Nur scheinbar verfrostet: Als Jude auf der Flucht durch Frankreich entfaltet Ex-Generaldirektor Jacobowsky (Johannes Silberschneider) Charme und Menschlichkeit.

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Die "Komödie einer Tragödie" nannte Franz Werfel einst sein Emigrationsdrama Jacobowsky und der Oberst. Zur Rechtfertigung einer solchen Gattungsbezeichnung hat der Prager Dichter Weisheiten en masse ausgestreut. Merksätze, wie nur Daseinsangst und höchste Bedrängnis sie lehren.

"Die Situation ist hoffnungslos, aber nicht ernst." Oder: "Der einzige Vorsprung, den der Verfolgte auf der Welt hat, besteht darin, dass er nicht der Verfolger ist…"

Man hört diese Sätze im Wiener Josefstadt-Theater wie beiläufig ausgesprochen. Sie verraten, dass das Handwerk der Desillusionierung überlebensnotwendig ist. Sie erklären aber auch, warum dieses immer wieder (zu Unrecht) verkitschte "Roadplay", Anfang der 1940er von Werfel im kalifornischen Exil geschrieben, nichts von seiner überlegenen Heiterkeit verloren hat.

Sein dringlicher Appell lautet: Verhalte dich jeden Tag so, als wäre es dein letzter. Und stelle dir vor, du müssest dich noch am selben Abend in den Spiegel schauen! Die Figur des Jacobowsky hat Werfel sich von der Wirklichkeit abgeschaut. Einen aus jeder Verankerung gerissenen Juden, der sich etwa seit Anbruch der 1930er-Jahre gezwungen sieht, vor der anrollenden Dampfwalze des Nazi-Terrors quer durch Europa zu flüchten. Der dabei aber eine eigentümliche Anmut an den Tag legt. Der sich quasi auf Zwischenstation in Frankreich befindet. Dort gibt er, obwohl als korpulent geschildert, den anmutigen Artisten auf dem Hochseil des Lebens.

Zur Freundlichkeit verurteilt

Jacobowsky (Johannes Silberschneider) ist der zur teilnahmsvollen Freundlichkeit verurteilte Wanderer, den die anderen in ihrer Mitte leiden. Er muss nur ihren Vorstellungen entsprechen, wie man sich als Jude, notabene auf Durchreise, zu benehmen hat. Der witzelt und sich dabei in seinem Dreiteiler eine lässige Eleganz bewahrt. Frankreich kollabiert im Lärm der Sturzkampfbomber. Jacobowsky füttert die Mitgefangenen im Pariser Schutzkeller anno 1940 mit Makronen.

Er hat für jede und für jeden ein liebenswürdiges Wort übrig. Für die Passanten und Randfiguren, die von Regisseur Janusz Kica mit großem Ernst und ebenso hohem Können vor nachtschwarzer Kulisse für die Dauer von Lidschlägen zu schattenhaftem Leben erweckt werden.

Die "alte Dame aus Arras" (Marianne Nentwich), der schon der Ruch der Vichy-Kollaboration anhaftet. Die patente Hotelwirtin (Ulli Maier), die inmitten der Auflösung auf ihre ungewöhnlichsten Gäste Blicke von Begehrlichkeit wirft.

Der lachhafteste Gast von allen ist der – nach Jacobowksy – zweitmutigste. Ein polnischer Kavallerieoffizier (Herbert Föttinger), der der in London weilenden Exilregierung seines Landes zuarbeiten soll. Der Dokumente von unschätzbarem Wert bei sich trägt und sie nach England exportiert. Der aber lieber in Seelenruhe den schönsten Pariser Koketten (Alma Hasun) beiwohnt und sich nachher in aller Öffentlichkeit die Uniform zuknöpft. Oder, später, verzweifelt am Hosenstall herumreißt.

Salonpolnischer Zinnsoldat

Oberst Stjerbinsky verquickt seine Flucht durch Frankreich mit derjenigen Jacobowskys. Er lehnt es ab, sich den Namen seines jüdischen Gefährten und Wohltäters zu merken. Dieser salonpolnische Zinnsoldat spielt lieber seiner Geliebten "Marianne" (Pauline Knof) irgendwo in Frankreichs Provinz auf der Geige zum Schäferstündchen auf.

Er hütet seine Duellpistolen wie andere nicht einmal ihre Augäpfel. Vor allem aber wirft er dem jüdischen Reisegefährten dessen "kriechende Sanftmut" vor.

Er hat einen einfältigen Sancho Pansa (Matthias Franz Stein) als Begleiter. Von allen Figuren macht er die tiefste Wandlung durch. Er lernt, sein jüdisches Gegenüber nicht als Widersacher zu begreifen, sondern als Bruder im Elend.

Europa in Schutt und Asche

Rundherum fällt Europa in Schutt und Asche. Doch dieses Trio infernale – Maier, Silberschneider, Föttinger – benimmt sich nach Maßgabe seiner (überholten) Auffassung von Kultur. Knof, die sich von der ewigen Boudoir-Schönheit in eine Resistance-Kämpferin verwandelt, tänzelt voller Anmut über einen geknickten Telegrafenmast. Selbst die Nazi-Okkupanten lassen sich von Silberschneiders Suada für die Dauer von Sekunden in Menschen mit Empathie verwandeln. Ein Wunder, nicht zu glauben.

Es ist, als würden die Flüchtlinge das Elend ihrer Entwurzelung nicht transzendieren, aber wenigstens aufheben. Kicas klug gekürzte, um allegorischen Ballast erleichterte Inszenierung lebt nicht nur von hinreißenden Schauspielern. Sie stellt die Aussichtslosigkeit der Lage, trotz glückender Flucht, nicht in Frage. Sie nimmt sie ernst, aber verlacht sie zugleich. Chapeau! (Ronald Pohl, 15.3.2019)