Sechs Zwangsarbeiter wurden vor einer Baracke in Kaprun für die NS-Propaganda fotografiert.

foto: Bildstelle DAF-Propaganda / Archiv Rudi Leo

Der Pinzgauer Historiker Rudi Leo bei einer Gedenkwanderung zur Fundstelle des auf der Flucht verhungerten Giuseppe Groppo.

foto: thomas neuhold

Salzburg – "Es ist ganz klar", sagt der Geschichtswissenschafter Rudi Leo, "das ist ein Propagandafoto." In Wahrheit sei es den von den Nazis versklavten Zwangsarbeitern auf der Kraftwerksbaustelle in Kaprun nicht so gut ergangen, wie das Foto suggeriert. "Festes Schuhwerk, ordentliche Bekleidung, volle Schüsseln und auf der Bank in der Sonne sitzen, und dahinter das Plakat einer Kulturveranstaltung, das war nicht der Alltag", erklärt Leo.

Der Historiker hat sich auf die Zeitgeschichte des Salzburger Pinzgaus, seiner Heimat, spezialisiert. Er ist Autor des Standardwerks Pinzgau unterm Hakenkreuz. Früher seien solche Fotos oft einfach achtlos weggeworfen worden, erzählt er. Seit er auf Facebook die Gruppe "Historischer Pinzgau" betreibt, würden sich aber immer wieder Leute melden, die Fotos oder andere Dokumente besitzen.

"6 Belgier"

Konkret habe sich eine Frau gemeldet, die im Keller eine Truhe mit alten Fotos ihres inzwischen verstorbenen Vaters gefunden hatte. Darunter auch das Bild von sechs Zwangsarbeitern. "Alle Rechte: Propagandaamt DAF Bildstelle", steht auf der Rückseite. Daneben der handschriftliche Vermerk: "6 Belgier". DAF steht für Deutsche Arbeitsfront – die NS-Einheitsorganisation war eine Art Gegenpol zu den von den Nazis zerschlagenen Gewerkschaften.

Der Historiker möchte nun dieses Fotomaterial nutzen, um in die Tiefe zu forschen. Was wurde aus den abgebildeten Personen? Haben einzelne die menschenunwürdige Behandlung in den Lagern und die oft lebensgefährliche Arbeit überlebt? Gibt es Verwandte? Leo sucht mithilfe sozialer Medien und auch mithilfe einer Zeitung wie DER STANDARD.

Tausende Arbeitssklaven

Wie viele solcher Arbeitssklaven die Nationalsozialisten zu der am 16. Mai 1938, zwei Monate nach dem "Anschluss" Österreichs, eröffneten Kraftwerksbaustelle nach Kaprun verschleppten, sei nicht mehr mit Sicherheit feststellbar, sagt Leo. Unter anderem deshalb, weil Kriegsgefangene nicht in den Meldekarteien erfasst wurden.

Er bezieht sich auf die Wiener Zeithistorikerin Margit Reiter, die für den Zeitraum 1939 bis 1945 für Kaprun rund 6.300 als Zahl angibt. Ein sehr hoher Anteil der Zwangsdeportierten sei noch unter 20 Jahre alt gewesen.

Auf der Flucht verhungert

Neben sowjetischen waren polnische, belgische, italienische und französische Kriegsgefangene eingesetzt. Laut Margit Reiter wurden allein am 28. Juni 1940 rund 1.000 belgische Gefangene nach Kaprun geschickt. Wie viele die Torturen überlebt haben, wisse freilich niemand.

Gibt es tatsächlich die Chance, mehr als sieben Jahrzehnte später familiäre Spuren der Verschleppten nachzuzeichnen? Historiker Leo meint Ja und erzählt die Geschichte des jungen Italieners Giuseppe Groppo.

Der junge Mann wurde 1944 im Alter von 17 Jahren von italienischen Faschisten in Mason in der Provinz Vicenza verhaftet und der SS ausgeliefert. Groppo wurde sofort deportiert und nach Kaprun gebracht. Nur wenige Wochen später gelang ihm die Flucht, und er versuchte über die Berge nach Italien zu gelangen. Auf dieser Flucht ist Groppo verhungert.

"Bergopfer"

Seine Leiche wurde später von zwei jungen Mädchen bei einer Alm im Gemeindegebiet Fusch an der Glocknerstraße gefunden. Bei seiner Arbeit an dem Buch Bruck unterm Hakenkreuz stieß Leo auf eine Zeitzeugin und auf Groppos Geschichte. Sein Name fand sich auch im Bergopferverzeichnis der Gemeinde.

Nach langwierigen Recherchen in Pfarrämtern, Archiven und Meldeämtern in Italien konnte Leo letztlich die heute lebenden Familienangehörigen finden und sie über Groppos Schicksal, der bis dahin als "in Deutschland vermisst" galt, aufklären. Im Jahr 2014, rund 70 Jahre nach seinem Tod, fand schließlich in Fusch an der Glocknerstraße die erste Gedenkfeier für Giuseppe Groppo statt. (Thomas Neuhold, 14.3.2019)