Anderer Meinung sein als Haftgrund? Demonstranten drohen im Jänner 2018 dem Innenminister der damals neuen Regierung Wickel an.

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In Österreich kann niemand willkürlich verhaftet werden. Noch. Das Bundesverfassungsgesetz über den Schutz der persönlichen Freiheit stellt fest: "Niemand darf aus anderen als den in diesem Bundesverfassungsgesetz genannten Gründen oder auf eine andere als die gesetzlich vorgeschriebene Weise festgenommen oder angehalten werden." Diese Verfassungsbarriere soll gemeinsam mit Artikel 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention verhindern, dass eine Regierungsmehrheit neue Haftgründe erfindet – und dann willkürlich verhaften lässt. Dieser Damm hat gehalten. Jetzt hat er einen tiefen Riss bekommen.

Das Argument ist straßentauglich: Wir können Österreich nur dann vor kriminellen Asylwerbern schützen, wenn wir sie vorsorglich einsperren. Und: Artikel 8 der Aufnahmerichtlinie der EU gibt uns den passenden Haftgrund: "nationale Sicherheit" und "öffentliche Ordnung". Dieser Haftgrund, so behauptet der Innenminister, sei im Gegensatz zu vielen anderen EU-Staaten von Österreich noch nicht umgesetzt. Herbert Kickls Behauptung ist falsch. Schon 2018 ist der Paragraf 76 Absatz 2 Ziffer 1 des Fremdenpolizeigesetzes genau um diesen Haftgrund erweitert worden.

Das liest sich jetzt im Gesetz so: "Die Schubhaft darf nur angeordnet werden", wenn "dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß Paragraf 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist".

Behördenversagen

Aber warum verlangt der Innenminister eine Gesetzesänderung, die es längst gibt? Warum braucht er plötzlich eine Oppositionspartei für eine Verfassungsmehrheit?

Dafür gibt es zwei Gründe. Zum Ersten will Kickl davon ablenken, dass seine Behörden im Fall "Dornbirn" versagt haben. Hätten sie gegen den Serientäter wegen der Gefährdung der öffentlichen Ordnung sofort Schubhaft verhängt, wäre der Dornbirner Amtsleiter noch am Leben. Für seinen vermeidbaren Tod trägt der Innenminister die politische Verantwortung. Zum Zweiten wäre Kickl nicht er selbst, wenn er seine Krise nicht zu einem Angriff nützen würde. Sein Angriffsziel ist das Bundesverfassungsgesetz über den Schutz der persönlichen Freiheit. Dort soll endlich der Haftgrund "Gefährdung der öffentlichen Ordnung" durch Asylwerber hinein.

Aber genau den gibt es ja bereits. Also macht eine Verankerung dieses Haftgrundes in der Verfassung nur dann einen Sinn, wenn er dort nicht auf eine bestimmte Personengruppe wie etwa Asylwerber eingeschränkt werden soll – und aufgrund des Diskriminierungsverbots des Artikels 14 Europäische Menschenrechtskonvention auch nicht in der Verfassung eingeschränkt werden darf.

Schutzniveau sinkt

Der neue Haftgrund kommt so einfach zu den anderen hinzu. Die Störung der "öffentlichen Ordnung" steht dann gleichberechtigt neben U-Haft und Schubhaft. Erst dann kann die neue Verfassungsbestimmung nach freier politischer Wahl einfachgesetzlich umgesetzt werden. Einfache Regierungsmehrheiten beschließen, wer in Schutzhaft genommen werden kann: heute einzelne Asylwerber, morgen Fußballfans, übermorgen Tierschützer, und bald darauf die, die gegen die Regierung auf die Straße gehen und die öffentliche Regierungsordnung stören.

Die einzige Barriere, die es dann noch gegen Missbrauch gibt, sind die Ehrenwörter von Sebastian Kurz und Herbert Kickl, den neuen Haftgrund nicht zu missbrauchen. Auch Regierungsfreunde werden zugestehen, dass das Schutzniveau damit deutlich sinkt.

Rote Linie

Aber was ist die "öffentliche Ordnung", und wer stört sie? Ein Haftgrund dürfte Kickls ÖVP-Staatssekretärin in der ORF-Pressestunde einfach herausgerutscht sein: "wenn jemand durch besondere Gewaltbereitschaft auch in der Kommunikation mit Behörden auftritt". Anderer Meinung sein und die lautstark und vielleicht sogar auf unhöfliche Art vertreten. Schutzhaft für "deppert reden".

Die Schutzhaft war eines der Markenzeichen des Regimes Dollfuß. Bis vor kurzem glaubte kaum jemand, dass die ÖVP hier rückfällig werden könnte. Das ist vorbei. Kurz ist der erste ÖVP-Obmann, der vielleicht schon bald die rote Linie zur Schutzhaft des Ständestaats überschreitet.

Hochsicherheit statt Freiheit

Eine Zeugin hat im BVT-U-Ausschuss geschildert, wie Rechtsblöcke die Macht übernehmen: "Wenn sie an die Macht kommen, dann hängen sie als Erstes die Staatspolizei auf, und als Nächstes kommt die Justiz dran." Der Umbau des BVT zu einer FPÖ-Stasi hat längst begonnen. Die Justiz ist unter Druck. Und jetzt geht es um die Ermächtigung, vorbeugend verhaften zu können.

Der Weg aus Rechtsstaat, Demokratie und offener Gesellschaft wird auch jetzt in kleinen Schritten gegangen. Aber die Schritte werden immer größer. Es ist ein Weg raus aus Europa und ab nach Visegrád. Raus aus der Charta der Grundrechte und rein in erste Ausnahmezustände. Hochsicherheit statt Freiheit. Im Osten freuen sich Orbán & Co auf ihren ersten Partner aus dem Westen. Aber vielleicht ist da noch jemand in der ÖVP. Hallo, ist da wer? (Peter Pilz, 12.3.2019)