STANDARD: "Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle! Ich bin Großbankier, Großindustrieller, Großhändler. Kurz, bei mir können Sie alles kaufen." Wissen Sie, welche berühmte Figur sich mit diesen Worten vorgestellt hat?

Elsberg: Nein, aber es kommt mir irgendwie vertraut vor.

STANDARD: Dagobert Duck in einer Geschichte von Carl Barks.

Elsberg: Ach so!

STANDARD: Dagobert Duck steht für Geiz und Gier. Da kennen Sie sich aus, Ihr Thriller "Gier" ist gerade erschienen. Dagobert ist aber nicht ganz unsympathisch, oder?

Elsberg: Ich fand ihn immer sympathischer als Donald. Weil einerseits ist er zwar furchtbar geizig und penetrant gierig, andererseits marschiert er immer los, macht und finanziert Dinge, vor allem für seine Neffen Tick, Trick und Track. Und ab und zu zeigt er ja dann doch ein warmes, menschliches Herz. Ein "entliches" Herz.

STANDARD: Einmal beschreibt er sich selbst so: "Ich bin reich geworden, weil ich zäher war als die Zähesten und schlauer als die Schlauesten! Und ich bin dabei ein ehrlicher Mann geblieben." Gibt's das?

Schriftsteller Marcus Rafelsberger alias Marc Elsberg beim Gespräch im Meinl am Graben.
Foto: Regine Hendrich

Elsberg: Behaupten kann er das ja. Zäher und schlauer sein als die anderen reicht aber nicht. Denn da draußen sind sehr viele zäh und schlau, zum Erfolg gehören vor allem auch Glück und Zufall. Man könnte dem das Zitat des Industriellen Robert Bosch entgegenhalten: "Ich zahle nicht hohe Löhne, weil ich reich bin. Ich bin reich, weil ich hohe Löhne zahle." Dieses Erkennen, dass man Zusammenarbeit braucht, ist eine völlig andere Erklärung für Reichtum als die brachial-darwinistische Formel "Survival of the Fittest", die zudem gern als Überleben des Stärksten statt des Angepasstesten missinterpretiert wird.

STANDARD: Sie zitieren in dem Kontext auch gern Henry Ford, der sinngemäß einmal sagte, er zahle seinen Leuten viel, weil die ja auch seine Autos kaufen sollen. Allerdings hat die US-Autoindustrie einst ganze Bahn- und Straßenbahnnetze aufgekauft und zugesperrt, um Autokäufe quasi zu erzwingen. Superschlau?

Elsberg: Rücksichtslos. Und das schlechte Bahnnetz in den USA ist noch heute zu spüren. Die langfristigen Auswirkungen sind desaströs, wenn wir nur das Klima bedenken.

STANDARD: Noch zu den Ducks: Donaldist, wie Bundespräsident Alexander Van der Bellen, sind Sie aber nicht?

Elsberg: Nein. Aber ich liebe zum Beispiel Comics wie Quai d'Orsay. Die Geschichte des Redenschreibers eines französischen Politikers zur Zeit des herandräuenden Irakkriegs: zum Schieflachen.

STANDARD: House of Cards für Frankophile?

Elsberg: Viel lustiger als House of Cards.

STANDARD: In dieser US-Serie geht es eher um Macht- als Geldgier. In Ihrem neuen Buch setzen Sie Geld- und Machtgier mehr oder weniger gleich?

Elsberg: Bis zu einem gewissen Grad decken sich Geld- und Machtgier. Aber nicht immer geht es ums Geld. Vor allem für manche Politiker und Wissenschafter ist die Macht der interessantere Aspekt, die Deutungshoheit über unsere Gesellschaft. Nehmen Sie die Macht der Wirtschaftswissenschafter: Sie verbreiten Ideen, nach denen letztlich ganze Gesellschaften und unsere Welt geordnet werden.

