Das Unglücksmodell Boeing 737 Max muss vorerst auf dem Boden bleiben.

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Der US-Flugzeugbauer Boeing empfiehlt, seinen Passagierjet 737 Max vorerst nicht zu benutzen. Betroffen sei "die gesamte weltweite Flotte von 371 737-Max-Flugzeugen", teilte das Unternehmen am Mittwoch mit. Es handle sich um eine reine Vorsichtsmaßnahme. "Boeing hat weiterhin volles Vertrauen in die Sicherheit der 737 Max."

US-Präsident Donald Trump hatte kurz davor ein Flugverbot für Maschinen vom Typ 737 Max 8 und Max 9 erteilt, nachdem Europäer, Chinesen, Kanadier und andere diesen Schritt bereits gesetzt hatten. Die Boeing-Aktien verloren nach der Entscheidung an der Wall Street weitere knapp zwei Prozent an Wert.

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Wenn man nicht innehalte, sei das nächste Unglück bereits programmiert, warnte zuvor Richard Blumenthal, ein US-Demokrat, der den Neuenglandstaat Connecticut im Senat vertritt. Nach den Abstürzen in Äthiopien und zuvor in Indonesien gebe es allen Grund, besorgt, ja, alarmiert zu sein. Er jedenfalls würde keinem aus seiner Familie raten, an Bord einer 737 Max zu gehen, solange die Zweifel nicht restlos ausgeräumt seien. Ähnlich sehen es Republikaner wie Ted Cruz und Mitt Romney, die ihrerseits parlamentarische Anhörungen verlangen, um der Sache auf den Grund zu gehen. Es ist einer der seltenen Fälle, in denen sich Politiker beider großen US-Parteien praktisch einig sind.

Schadenersatz

Als erste Airline fordert Norwegian Air Shuttle von Boeing nun Schadenersatz wegen des Flugverbots für das Modell 737 Max. "Wir erwarten von Boeing, diese Rechnung zu übernehmen", erklärte der Billigflieger. Norwegian strich am Mittwoch rund drei Dutzend Abflüge aus Skandinavien, buchte die Passagiere um und setzte andere Flugzeuge ein. Die finanziell angeschlagene Airline gehört zu den großen Abnehmern der neuen, spritsparenderen Version der Boeing 737 in Europa.

Die US-Luftfahrtbehörde Federal Aviation Administration (FAA) begründete das Flugverbot mit "neuen Indizien", die am Absturzort gesammelt worden seien. Man habe am Mittwoch neue Satellitendaten des US-Anbieters Aireon erhalten. Die geplanten Nachbesserungen an der 737 Max werden mehrere Monate dauern, sagte der geschäftsführende FAA-Chef Dan Elwell. Er wisse nicht, wie lange das Flugverbot gelten werde.

Berichte, dass ein geplantes Softwareupdate für die 737 Max wegen des Shutdowns, also des budgetbedingten Stillstands der US-Behörden von 22. Dezember bis 25. Jänner, erst verspätet erfolgt sei, entbehrten jeglicher Grundlage, gab die Behörde am Mittwoch bekannt. Die FAA hatte lange keine Veranlassung für ein Verbot gesehen. Die Überprüfung aller verfügbaren Daten habe keine "systemischen Leistungsprobleme" bei dem Flugzeugtyp ergeben, erklärte sie zuletzt. Es gebe keine Grundlage, ihn aus dem Verkehr zu ziehen.

In den USA haben zwei Fluglinien die Boeing 737 Max 8 in ihrer Flotte: Southwest hat 34 Maschinen gekauft, American Airlines 24. Beide erklärten, volles Vertrauen in den Jet zu haben. An der allgemeinen Verunsicherung ändert es freilich nichts, zumal bekannt wurde, dass Piloten in mindestens fünf Fällen bereits vor Monaten auf Probleme mit der Software hingewiesen haben.

Nase nach unten

Übereinstimmend berichteten sie der US-Raumfahrtbehörde Nasa, die unabhängig von der FAA Flugdaten sammelt, dass sich die Nase ihres Flugzeugs kurz nach dem Start plötzlich nach unten richtete. Ein Kapitän gab zu Protokoll, dies sei zwei bis drei Sekunden nach dem Einschalten des Autopiloten geschehen. Er habe den Autopiloten abgeschaltet, worauf die Maschine ihren Aufstieg normal fortgesetzt habe.

Indem die FAA den Eindruck erwecke, sie gehe allzu routiniert über Einwände hinweg, sei sie gerade dabei, ihren guten Ruf zu verspielen. So jedenfalls sieht es Mary Schiavo, einst Generalinspekteurin im Verkehrsministerium, heute Rechtsanwältin. Man könne ein Flugzeugmodell nicht als sicher einstufen, wenn gerade zwei Maschinen dieses Modells vom Himmel gefallen seien, rügte sie. "Und wenn Sie die Gründe nicht kennen, dann spielen Sie mit dem Leben von Passagieren, wenn Sie darauf bauen, dass es nicht noch einmal passiert." Es drohe bleibender Imageschaden.

Hohe Flugsicherheit

In puncto Flugsicherheit sehen sich die USA als Nummer eins in der Welt, als die eine Nation, die für alle die Standards setzt. Auch in der jetzigen Debatte mangelt es nicht an Stimmen, die betonen, wie sicher das Fliegen ist. Das letzte große Unglück ereignete sich 2009 in der Nähe von Buffalo, wo 50 Menschen ums Leben kamen. Nun aber sieht es so aus, als gehe es einer Behörde vor allem darum, den Boeing-Konzern zu entlasten.

Tatsächlich ist sie eng mit ihm verbandelt. Hatte sie sich bis 2005 noch auf unabhängige Fachleute verlassen, um Sicherheitszeugnisse auszustellen, so stützt sie sich heute ganz wesentlich auf die Kapazitäten des Herstellers. Berichten amerikanischer Medien zufolge arbeiten Boeing-Ingenieure Tür an Tür mit den FAA-Prüfern, bisweilen übernehmen sie auch deren Aufgaben. Das Verfahren soll Zeit sparen und die von Personalnot geplagte Dienststelle entlasten. Nun gerät es genauso in die Kritik wie die sinnbildliche Drehtür, durch die Firmenmanager in die Politik wechseln und irgendwann wieder zurück.

Kaderschmiede

US-Verteidigungsminister Patrick Shanahan arbeitete 31 Jahre für Boeing, bevor er ins Pentagon berufen wurde. Als die Feiern zur Amtseinführung Trumps durch Spenden zu finanzieren waren, ließ Boeing-Konzernchef Dennis Muilenburg eine Million Dollar überweisen. Zuvor hatte er Trump in Mar-a-Lago besucht, dem Strandklub in Florida. Am Dienstag, schreibt die New York Times, griff er zum Hörer, um den Präsidenten zu beruhigen. Der hatte sich via Twitter mokiert über Flugzeuge, die "viel zu kompliziert" seien, als dass man sie noch fliegen könnte. Piloten würden nicht länger gebraucht, umso mehr Computerwissenschafter, stichelte Trump. "Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich will nicht, dass Albert Einstein mein Pilot ist." (Frank Herrmann aus Washington, APA, 13.3.2019)