Ähnlich wie der plüschige Tea-Room der Confiserie Roggwiller im schweizerischen St. Gallen stellen die Abonnementkonzerte der Philharmoniker einen Rückzugsort dar, zu dem die Zumutungen der Gegenwart nur begrenzt Zutritt haben. Wenn hier schon unbedingt ein Werk der Moderne gespielt werden muss, dann bitte schön eines, das über hundert Jahre alt ist und ein bisschen wie Haydn klingt – so geschehen am Samstag mit Prokofieffs Symphonie classique.

Kurz vor der Oktoberrevolution hat der Komponist das Werk als produktives Ergebnis seiner Landflucht fertiggestellt, und die Zuhörer lieben seinen augenzwinkernden Akt des Eskapismus vor der nahenden Moderne seitdem. Bei den Philharmonikern wirkte – unter Daniel Barenboims zurückhaltender, selektiver Leitung – jedoch erst der Finalsatz mit den wieselflinken Aktivitäten und feinen Perlage maßvoll belebend.

Gewitter mit Mahler

Auch der Kopfsatz von Mahlers Erster überzeugte nur partiell: Da war viel Stillstand ohne Spannung, der Zauber des Werdens wollte sich nur begrenzt entfalten. Im wuchtigen, robusten Scherzo war das Energieniveau höher; elegant und lasziv die Glissandi der ersten Geigen im Trio, wundervoll die feinen Zurücknahmen, kunstfertig die Volksmusik-Einsprengsel im langsamen Satz.

Und dann kam der vierte Satz wie ein Gewitter über die Zuhörer: der Einbruch der Realität, dann doch. Die Gewalten, die die Philharmoniker unter Barenboim entfesselten, beängstigten, der Durchbruch zum finalen D-Dur mit der davonsprengenden Trompetenschar war ein Erweckungserlebnis.

Die noblen, mächtigen Paukenwirbel von Erwin Falk verbanden einzigartig Dynamik und Eleganz. Bei den vier Takten des doppelten Paukenwirbels am Ende meinte man, ein schweres viermotoriges Propellerflugzeug würde im Musikverein starten. Gänsehaut. Und ganz viel Applaus. (Stefan Ender, 17.3.2019)