STANDARD: Zusammengefasst geht es in "Gier" um die Theorie, dass Kooperation zu mehr Wachstum führt als Konkurrenz. Ein Hedgefondsmilliardär lässt einen Nobelpreisträger ermorden, der den Beweis für diese Wohlstandstheorie präsentieren will. Sie beziehen Sie sich auf Arbeiten der Wissenschafter vom London Mathematical Laboratory, LML. Wie sind Sie auf die gekommen?

Elsberg: Ich bin bei Recherchen quasi über sie gestolpert. Die Londoner zeigen und beweisen, dass man von individuellen Menschen, die an dynamischen Prozessen teilnehmen, nicht unbedingt aufs Kollektiv schließen kann. Man nennt dies "Nicht-Ergodizität". Warum nehmen arme Menschen, denen man zehn Dollar sofort oder 20 Dollar in zehn Tagen anbietet, die zehn Dollar? Und nicht, wie die Reichen, die 20 Dollar später? Um Fragen wie diese geht es. Die neuen mathematischen Formeln belegen, dass Menschen nicht arm sind, weil sie falsche Entscheidungen treffen, sondern, dass sie falsche Entscheidungen treffen, weil sie arm sind. Wobei "falsch" nicht das richtige Wort ist: Ihre Entscheidung liegt in der Dynamik des Entscheidungsmodells begründet.

STANDARD: Der Direktor des LML, Physiker Alex Adamou, war einst professioneller Spieler – so wie einer der Hauptdarsteller in dem Buch.

Elsberg: Und wie nicht wenige Leute, die gut mit Wahrscheinlichkeitsrechnung und mit Zahlen umgehen können. Er versuchte Algorithmen zu finden, mit denen man Lotterien knacken kann.

STANDARD: Er fand sie nicht?

Elsberg: So viel ich weiß, nicht. In der Theorie der Londoner jedenfalls geht es um ein weiteres Prinzip, mit dem man Wachstum erzeugen kann: durch die vernünftige Verteilung von gemeinsam erwirtschaftetem Wohlstand und von Ressourcen.

STANDARD: Diese Verteilung geschieht in sozialen Gesellschaften, im Sozialstaat, doch sowieso.

"Ichbezogene Gier kann auch hilfreich sein", sagt Marc Elsberg.
Foto: Regine Hendrich

Elsberg: Ja. Es geht aber um die Erkenntnis, dass damit nicht nur Armen geholfen wird, sondern, dass durch diese Verteilung auch mehr und schnelleres Wachstum entsteht. Weil diese Leute dann bessere Chancen haben. Die Finanzindustrie hat dieses Prinzip des "Pooling and Sharing" erkannt: Geschicktes Portfoliomanagement sorgt dafür, dass veranlagtes Geld schneller mehr wird und sich der Wohlstand vergrößert. Wer das begriffen hat, ist heute Hedgefondsmilliardär.

STANDARD: Was bedeutet denn Wohlstand für Sie?

Elsberg: Der Zustand, in dem man als Individuum in einer Gesellschaft die besten Möglichkeiten hat, seine Fähigkeiten entwickeln und entfalten zu können. Die Frage, wie man Wohlstand misst, bleibt aber.

STANDARD: "Das Bruttoinlandsprodukt misst alles, außer dem, was das Leben lebenswert macht", sagte Robert Kennedy. Hatte er recht?

Elsberg: Natürlich. Wobei, in Bhutan messen sie auch das Glück fürs Bruttonationalprodukt. Trotzdem gibt es immer noch Faktoren, die wir nicht quantifizieren können.

STANDARD: Was macht das Leben für Sie lebenswert? Der Millstätter See und die Buschenschank, in die Sie dort so gern gehen?

Elsberg: Zum Beispiel. Aber ich bin mir grundsätzlich sehr bewusst, dass ich zu den Privilegiertesten der Privilegierten gehöre: Ich bin als weißer Mann in eine der reichsten Gesellschaften der Welt geboren worden, in eine intakte, bildungsaffine Familie. Glücklicherweise hat sich das erhalten: Ich kann meinen Interessen und Fähigkeiten nachgehen, auch das macht das Leben sehr lebenswert.

