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Mitglieder für den Verein Uniter werden aus derdeutschen Eliteeinheit KSK rekrutiert

Foto: Reuters/Hanschke

Am 3. Februar 2017 nimmt einer der bizarrsten Kriminalfälle der vergangenen Jahre seinen Lauf. Franco A., ein Soldat der deutschen Bundeswehr, wird auf dem Wiener Flughafen festgenommen, als er eine geladene Waffe aus einem Versteck in der Behindertentoilette holen will. Als der Verdächtige überprüft wird, entdecken die Beamten, dass sich dieser mit einer zweiten Identität als syrischer Flüchtling in Deutschland registrieren ließ. Bei einer Hausdurchsuchung finden sie Todeslisten und offensichtlich Vorbereitungen auf einen Terroranschlag, den der deutsche A. vermeintlich als syrischer Flüchtling ausführen wollte.

Was damals noch niemand ahnt: Franco A. ist nur ein Teil eines rechtsextremen Netzwerks aus aktiven und ehemaligen Soldaten und Polizisten, die sich in Chatgruppen miteinander über den Tag X austauschen – jenen Tag, an dem die staatliche Ordnung zusammenbricht. Folgt man ihren Spuren, landet man bei einem Verein für ehemalige Elitesoldaten, beim deutschen Verfassungsschutz, einem merkwürdigen Ritterorden in Österreich – und beim heimischen Verteidigungsministerium, wie Recherchen von STANDARD, Taz und Schweizer WOZ zeigen.

Im Zentrum des Netzwerks steht ein ehemaliger deutscher Elitesoldat namens André S., besser bekannt als "Hannibal". Er gründete gemeinsam mit einem Verfassungsschützer den Verein Uniter, der Sicherheitsdienste anbietet und global vernetzt ist. Außerdem war er Administrator geheimer Chatgruppen, in denen sich Soldaten, Polizisten und Security-Mitarbeiter über "sichere Häuser", Bedrohungsszenarien und Fluchtrouten unterhielten. Eine solche Chatgruppe gab es auch für Österreich, wie aus Zeugenbefragungen der deutschen Ermittler hervorgeht.

Einige Mitglieder der Chatgruppen entwendeten Waffen und Munition aus den Beständen der Bundeswehr und legten einen Ordner mit Feindlisten von Politikern und Personen aus der linken Szene an. Am Tag X sollten diese Personen dann zusammengerottet, an Straßensperren vorbeigeschmuggelt und eliminiert werden, sagte ein Zeuge zu den deutschen Ermittlern.

Von den rechtsextremen Tendenzen in der deutschen Bundeswehr wussten auch die Attentäter von Neuseeland Bescheid, die am Freitag 49 Menschen in zwei Moscheen ermordeten. Ein mutmaßlicher Terrorist, der das berüchtigte Manifest verfasste, verlinkte noch am Mittwoch zu zwei Artikeln des deutschen Auslandssenders "Deutsche Welle", in denen 2017 etwa von Franco A. und anderen Rechtsextremen berichtet wurde. Damals war zwar bekannt, dass die deutsche Bundeswehr ein großes Problem mit Rechtsextremismus in den eigenen Reihen hat – dass Franco A. und andere sich über geheime Chatgruppen austauschten, wurde jedoch erst später enthüllt. Noch ist unklar, ob die neuseeländischen mutmaßlichen Attentäter diese Informationen auch wahrgenommen haben. In seinem Manifest schreibt der mutmaßliche Terrorist jedenfalls davon, dass es in Europas Armee hunderttausende nationalistische Soldaten gäbe.

Von Wiener Bällen und Pistolen

Zurück zu Franco A.: Der Soldat war im Februar 2017 zum zweiten Mal binnen weniger Tage nach Wien gereist. Ein paar Tage vor seiner Festnahme hatte er gemeinsam mit Freunden den Ball der Offiziere besucht. In seiner Vernehmung gibt er an, bei einer Beisltour durch Wien in einem Gebüsch eine Pistole gefunden zu haben. Nach seiner Übernachtung entdeckte Franco A. angeblich vor dem Security-Check am Flughafen Wien, dass er die Waffe noch eingesteckt hatte. Er geriet in Panik und versteckte sie auf der Behindertentoilette, dann reiste er ab. Am 3. Februar, dem Tag des Akademikerballs, kehrte A. nach Wien zurück.

