Wien – Die Aktivisten der Solidaritätsgruppe "Freiheit für die PAZ Hernals 6" haben bereits im Vorfeld des Prozesses gegen fünf Afghanen und einen Iraner, die am 14. September 2018 in ihrer Zelle im Polizeianhaltezentrum am Hernalser Gürtel Feuer gelegt haben sollen, eine Prophezeiung über den Verlauf des Verfahrens abgegeben. "Die Angeklagten werden vielleicht in Reaktion darauf unterschiedliche und einander widersprechende Strategien wählen, um sich zu verteidigen", steht auf der Website der Gruppe. Wie sich am Freitag vor dem Schöffensenat unter Vorsitz von Alexandra Skrdla zeigt, war das "vielleicht" überflüssig.

Staatsanwalt Wolfram Bauer wirft dem aus zwischen 20 und 35 Jahre alten Männern bestehenden Sextett versuchte Brandstiftung vor. Der Ankläger ist überzeugt, die Angeklagten hätten "schon länger geplant, Aufmerksamkeit zu erregen und die Augen der Öffentlichkeit auf ihre Situation zu richten". Bis zu zwei Monate seien die Männer schon in Schubhaft gesessen, eine Abschiebung wollten sie verhindern.

Geschichte über vergleichbaren Fall in Deutschland

Der Erst- und der Zweitangeklagte, Masood K. und Alborz G., seien federführend gewesen, glaubt Bauer. G. sei erst am Vorfallstag in die Zelle verlegt worden und habe von einem angeblichen Fall in Deutschland erzählt, wo Schubhäftlinge freigelassen worden seien, nachdem sie Feuer gelegt hatten.

Die Gruppe habe "einen vermeintlichen Abschiedsbrief verfasst", aber nie einen Selbstmord geplant. "Danach haben sie Spinde vor die Zellentür gerückt, kleine Handtücher mit zwei Feuerzeugen angezündet und damit ihre Matratzen in Brand gesteckt." Vor den Rauchschwaden hätten sie sich auf dem WC in Sicherheit gebracht, nachdem K. noch den Alarmknopf gedrückt habe.

Der Brand sei aber größer geworden als geplant, vermutet der Staatsanwalt: So habe der Großteil der Angeklagten selbst Rauchgasvergiftungen erlitten, darüber hinaus wurden noch drei Polizisten bei der Rettung verletzt, und 50 Häftlinge mussten in Sicherheit gebracht werden, der Sachschaden betrug rund 60.000 Euro. Bauers Conclusio: "Es war alles die Inszenierung eines kollektiven Selbstmordes."

Vier von sechs sind vorbestraft

Bei den Angeklagten offenbaren sich bereits bei der Überprüfung der Generalien Widersprüche. Erstangeklagter K. erklärt, er sei nicht am 29. Juli 1999, sondern am 1. Juni 1995 geboren. "Können Sie das irgendwie nachweisen?", fragt Vorsitzende Skrdla. "Meine Mutter hat es mir gesagt", hört sie. "Wie kommt es dann zu 1999?" – "Das weiß ich nicht, das war ein Fehler." Bei der Frage nach Vorstrafen lässt G. als Antwort "Eine" übersetzen. "Sicher?", ist Skrdla skeptisch. "Ja." Wie die Vorsitzende dem Strafregisterauszug entnimmt, waren es im Jänner sowie im Juni 2018 doch zwei Stück.

Der Zweitangeklagte G. sagt, er sei zweimal in Deutschland wegen illegaler Einreise im Gefängnis gewesen, Skrdla hält ihm daraufhin vor, dass er zweimal wegen Schlepperei verurteilt worden sei. Der Fünftangeklagte wiederum beteuert, nur einmal wegen eines Suchtmitteldelikts verurteilt worden zu sein, das damalige Gericht sah aber auch einen versuchten Widerstand gegen die Staatsgewalt und eine schwere Körperverletzung gegeben. Die Nummer sechs auf der Anklagebank spricht von "zwei kleinen Vorstrafen", auch er hat eine dritte Vorverurteilung vergessen.

Unterschiedlichste Verantwortungen

Wie ihre Verteidigerinnen und Verteidiger ankündigen, werden sich die Angeklagten Nummer eins, zwei und sechs nicht schuldig bekennen. K.s Rechtsvertreterin führt aus, dass ihr Mandant sogar Schlimmeres verhindert habe: "Als das Feuer ausgebrochen ist, ist er als Einziger zum Notfallknopf gerannt!" Darüber hinaus sei er psychisch beeinträchtigt gewesen und unter Medikamenteneinfluss gestanden.

Die Angeklagten Nummer drei und vier wählen eine andere Verteidigungsstrategie. "Es sollte ein kleines Feuer mit ein wenig Rauch sein", beschreibt der Vertreter des Drittangeklagten den Plan. "Es ging um einen Showeffekt, um hier in Österreich bleiben zu können." Sein Mandant habe aber nie Menschen gefährden und auch keine Feuersbrunst auslösen wollen, ebenso wenig der Viertangeklagte.

Die dritte Version kommt vom Verteidiger des Fünftangeklagten. Dieser sei der Einzige, der sich im Sinne der Anklage schuldig bekennen werde, wird angekündigt, weshalb der Senat auch beschließt, mit der Einvernahme von Noor A. zu beginnen.

Gebet vor Brandstiftung

Widerspruchsfrei ist dann auch diese nicht. Er schildert, vier der Angeklagten hätten davon gesprochen, dass, wenn sie Glück hätten, vielleicht jemand den Brand überlebt. Das habe aber keine Rolle gespielt, da ihnen in Afghanistan ohnehin der Tod drohe. Man habe den Brief unterschrieben und gebetet, danach seien gemeinsam die Matratzen in Brand gesteckt worden.

Danach will er nicht mehr viel mitbekommen haben: "Ich wurde ohnmächtig." – "Im Zimmer?", will die Vorsitzende wissen. "Ja." – "Wie kamen Sie dann in das WC? Die Polizisten haben nur eine Person außerhalb gefunden", wundert sich Skrdla. "Das weiß ich nicht. Als ich aufgewacht bin, war ich im Krankenhaus."

"Wir wollten uns nicht wirklich umbringen"

Der Drittangeklagte, der bereits am Tag nach dem Vorfall erstmals von der Polizei befragt wurde, bleibt dagegen dabei, dass kein Selbstmord geplant gewesen sei. "Wir wollten uns nicht wirklich umbringen. Wir wollten nicht, dass die ganze Zelle brennt. Nur ein wenig, damit ein Rauch entwickelt wird, den die draußen sehen. Keiner von uns wollte sterben." Er habe auch daran geglaubt, nach einer derartigen Aktion freigelassen zu werden, wie es der Zweitangeklagte angekündigt habe.

Planmäßig sollte der Prozess am nächsten Freitag abgeschlossen werden. (Michael Möseneder, 15.3.2019)