Sozialministerin Beate Hartinger-Klein hat sich mit der Regierungsspitze auf einen finalen Entwurf bei der Sozialhilfe geeinigt. Am Mittwoch passiert er den Ministerrat.

Foto: apa

Wien – An Kritik mangelte es nicht. Mehr als tausend Seiten an Stellungnahmen trudelten auf den ersten Entwurf der türkis-blauen Regierung zur Reform der Mindestsicherung, die künftig wieder Sozialhilfe heißen wird, ein. Der überwiegende Teil fiel negativ aus. In den vergangenen Wochen wurden die Einwände gesichtet. Allzu viel geändert wurde aber nicht. Heute Mittwoch wurde der leicht modifizierte Entwurf im Ministerrat beschlossen.

Änderungen gibt es vor allem in drei Bereichen:

  • Behinderte: Für Behinderte ist eine um 18 Prozent höhere Leistung vorgesehen. Laut dem neuen Entwurf müssen die Länder, die für die Sozialhilfe zuständig sind, diesen Bonus auch gewähren. In der ursprünglichen Version war noch eine Kann-Bestimmung vorgesehen. Sofern es in den Ländern noch zusätzliche Leistungen für Behinderte gibt, dürfen diese ebenfalls weiterhin gewährt werden. Eine Deckelung der Geldleistung ist bei dieser Gruppe nicht vorgesehen. Klargestellt wird auch: Behinderte, die in (betreuten) Wohngemeinschaften leben, haben vollen Anspruch.

  • Exhäftlinge: Das Justizministerium las den Erstenentwurf dahingehend, dass Exhäftlinge nach ihrer Enthaftung keinen Anspruch auf die volle Sozialhilfe gehabt hätten, und befürchtete deshalb eine steigende Rückfälligkeit. Das sei nur ein Missverständnis gewesen, heißt es. Nun wird präzisiert, dass Exhäftlinge bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen ganz normal Anspruch auf die Unterstützung haben.

  • Lehre: Wer eine Lehre begonnen hat und Sozialhilfe bezieht, ist immer von der Vermittelbarkeit am Arbeitsmarkt ausgenommen. Ursprünglich sollte das nur für unter 18-Jährige gelten, was für Kritik der Wirtschaftskammer gesorgt hatte.

An den zentralen Eckpunkten wird trotz zahlreicher verfassungsrechtlicher Bedenken hingegen festgehalten.

  • Degressives Modell: Die Leistung für Einzelpersonen richtet sich wie bisher nach der Ausgleichszulage (zuletzt 863 Euro). Die Zuschläge für Kinder sinken rasch ab. Für das erste gibt es noch 25 Prozent, für das zweite nur noch 15 und ab dem dritten nur noch fünf Prozent. Dieses stark degressive Modell wurde von zahlreichen Experten als möglicherweise verfassungswidrig, weil unverhältnismäßig, bezeichnet.

  • Alleinerzieher: Bei Alleinerziehern können die Länder (sie müssen aber nicht) einen Bonus gewähren – 100 Euro für das erste, 75 Euro für das zweite und 50 Euro für das dritte Kind.

  • Sprachdefizite: Wer nicht ausreichend Deutsch oder Englisch spricht, bekommt um 300 Euro weniger. Erst wenn ein vom Integrationsfonds zertifizierter Sprachkurs positiv absolviert wurde, gibt es die volle Leistung. Das trifft vor allem Asylberechtigte, weshalb ebenfalls Bedenken hinsichtlich einer möglichen Gleichheitswidrigkeit vorgebracht wurden.

  • Wohnen: Sofern die Länder das wollen, dürfen sie in Regionen mit hohen Mieten eine um bis zu 30 Prozent höhere Leistung gewähren. Bei "Härtefällen" darf sogar darüber hinausgegangen werden. Größere Familien in teuren Gegenden können also auch in Zukunft mehr als 2.000 Euro im Monat bekommen – exklusive Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag.

In der Begutachtung hatten dennoch zahlreiche NGOs, kirchennahe Einrichtungen und Wissenschafter vor Kürzungen bei den Kinderzuschlägen und einem steigenden Armutsrisiko gewarnt. Die Regierung sieht die Reform hingegen als Schritt in Richtung mehr Gerechtigkeit im Vergleich zu Geringverdienern.

Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) erklärte nach dem Ministerrat, das nun beschlossene Modell sei "besonders wichtig auch im Sinne von sozialer Fairness". Die "gewisse Bringschuld" von Migranten für ihre Integration am Arbeitsmarkt solle mit den neuen Regeln unterstützt werden.

Besonders hervorgehoben wurde vom FPÖ-Chef der Bonus für Alleinerziehende und der jetzt doch verpflichtende Zuschlag für Menschen mit Behinderung. Diese Besserstellungen seien den Blauen ein Anliegen, erklärte Strache, denn: "Das sind Menschen, die es verdient haben."

Einsparungspotenzial unbekannt

Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) sprach nach dem Ministerrat von einer "harmonisierten, fairen und effizienten Lösung". Wie hoch die zu erwartenden Einsparungen sein werden, könne sie derzeit "noch nicht sagen", das hänge von den Ausführungsgesetzen der Länder ab.

Ihr Entwurf soll "zeitnah", voraussichtlich im Mai, den Nationalrat passieren. Bis Jahresende müssten die Länder Ausführungsgesetze beschließen. Bis 1. Juni 2021 soll es einen Übergangszeitraum geben. Wien hat bereits damit gedroht, die Vorgaben nicht umsetzen zu wollen und den Verfassungsgerichtshof anzurufen. Dazu erklärte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) knapp: "Ich gehe nicht davon aus, dass Bundesländer vorhaben, gegen die Verfassung zu verstoßen." (Günther Oswald, 12.3.2019)