Die Pistole war zwischenzeitlich von einer Putzfrau gefunden worden, die Polizei hatte eine Videofalle installiert. Als A. die Pistole wieder an sich nehmen will, wird er verhaftet. Die Affäre nimmt ihren Lauf, Ermittler entdecken ein weitverzweigtes Netzwerk im deutschsprachigen Raum, das auch nach Wien führt. In den Chatgruppen sind mindestens einige Dutzend Personen aktiv, genaue Informationen dazu sind nicht öffentlich. Deutsche Ermittler fragen bei ihren Vernehmungen zu dem Fall etwa immer wieder, ob Zeugen Franco A.s Bekannten M.R. kennen, der Franco nach Wien eingeladen hatte.

Die österreichischen Behörden führen auf Bitten ihrer deutschen Kollegen eine Hausdurchsuchung in Wien durch. M.R. ist in Wien gut vernetzt: Der ehemalige deutsche Bundeswehrsoldat studiert an der Universität, und er treibt sich in Burschenschafter-Kreisen herum. Zu seinem Umfeld gehören auch zwei Mitarbeiter des österreichischen Verteidigungsministeriums. Bekannt ist er auch mit der Familie Gudenus. Ein Foto, das dem STANDARD vorliegt, zeigt M.R. und Clemens Gudenus, Bruder von FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus und derzeit FPÖ-Bezirkspolitiker in Wien-Wieden, gemeinsam auf einer Couch sitzend. Clemens Gudenus sagt dem STANDARD, dass M.R. "nur einer von 2800 Facebook-Freunden" sei. Franco A. kenne er nicht.

Parallel zur Hausdurchsuchung in Wien versuchen die Mitglieder der geheimen Chatgruppen, ihre Spuren zu löschen. Als André S., also "Hannibal", erfährt, dass die Medien über die Vorwürfe gegen Franco A., ein Mitglied der Chatgruppe "Süd", berichten, gibt er die Anweisung, alle Chats zu löschen. Das sagt S. zu deutschen Ermittlern. Er wolle damit verhindern, dass Beamte, Soldaten und Richter in den Chatgruppen beruflichen Schaden davontragen.

Wer ist dieser ominöse "Hannibal"? André S. war lange "Auskunftsperson" des Militärischen Abschirmdienstes in Deutschland (MAD). Der MAD ist das deutsche Pendant des Heeresabwehramts, also genau jene Institution, die sich um verfassungsfeindliche Tendenzen innerhalb des Militärs kümmern sollte. Vor dem Amtsgericht Köln beginnt am Mittwoch ein Prozess gegen Hannibals Kontaktmann beim MAD. Ihm wird vorgeworfen, "Hannibal" vor anstehenden Razzien gewarnt zu haben.

"Auffangcamps im Ausland"

Das ist nicht die einzige Verbindung, die zeigt, dass "Hannibals" Schattennetzwerk mit genau jenen Behörden verbunden zu sein scheint, die eigentlich um die Aufklärung seiner Aktivitäten bemüht sein sollten. Die taz hat diese Woche aufgedeckt, dass ein Beamter des baden-württembergischen Landesamts für Verfassungsschutz Gründungsmitglied des Vereins Uniter war. Auch "Hannibal" war bis zur vergangenen Woche stellvertretender Vorsitzender des Vereins, laut Recherchen der NZZ sitzt er noch im Präsidium.

Der Verein Uniter soll ehemaligen Elitesoldaten dabei helfen, sich wieder im "echten Leben" zurechtzufinden. Der 2012 gegründete Verein vernetzt sie mit Polizisten und anderen Personen aus der "Sicherheitsbranche". Nach außen hin wirbt er mit karitativen Aktivitäten, parallel dazu baut er jedoch eine Abteilung "Defence" auf.

Offiziell dementiert Uniter, mit der Prepper-Szene zu tun zu haben; also mit jenen Personen, die sich militärisch oder organisatorisch auf ein Horrorszenario vorbereiten. Doch in einem Newsletter an seine Mitglieder sprach Uniter schon vor vier Jahren von "Auffangcamps im Ausland" und anderen Mitteln, um sich zu präparieren.

Wie die Taz dieses Wochenende berichtet, soll Uniter versuchen, weltweit als Dienstleister im Sicherheitsgewerbe Fuß zu fassen. Vereinsmitglieder bieten Trainings für Sicherheitskräfte, aber auch für Zivilisten an – etwa auf den Philippinen, wo Streitkräfte des autoritären Präsidenten Rodrigo Duterte von Uniter instruiert worden sind.