STANDARD: Wie wichtig ist Ihnen Geld? Sie haben schon viel verdient, als Grafiker, Artdirector, Bestsellerautor.

Elsberg: Geldverdienen war immer eine Nebenerscheinung. Aber ich hatte auch mein Auf und Ab, es gab Zeiten, da war ich arbeitslos gemeldet. Die Unterstützung von damals habe ich durch meine Steuern und Sozialabgaben aber längst wettgemacht. Und apropos Steuern: Was man beim Pooling-and-Sharing-System auch beachten muss, ist, dass es nicht zu viele Trittbrettfahrer gibt – große Konzerne, die keine Steuern zahlen, oder vermögende Leute, die ihr Einkommen nach Malta, in die Schweiz oder nach Luxemburg verschieben oder in einem System leben, das sie steuertechnisch verschont. In dem es keine Vermögens- oder Erbschaftssteuer gibt, Spitzensteuersätze gesenkt werden. In den USA gab es bis in die 1960er-Spitzensteuersätze bis 94 Prozent.

STANDARD: Eingeführt wurden diese Prozentsätze allerdings, um die Weltkriege zu finanzieren.

Elsberg: Aber sie haben sich gehalten, und später hat man Wachstum damit finanziert.

STANDARD: Wie sehr wollen Sie denn belehren? Ihre Thriller "Blackout" und "Zero" wurden 2012 bzw. 2014 in Deutschland zum "Wissensbuch des Jahres" gewählt.

Elsberg: Es geht mir mehr darum, Denkanstöße zu liefern. Wenn man die Welt besser versteht, kann man auch besser miteinander auskommen.

STANDARD: Sie wollen die Welt verbessern.

Elsberg: Die Welt ist ja gar nicht so schlecht ...

STANDARD: Sie wollen die Gier bekämpfen.

Elsberg: Auch das nicht. Denn Gier hat ja unterschiedliche Bedeutungen. Es gibt nicht nur Hab- und Machtgier, sondern auch Neugier und Wissbegier.

STANDARD: Bei Gier denkt man halt an Haupt- und sieben Todsünden und so was. Die katholische Kirche stellte Gieralen ja drohend in Aussicht, sie würden dereinst in siedendem Öl landen.

Elsberg: Stimmt. Obwohl die Ich-bezogene Gier durchaus auch hilfreich sein kann: Sie macht einen fokussiert und zielgerichtet. Leider blendet man in diesem Zustand die Außenwelt aus oder man beschäftigt sie intensiv mit dem Thema, mit dem man sich selbst gerade auseinandersetzt. Ich mache das ja auch, wenn ich an einem Thema arbeite.

STANDARD: Materielle Gier ist Ihnen fremd? Weit und breit kein Luxus?

Elsberg: Materielles interessiert mich nur bedingt. Ich wohne in einer, zugegeben, netten Mietwohnung, habe keinen Sportwagen. Warum soll ich Ferrari fahren, wenn ich Radeln kann?

STANDARD: Sie leben im Bobo-Bezirk Wien-Neubau?

Elsberg: Nicht mehr. Vor sechs Jahren sind wir vom siebenten in den achten Bezirk übersiedelt. Eine völlig andere Welt: Die Lerchenfelderstraße ist wirklich eine Demarkationslinie. Im Achten begegnen einem noch Menschen in Trachtenlederhosen ...

STANDARD: Ich sollte wieder einmal die Grenze überschreiten. Gibt es eigentlich Reiche, die Ihnen sympathisch sind?

