scheint das Geheimnis der Bauhaus-Uhren zu sein: Sie gehen immer, machen immer eine gute Figur. Sie sind simpel genug für den Alltagsgebrauch, können aber auch – dank ihres eleganten Designs – bei formalen Anlässen getragen werden. Die Frage ist: Wie lange kann man das Thema noch strapazieren?

Jörg Schauer warnt in diesem Zusammenhang vor der Retrofalle, die es zu vermeiden gelte. In die tappe man leicht, wenn man sich nur auf das eigene Archiv verlasse. Matthias Stotz wiederum sagt: "Das Entscheidende am Bauhaus ist die Haltung, nämlich Kunst und Handwerk zu verschmelzen. Man soll den Gedanken weiterleben und nicht zu Tode zitieren." (Markus Böhm, RONDO, 16.5.2019)