In Österreich zum Ritter geschlagen

Wer dem Verein Uniter folgt, landet bald in Österreich. Uniter war als gesamter Verein Mitglied eines Pseudo-Ritterordens namens Lazarus Union, der auf der Burg Kreuzenstein bei Wien seinen Sitz hat. Hannibal, also André S., wurde auch selbst zum Ritter geschlagen. Ein Video zeigt, wie er letztes Jahr im Beisein des niederösterreichen Alt-Landeshauptmanns Erwin Pröll (ÖVP) und des ehemaligen Verteidigungsministers Werner Fasslabend (ÖVP) an einer Investitur in der Theresianischen Militärakademie Wiener Neustadt teilnahm. In dieser Zeremonie mussten die Herrschaften mit ihrer Ehre auf die Leitsätze der Lazarus Union schwören und versichern, ihren Korpsgeist zu bewahren. André S. ist laut Vereinsregister Vizepräsident der Lazarus Union.

Nach eigenen Angaben wirkt die Lazarus Union als karitative Organisation und besitzt einen Sonderberaterstatus bei den Vereinten Nationen. Der Schweizer Ableger von Uniter betont in einer Presseaussendung, im Zusammenhang von UN-Mandaten international tätig zu sein, und verweist gegenüber der Schweizer WOZ auf die Lazarus Union. Der Präsident der Lazarus Union, Wolfgang Steinhardt, betont gegenüber dem STANDARD, dass seine Organisation über keine UN-Mandate verfüge und dementiert jegliche Aktivitäten durch oder mit Uniter. "Bis die Vorwürfe entkräftet sind", hat Steinhardt die Gruppenmitgliedschaft von Uniter und Hannibals Funktion als Vizepräsident vor zwei Wochen ruhend gestellt.

Was aber bewegt einen Verein, der sich laut Statuten für Veteranen aus Spezialeinheiten engagiert und klandestin paramilitärische Strukturen im In- und Ausland aufbaut, prominentes Mitglied in einem österreichischen Ritterorden zu werden? Uniter gibt auf Anfrage des STANDARD dazu keine Antwort. Auch zu gemeinsamen Projekten wolle man "zum beiderseitigen Schutz der Mitglieder" keine Angaben machen.

"Hannibal" hat noch eine weitere Verbindung nach Österreich: Vor zwei Wochen tauchte er mit Namensschild auf der Waffenmesse Enforcetek in Nürnberg auf – und zwar am Stand einer österreichischen Firma, der High Profile Protection GmbH aus Kärnten. Die verlinkt unter dem Namen "Tacticalbros" auf Facebook immer wieder auf Uniter. Firmenmanager Klaus Anton Stöckl dementiert auf Anfrage des STANDARD, sich bei Uniter zu engagieren. Man habe André S., also "Hannibal", bei dem Stand auf der Messe eine "Plattform geboten", um einen Kaffee namens Black Ops Coffee zu bewerben. Diesen Kaffee, der "sehr gut schmecken" soll, habe man auch selbst im Einsatz. Verbindungen zu Uniter habe man keine, dessen Mitglieder seien lediglich potenzielle Kunden. Tacticalbros bietet neben unterschiedlichen Waffen auch "Ausbildungen" an. Etwa eine Woche in der Slowakei "absolut bestes Training für Scharfschützen und Spotter" mit Ausbildern, die laut Beschreibung Veteranen der Spezialeinheiten und der Nato sind.

Über Uniter selbst wurden auch schon Veranstaltungen in Österreich organisiert. Angaben zu Partnern will der Verein aber "aus Datenschutzgründen" nicht machen. Der Verein postet immer wieder Fotos aus Österreich, etwa vom Abflug eines Eurofighters. Uniter wird derzeit vom deutschen Generalbundesanwalt als Beobachtungsvorgang geführt.

Der Verfassungsschutz im deutschen Bundesland Baden-Württemberg, wo Uniter seinen Sitz hat, schloss eine Beobachtung vorerst aus. Die deutschen Grünen und die Linkspartei befürchten nun, dass die Behörden abermals ein rechtes Netzwerk vertuschen wollten, wie etwa bei der Terrorgruppe NSU.

Österreichs Behörden geben sich ebenfalls bedeckt. Das Verteidigungsministerium sagt nur, dass man "alle Entwicklungen innerhalb und außerhalb Österreichs beobachtet, die Auswirkungen auf die Sicherheit des Bundesheers haben könnten". Aus dem Innenministerium heißt es, dass man zu "laufenden Verfahren nicht Stellung" nimmt. Das Schattennetzwerk und seine Mitglieder bleiben also auch hierzulande noch im Verborgenen. So ist nicht bekannt, ob die heimischen Behörden die Protokolle der geheimen Chatgruppe für Österreich erhalten haben oder wissen, wer ihre Mitglieder waren. Bekannt ist nur, dass die deutschen Mitglieder am Tag X Richtung Süden flüchten wollen – also Richtung Alpenraum. (Fabian Schmid, Laurin Lorenz, 15.03. 2019)