Elsberg: Klar, es gibt überall Gusteln und Ungusteln. Superreiche wie Bill Gates und Warren Buffett, die jede Menge Geld spenden, haben das Prinzip, über das ich in Gier schreibe, verstanden. Sie wollten sogar mehr Steuern zahlen, stattdessen haben sie die Kampagne "The Giving Pledge" eingeführt und beschlossen, ihre Vermögen zu spenden. Und dieses Prinzip ist nicht so schlecht: Würden die USA hohe Steuern einführen, bliebe das Geld in den Vereinigten Staaten. Die Hunderten von Millionen, die Gates zum Beispiel in die Malariabekämpfung steckt, kommen dagegen der ganzen Welt zugute.

STANDARD: Er kann aber über den Einsatz der Mittel entscheiden.

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Milliardäre, die teilen: Microsoft-Gründer Bill Gates (links) und Investor Warren Buffett.
Foto: AP/ Nati Harnik

Elsberg: Das stimmt. Es gibt in dem Zusammenhang keine globale, demokratische, unabhängige Institution, die für Verteilung sorgen würde.

STANDARD: Auch in Österreich gibt es Reiche, die für eine Vermögenssteuer sind. Der Bauindustrielle Hans Peter Haselsteiner etwa.

Elsberg: Ja, und natürlich würde eine Vermögenssteuer auch in Österreich nicht dazu führen, dass alle Reichen das Land verließen. Wer klug ist, weiß ja, dass alle von guter Infrastruktur, gutem Bildungswesen und staatlichen Investitionen in Forschung und Entwicklung profitieren.

STANDARD: Und trotzdem führt Österreichs Regierung weder Vermögens- noch Erbschaftssteuer ein. Klientelpolitik?

Elsberg: Natürlich. Und einige sind ja auch immer dagegen.

STANDARD: Die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer tiefer. Glauben Sie, dass die Leute irgendwann Revolution machen?

Elsberg: Breite Revolution findet erst spät statt. Erst, wenn es ans Eingemachte geht, das zeigt die Geschichte.

STANDARD: Revolution erst, wenn der Hunger kommt?

Elsberg: Die große Revolution kommt, wenn sich der Brotpreis verdoppelt. Die kleine Revolution kommt, wenn der Benzinpreis steigt, das erleben wir ja gerade in Frankreich.

STANDARD: Die Österreicher sind eher keine tollen Revolutionäre, siehe 1848.

Elsberg: Ja, und so schlecht geht's uns ja nicht. Auf der anderen Seite spüren die Leute, dass es schlechter wird, wenn wir weitermachen wie bisher. Sie sind zwar nicht hungrig genug, dass sie Revolution machen, sie können sich aber auch nicht mehr darauf verlassen, im Notfall von der Allgemeinheit aufgefangen zu werden. Darum müssen sie kurzfristig egoistisch-gierig werden und sich um sich selbst kümmern – und so verschwindet die Solidarität.

STANDARD: Sie kritisieren die Gewerkschaften scharf, die hätten alles verschlafen und versemmelt. Warum so streng?

Elsberg: Die Gewerkschaften waren eine der großartigsten Erfindungen für die modernen Gesellschaften des 19. und 20. Jahrhunderts. Leider sind sie verkrustet, haben sich nicht um die Erfordernisse gekümmert, die neue Arbeitswelten mit sich bringen, haben sich nicht global um Einfluss gekümmert. Und das, obwohl sie sich von jeher "Hoch die internationale Solidarität" auf die Fahne geheftet haben.

STANDARD: Sehen Sie noch irgendwo g'standene Linke?

Elsberg: Ich bin gegen diese Punzierungen. Kategorisierungen wie "Rechter", "Linker", "Liberaler", "Konservativer" führen dazu, dass die Betroffenen argumentativ in einen Schützengraben gedrängt werden – und das erschwert den Diskurs massiv. Jeder feuert nur raus aus seinem Schützengraben und duckt sich wieder. Diese Zuschreibungen machen Relativierung, Schattierung, Abwägen von Argumenten unmöglich. Genau darum geht es aber, vor allem auch in der Politik. (Renate Graber, ALBUM, 17.3.2019)