Feinstaub entsteht durch Massentierhaltung, Verkehr, Landwirtschaft, Kraftwerke, Fabriken und Heizungen.

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Vor zwei Monaten haben deutsche Lungenfachärzte für Aufsehen gesorgt. Sie forderten eine kritische Überprüfung der Auswirkungen von Feinstaub auf die Gesundheit. In einer Stellungnahme äußerte eine Gruppe von mehr als hundert Medizinern erhebliche Zweifel an den vorherrschenden Grenzwerten. Der damals federführende Arzt Dieter Köhler behauptete: "Es gibt keine wissenschaftliche Begründung für die aktuellen Grenzwerte, sie sind völliger Unsinn."

Österreichische Lungenfachärzte haben dieser Aussage vehement widersprochen und umgehend eine Reihe von Studien zitiert. Nun gibt es eine brandneue wissenschaftliche Arbeit, die aufs Neue zeigt: Luftschadstoffe führen zu mehr vorzeitigen Todesfällen als das Rauchen. Die aktuelle Studie, durchgeführt von Mainzer Wissenschaftern, hat ergeben, dass vor allem mit Feinstaub belastete Luft weltweit 8,8 Millionen Sterbefälle pro Jahr verursacht. Das Team um den Atmosphärenforscher Jos Lelieveld und den Kardiologen Thomas Münzel hat die Forschungsarbeit nun im "European Heart Journal" veröffentlicht.

Etwa 120 Menschen pro 100.000 Einwohner sterben demnach weltweit jährlich vorzeitig an den Folgen verschmutzter Luft, in Europa etwa 133. In Deutschland sind es den vorgestellten Daten zufolge sogar 154 je 100.000 Einwohner jährlich – mehr als etwa in Polen, Italien oder Frankreich. Im Vergleich dazu werde die Zahl der auf das Rauchen zurückgehenden Todesfälle – inklusive des Passivrauchens – von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf global 7,2 Millionen jährlich geschätzt, so die Forscher. Ein Mensch könne sich allerdings entscheiden, nicht zu rauchen – der Luftverschmutzung aber könne er nicht ausweichen, so die Forscher.

Statistische Unsicherheiten

Allein in Europa kommen den Berechnungen zufolge jährlich knapp 800.000 Menschen wegen den Folgen von Luftverschmutzung vorzeitig ums Leben – deutlich mehr als früheren Untersuchungen zufolge. Die Todesfälle gehen demnach vor allem auf Herzkreislauf- sowie Atemwegserkrankungen zurück. Die Forscher geben allerdings selbst zu bedenken, dass ihre Hochrechnung mit statistischen Unsicherheiten verbunden ist, der tatsächliche Effekt der Luftverschmutzung könne daher sowohl unter als auch über den errechneten Werten liegen.

Berechnungen wie die nun vorgestellte, wurden vor allem in der Debatte um Stickoxide und Fahrverbote in Städten zuletzt immer wieder kritisiert. Letztlich handle es sich bei solchen epidemiologischen Studien um eine statistische Abschätzung, hatte das deutsche Umweltbundesamt klargestellt. "Die so ermittelten Zahlen sind als Indikatoren für den Gesundheitszustand der Gesamtbevölkerung zu sehen", hieß es. Es handle sich dabei nicht um klinisch identifizierbare Todesfälle, die auf einen bestimmten Luftschadstoff zurückgeführt werden können. Als exakter als die Zahl der vorzeitigen Todesfälle gilt in der Forschung die Zahl der verlorenen Lebensjahre durch einen Risikofaktor.

Schlechte Luft gehört jedenfalls zu den bedeutendsten Gesundheitsrisiken neben Bluthochdruck, Diabetes, Übergewicht und Rauchen, wie das Team um Lelieveld, Direktor am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz, und Münzel, Direktor des Zentrums für Kardiologie der Universitätsmedizin Mainz, erläutert. Durch die Luftverschmutzung werde die durchschnittliche Lebenserwartung von Europäern um rund zwei Jahre verringert.

Grenzwert zu hoch

Als Hauptursache für Atemwegs- und Herzkreislauf-Erkrankungen machen die Forscher kleinste Feinstaubteilchen mit einem Durchmesser von weniger als 2,5 Mikrometer (PM 2,5) aus. Angesichts der Studienergebnisse sei der europäische PM-2,5-Grenzwert für Feinstaub mit einem Jahresdurchschnitt von 25 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft viel zu hoch, betonte Münzel. Feinstaub entsteht durch Massentierhaltung, den Verkehr, die Landwirtschaft, durch Kraftwerke, Fabriken und Heizungen. Bei Feinstaub aus dem Verkehr spielen neben dem Verbrennungsprozess in Motoren auch der Reifenabrieb und aufgewirbelter Staub eine Rolle.

Die Mainzer Wissenschafter hatten frühere eigene Berechnungen sowie die der weltweiten Gesundheitsstudie "Global Burden of Disease" von 2015 neu analysiert. Dank des Projekts "Global Exposure Mortality Model" (GEMM) habe eine umfangreichere Datengrundlage aus 16 Ländern, darunter China, vorgelegen, hieß es. Die Forscher ermittelten zunächst die regionale Belastung mit Schadstoffen wie Feinstaub und Ozon mit Hilfe eines Atmosphärenchemiemodells. Diese Werte verknüpften sie mit krankheitsspezifischen Gefährdungsraten sowie der Bevölkerungsdichte und den Todesursachen in einzelnen Ländern.

Umweltschützer fordern schon lange schärfere EU-Grenzwerte für Feinstaub der Größe PM 2,5. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt zehn Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel, in der EU gelten 25. Die EU-Umweltbehörde EEA kommt für 2014 auf 66.000 vorzeitige Todesfälle durch Feinstaub, das Umweltbundesamt für 2015 auf 41.000. (APA, red, 13.3.2019)