Es war zwar nie geplant, aber irgendwann ist es einfach passiert: Man ist erwachsen geworden. Ob nun mit achtzehn, zwanzig, dreißig oder nach der Geburt des ersten Kindes – der genaue Zeitpunkt ist schwierig zu definieren. Wahrscheinlich war es ohnehin mehr ein fließender Übergang, ein über die Schwelle-geschubst-Werden. Als man kurz nicht hingesehen hat, als man es dann realisiert hat, war die Tür zurück bereits für immer verschlossen. Die Zeit dreht sich schließlich nur vorwärts, und so einleuchtend das klingen mag, dieses unwiderrufliche Faktum muss dennoch erst selbst erfahren werden, um es glauben zu können. Aber sobald man das bemerkt, ist es bereits zu spät, die Jugend ist tatsächlich an die Jungen verschwendet. Doch ohne Verschwendung könnte man nicht jung sein. Wer mit sechzehn schon einen Karriereplan hat, der hat ansonsten nicht viel erlebt.

Zielstrebig ziellos

Bis vor kurzem bestand das Ziel im Leben darin, kein Ziel zu haben. Einfach vor sich hinzutreiben, die Abende in Bars wegzutrinken, die Tage an der Donau rumzuhängen, um dann kurz vor Ladenschluss noch ein paar Bier beim Billa zu holen und diese im nächsten Park zu konsumieren, mit den zahlreichen Freunden, die man zu haben schien. Arbeit war lediglich ein abgewandeltes Nebenprodukt des eigenen Hedonismus: Man schenkte Spritzer aus hinter der Bar, an der man normalerweise selbst als Kunde saß, rauchte Zigaretten und verbrachte den nächsten Tag mit Kater im Bett, um dann frisch ausgeschlafen zu abendlicher Stunde wieder an selbige Bar zurückzukehren – der ewige Kreislauf des jungen Lebens.

Selbstverständlich hatte man dennoch die Vision, einmal berühmt zu werden, wegen irgendeiner Kunstsache am besten, als Regisseur, Schriftsteller oder etwas Ähnliches. Dieses noble Ziel musste auch stets als Erklärung für die vielen durchgesoffenen Nächte herhalten, denn jeder große Künstler der Menschheitsgeschichte war schließlich Alkoholiker gewesen. Allerdings wirklich ein Buch zu schreiben oder sich für eine Filmschule zu bewerben, dafür erschien noch nicht der richtige Zeitpunkt gekommen, die Zeit war ohnehin lang, im Winter wie im Sommer, in der Jugend erscheint sie einem unendlich.

Eine Nacht durchmachen, mit Freunden an der Donau sitzen und den Tag verstreichen lassen – schneller als es einem lieb ist, ist die scheinbar unbeschwerte Jugend vorbei.
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Durch Südamerika in einer Woche

Plötzlich blickt man an einem Freitagabend im Beisl auf die Uhr: Es ist tatsächlich schon kurz vor elf, und in einer Woche wird man Vater. Man sollte noch einmal ausgehen bis ins Morgengrauen, das Bierfass leertrinken, all die Lokale besuchen, die man doch so gern hat, oder schnell noch Südamerika durchqueren, in sieben Tagen. Doch irgendwie funktioniert es nicht mehr, alle um einen herum sind zumindest zehn Jahre jünger als man selbst, vielleicht bildet man sich das auch nur ein, jedenfalls schafft man den Anschluss nicht mehr. Die Abendbekanntschaften am Tisch wollen noch ins Flex, Fluc oder sonst einen Club mit "F", dort spiele "irgendein bekannter DJ", von dem man noch nie gehört hat. Clubs sind ohnehin so eine Sache, die hat man nicht einmal mit zwanzig wirklich gemocht, rumstehen, laute Musik, seltsame Leute, ohne Drogen kann das niemandem wirklich Spaß machen.

Doch auch hier im vertrauten Wirtshaus führen die unbekannten Anwesenden seltsame Unterhaltungen, verschicken Selfies von sich und sind auf Instagram. Als man erwähnt, dass man Vater wird, blitzt Entsetzen in den Augen der Langzeitjugendlichen auf, so als hätte man von einer schlimmen Krankheit erzählt. Verlegen wird schnell das Thema gewechselt, eine der Anwesenden, sie ist Anfang dreißig, erzählt davon, dass sie morgen in einem Concept Store im vierten Bezirk arbeiten wird, und sich deshalb nicht vollkommen wegschießen kann. Was ist eigentlich ein Concept Store? Und was ist mit all den vielen Freunden von früher passiert, mit denen man immer auf einer Wellenlänge war? Obwohl die Gespräche genau dieselben waren, hatte man sich früher zumindest eingebildet, dabei zu sein.

An diesem Abend aber fühlt es sich an, als hätte man ein Ticket für das ausverkaufte Konzert seiner Lieblingsband bekommen, doch als man ankommt, muss man feststellen, dass es sich nur um eine Sitzplatzkarte handelt, am Rand der Bühne, von dem aus man seitlich auf die Musiker schaut. Man ist weder Backstage bei den Stars noch vor der Bühne und Teil des Publikums, anstatt mit der Sängerin zu flirten und den Schweiß der Nebenleute zu inhalieren, wippt man unschlüssig im Sitzen mit den Zehen. Wenn das Leben ein Roman wäre, dann würde es jetzt zum Höhepunkt der Handlung kommen, stattdessen fährt man mit der U-Bahn um Mitternacht nach Hause, weil man vergessen hat, dass es eine Nightline gibt und der letzte Zug des Lebens noch nicht abgefahren ist.

Schau ma mal

Es ist eine schwierige Generation, in der man sich befindet, und das Wissen darüber, dass man nicht allein ist mit der ewigen Unschlüssigkeit, sollte zumindest ein Trost sein. "Ich möchte nie erwachsen werden", hatte eine der Mittdreißigjährigen zuvor stolz verkündet, sie hat einen Freund in Amsterdam, der nach Wien ziehen möchte, um bei ihr zu sein, doch sie möchte nicht mit ihm zusammen wohnen, das ist ihr zu verbindlich, weshalb er nun nach einem WG-Zimmer suchen muss. In unserer Generation wird alles, was uns in irgendeiner Weise in der Realität festnagelt, des Lebens verwiesen, "schau ma mal" ist zur internationalen Lebensphilosophie geworden – die Wiener haben es wieder einmal als Erste gewusst. Schon ein Teilzeitjob wird nur unter heftigen Widerständen akzeptiert, gibt es überhaupt noch Leute, die vierzig Stunden in der Woche arbeiten, oder sind mittlerweile alle das halbe Jahr in Südostasien?

Ohne es mitzubekommen, ist mittlerweile die Sonne aufgegangen. Kurz denkt man an all die jungen Morgen, die man in einem Park oder vor einer Bar erlebt hat, als man gedacht hatte, dass so ein Tagesanbruch der magischste Moment der Welt ist. Während man früher verkatert einen schnellen Espresso beim nächsten Bäcker zusammen mit einem frisch aufgebackenen Croissant eingenommen hat, schaltet man jetzt den Vollautomaten ein und macht sich eine Schale Müsli mit frischen Früchten, man braucht die Vitamine, denn morgen wird man Vater sein. (Andreas Rainer, 21.3.2019)