Wie einen Menschen, dessen Denken abstrakt war, erinnern mittels Dingen? Mit Gedächtnisstätten? Atmen aber diese den Charakter, die Behandlungskunst eines Therapeuten – oder sind sie lediglich arrangierte Anekdoten?

Sigmund Freud sind zwei Museen gewidmet, eines in Wien, eines in London. Diese beiden "personality museums" sind sich spiegelnde Paradoxe, meinte im Jahr 2018 die englische Kunstwissenschafterin Joanne Morra. Im Freud Museum in London ist die "key presence" die originale Couch. In der Berggasse, einst Wohnung plus Ordination, ist dieses Möbelstück dagegen die "key absence". In London sind die materiellen Denk- und Behandlungsobjekte versammelt, Liege, Schreibtisch, Arbeitsstuhl, seine Antiquitäten, aus denen sich Hermeneutik und Praxis ableiteten.

Wien hingegen pflegt die Geschichten der Theorieentwicklung, die zentral für Hermeneutik und Praxis waren. Das Freud Museum London ist ein Raum der Hagiografie. Das Freud-Museum Wien ist fast kein Museum mehr, vielmehr ein konzeptueller Ort, ein Nicht-Raum.

In der Mittwochs-Gesellschaft in der Berggasse sahen einst die Teilnehmer die Dinge flüssig werden. Sie trafen sich im Wartezimmer und sahen kaum bis zu Freuds Schreibtisch. Denn alle rauchten. Zigarren- und Zigarettenrauch hing schwer in der Luft. Einmal warf Freuds Sohn Martin einen Blick in den Raum.

Es erschien ihm als Wunder, dass sich Menschen darin mehrere Stunden lang aufgehalten hatten, ohne dass einer kollabierte. Freuds Studierzimmer war zu klein, um sich darin zu treffen. Vor allem quoll es über an Büchern, an unzähligen Antiquitäten und Kunstgegenständen. Eine historistische Kollektion war dies, weniger ästhetisch als humanistisch-antikisch durchwoben. Dabei waren die Dinge keineswegs unwichtig.

Diesen und vielen anderen Objekten widmet Lothar Müller, in Berlin Literaturredakteur der Süddeutschen Zeitung, der ein instruktives Buch über die Geschichte des Papiers und also des Buches an sich veröffentlichte, davor über Casanova publizierte, den Liebhaber alles Irdischen und Sinnlichen, nun eine ganze Abhandlung.

Er nimmt erhellend etwas in den Blick, was die Welt seit mehr als hundert Jahren mit einem Berggassen-Blick erfasst, Sachen, Objekte, Dinge. Die da sind. Die etwas bedeuten. Die alles andere als zufällig aus der Hand fallen. Die wir zerschlagen. Symbolisch, bildlich, manifest, im Wort, vor allem in Träumen.

Stangen und Büchsen

Im Winter 1915/1916 stellte Sigmund Freud in seinen Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse einen großen Fundus von Dingen vor, die anderes, Psychosexuelles, vertretend vorstellen und bedeuten: Schirme, Stangen, Stöcke, Dolche und Säbel, Pistolen und Lanzen, kontrastierend dazu Schachteln, Dosen, Koffer und Büchsen, Pfirsiche und Blumen, Äpfel und Flaschen.

Müller arbeitet sich in seiner eleganten Darstellung, für die es aber nötig ist, sich recht umfassend in die psychoanalytischen Theorien eingelesen zu haben, von Gerätschaften der Wissenschaft und des Labors vor zu Hausgegenständen. Von archäologischen Objekten, die Freud, leidenschaftlicher Italien-Reisender, der er bekanntlich war, mit großer Passion sammelte – Archäologie durchzog ja als Vergleich oder Verweis sehr viele seiner Aufsätze -, zu Dingen der "Dämonologie des Alltags" (Müller).

Von dort weiter zu mit Sinn und mit Wissen aufgeladenen Gegenständen, Freud war ja ein leidenschaftlicher Leser und profunder Mythenkenner: zu Stift und Wunderblock und den letzten, Pardon: den Letzten Dingen. Geistvoll ist diese aufschlussreiche Würdigung der bisher im freudianischen Kosmos auffällig vernachlässigten "Statisten", so Müller. Zudem ist dieses Buch als Objekt ausnehmend schön designt. Nach den letzten, gestalterisch eher matt geratenen Bänden der seit mehr als dreißig Jahren im Erscheinungsbild avancierten Anderen Bibliothek, die einst der deutsche Drucker Franz Greno sich ausdachte – wobei es eine ältere materielle Inspiration in London gab, die Folio Society -, hat die Offenbacher Grafikerin Katrin Schacke für dieses Buch der Dinge eine augenschmeichlerische Gestaltung ersonnen.

Da gibt es farbige, ganzseitige Abbildungen, da gibt es Bildan- und Bildausschnitte und Ornamente und geschmackvoll farbig unterlegte Seiten, allerdings auch ein Literaturverzeichnis, das zweispaltig gesetzt ist, was mühselig zu studieren ist. (Alexander Kluy, ALBUM, 19.3.2019)