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Präsident Erdoğan sucht den Schulterschluss.

Foto: Presidential Press Service via AP, Pool

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan liebt die Rolle als Verteidiger aller Muslime weltweit. So war er einer der ersten Staatschefs, die die unterdrückte Minderheit der Rohingya in den Flüchtlingslagern in Bangladesch besuchten und Myanmars Regierung des Völkermords bezichtigten. Ebenso schnell reagierte er nun auf das Attentat in Neuseeland. Noch am Freitag stellte die Regierung eine Delegation zusammen – darunter Vizepräsident Fuat Oktay und Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu –, die sich so schnell wie möglich auf den Weg nach Neuseeland machte. Ersterer sagte noch vor dem Abflug: "Dieser Terroranschlag zeigt wieder einmal, dass der Hass auf den Islam keine Grenzen kennt."

Unterdessen verabschiedete das türkische Parlament eine parteiübergreifende Erklärung, in der das Attentat verurteilt wird, in der sich aber auch der eine oder andere Seitenhieb auf westliche Politik und Medien versteckt. Der Anschlag sei ein Resultat von Islamophobie und Hatespeech, heißt es darin. "Westliche Regierungen und Medien sollten sich kategorisch gegen alles aussprechen, was islamfeindliche Handlungen und Gefühle hervorruft."

Noch einen drauf setzte der für markige Sprüche bekannte Innenminister Süleyman Soylu: "Dieser sündenhafte Vorfall gehört zur westlichen Zivilisation, die zwischen Nationalität und Religion der Getöteten unterscheidet." Erdoğan selbst ließ am Samstag auf einer Wahlkampfveranstaltung in Tekirdağ im europäischen Teil der Türkei auch Filmaufnahmen des Attentats zeigen – was sogar in der türkischen Presse auf Kritik stieß.

AKP spekuliert auf politisches Kleingeld

Nun finden am 31. März Kommunalwahlen statt. Und traditionell kommt bei den türkischen Wählern alles gut an, was in Richtung Wagenburgmentalität geht. So fürchtet man gern kollektiv, dass finstere ausländische Mächte die Türkei aufteilen wollen. Ebenso glauben viele, der eigentlich Grund dafür, dass die Türkei noch nicht EU-Mitglied ist, sei die grassierende Islamophobie in Europa. Insofern nutzt die Regierungspartei AKP die Geschehnisse, um im Wahlkampf zu punkten. Da die Gruppe der nationalistischen Wähler derzeit am heißesten umkämpft ist, wagt auch die größte Oppositionspartei CHP nicht, einen anderen Ton anzustimmen.

Allerdings ist das Land vom Anschlag in Christchurch tatsächlich indirekt betroffen. Zum einen hat sich der Täter mindestens zweimal für mehrere Tage in der Türkei aufgehalten. Gesichert gilt das für die Zeit vom 17. bis 20. März und 13. bis 25. September 2016. Was er dort tat, ist bisher unklar. Möglich ist, dass er dabei potenzielle Anschlagsorte suchte. Die Behörden wollen jetzt untersuchen, was genau er dort getan hat. Unter den Verletzten befinden sich außerdem zwei türkische Staatsbürger, die derzeit in einem Krankenhaus in Neuseeland behandelt werden.

"Manifest" bezieht sich auf die Türkei

Zum anderen bezieht sich der Täter in seinem "Manifest" mehrmals auf die Türkei. So sollen die Türken sich von der europäischen Landmasse gefälligst fernhalten, und auch Istanbul mögen sie bitte bis auf den asiatischen Teil räumen. Die Hagia Sophia, einst Kirche, dann Moschee und heute Museum, solle gefälligst wieder Kirche werden und überhaupt alle Minarette und Moscheen verschwinden. Östlich des Bosporus aber können die Türken friedlich leben.

Für den türkischen Präsidenten im Wahlkampf sind das Steilvorlagen. (Philipp Mattheis aus Istanbul, 17.3.2019)