Um die "jeden Tag vor der Dämmerung einsetzende Angst zu besänftigen, habe sich Conradi oft mit runden Glassplittern beschäftigt", heißt es in einer neuen Erzählung von Clemens J. Setz. Bernhard Conradi, ein junger Mann aus dem Grenzgebiet Saarland/Lothringen/Elsass hatte gemeint, "dass der Mechanismus, der sich in seinem Inneren verschob und verdrehte, einer Kaffeemühle gleiche".

Während des Ersten Weltkriegs vertraute er dem Arzt in einer französischen Psychiatrie an, es plage ihn seit Jahren eine schreckliche Deutung der Sterne – und jenes Himmelsbild des Großen Burschen ist so schauerlich, dass derjenige, der 100 Jahre später darüber berichtet, den Tag verflucht, an dem er mit dieser Geschichte in Berührung kam.

Diese ist die am stärksten beeindruckende der zwanzig Erzählungen, die Setz in Der Trost runder Dinge versammelt hat. Sie reißt zudem einige Hauptmotive des Bandes an: Angst und Zersplitterung, unklare Grenzen, Unsicherheit und Verschiebungen des Gewöhnlichen. Erneut schafft die hochgeschätzt originelle Literatur des Grazer Autors Einblicke in menschliche Abgründe, in merkwürdige Provinzen der Existenz.

Dabei geht er über eine uns bekannte Realität hinaus. Wie in seinen bislang vorliegenden Werken schwingt dabei der Eindruck mit, dass auch die Trennlinie zwischen Autor und Erzähler durchlässig sei. Es ist ein im Hintergrund aufblitzendes Spiel mit der eigenen Biografie, in dem meist Graz der Ort der Handlung ist und Setz ein paar Mal auf seine Bücher verweist, allerdings skurril verschoben: sein zweiter Roman Die Frequenzen hier als "Die Ferkelszenen".

Den Trost runder Dinge suchen einige Hauptfiguren, alle sind von Panikattacken oder Einsamkeit geplagt, kränklich oder labil, behindert oder sozial schwierig. Ein Schriftsteller soll zu einem Literaturfestival, kehrt unerwartet heim und findet seine Frau in der Wohnung voller Hilfsbedürftiger vor. Ein Alleinerzieher vergeht fast vor Angst, ein anderer hat in seiner Introvertiertheit das Gefühl, "ein Problem zu sein, das die Welt zu lösen hat".

Ein Kellner und zugleich Pedell beginnt ein Verhältnis mit einer Blinden und sieht in ihrer Wohnung überall obszöne Aufschriften. Eine Frau will vor ihrem im Koma liegenden Sohn Sex mit einem Callboy. Ein Mann verreist mit einem verstörend fremden Begleiter, einem Or (sic). Eine gekündigte Schulkrankenschwester entführt einen Schüler; ein Sechzehnjähriger schreibt seine Handynummer auf die WC-Wand einer Erotikbar und treibt ein zwiespältiges Spiel mit den Anrufern.

Dem Baum den Puls messen

Das Seltsame trifft auf Alltäglichkeit und tritt dadurch stärker hervor, sodass ein latentes Gefühl der Unsicherheit entsteht. In feiner Abstimmung treibt Setz die Situationen langsam in eine intensive Stimmung hinein, die oft keine Auflösung erfährt. Eine ästhetische Crux des Absurden und Grotesken besteht allerdings in der Gefahr einerseits der Beliebigkeit, andererseits des Auftrumpfens ("überwitzeln", heißt es in der ersten Erzählung).

Dem vermag Setz nicht völlig zu entgehen. Wohl ist ihm auch mit Der Trost runder Dinge ein in Form und Inhalt interessanter Band gelungen, der eindringliche Bilder bietet, etwa: Ein Specht "hüpfte mehrere Äste ab und maß dem Baum den Puls".

Faszinierend wirkt es, wie auf der einen Ebene die Protagonisten Zusammenhänge dringend festzuhalten bemüht sind oder sie ihnen gar auseinanderfallen: "Zweigls Geburtstag war der 21. März. Ein Wasserstoff-Isotop hieß Tritium. Für die Herstellung einer Lutherbibel waren die Häute von rund dreihundert Schafen notwendig. Zweigl hatte den Eindruck, den Auslöser einer Bombe im Mund zu haben."

Dagegen halten auf einer anderen Ebene Motivketten wie Fotos, der Himmel oder Leute, die unmotiviert Objekte in der Hand tragen, sowie kleine Bezüge zwischen den Erzählungen den Band zusammen.

Er ist klug komponiert (nur Spam, eine automatisch übersetzte E-Mail-Nachricht, ist zu simpel witzig), aber an einigen Stellen bemüht die epische Breite eine lange Weile, sodass die Intensität verflacht. Es erstaunt freilich, bei einem so präzisen Autor und einem entsprechenden Lektorat eine Reihe sprachlicher Unebenheiten, gewiss keine künstlerischen Notwendigkeiten, oder gar Grammatikfehler zu lesen: das falsche deutsch-deutsche "laufen" statt "gehen" ("Er lief durch die Küche"), das falsche "am" statt "auf dem Balkon", gehäuft ein unnötiges, weil nichtssagendes "aus irgendeinem Grund".

Insgesamt aber legt Setz erneut ein vielschichtiges Sprachkunstwerk voll doppelter Böden vor, voll ungewöhnlicher Aspekte und Sätze. Die Welt mit ihren scheinbar unscheinbaren Abgründen und Fallen ist schwer zu begreifen – der Möglichkeitssinn der Literatur macht sie immerhin in nicht wenigen Facetten lesbar. (Klaus Zeyringer, ALBUM, 16.3.2019)