Kirche und König sind recht zufrieden: Johanna (Lena Belkina) wird gefeiert.

Foto: Kmetitsch

Wien – Papa sucht in der Küche sein schnelles Glück zwischen den Beinen einer unbekannten Schönen. Pech nur, dass Tochter Johanna stört und das horizontale Vergnügen in väterliche Peinlichkeit verwandelt. Allerdings hindert die Sexpanne den Erziehungsberechtigten nicht daran, der Tochter die baldige Landung im Hafen der Ehe mit Raimond (Raymond Very) nahezulegen. Doch es gibt Stunk; die Zeiten ändern sich.

Der Konflikt mit der Identitätssucherin wird durch Vaters Drängen (nobel Willard White) weiter befeuert: In Johannas Mädchenzimmer hängen schließlich Poster aufmüpfiger Damen, die mit geballter Faust ihre Selbstbehauptung zelebrieren.

Aufblühenden Fantasie

Auch die Protestcombo Pussy Riot ist zu entdecken. Johanna will ausbrechen. Der Rucksack wird gepackt. Verweist der Ranzen mit seinem Tarnfarbendesign auf kriegerische Ambitionen, scheint Johanna allerdings nicht jene Jungfrau von Orleans zu werden, der Tschaikowski seine sehr selten gespielte Oper tatsächlich zugedacht hat.

In der Inszenierung von Lotte de Beer verlässt die junge Dame ihr Zimmer offenbar nur in ihrer aufblühenden Fantasie. Als hätte sich ein Kapitel aus dem Geschichtsbuch ihrer bemächtigt, tagträumt sie sich durch die Biografie der französischen Gotteskriegerin. Zur Superheldin des 15. Jahrhunderts wird dieses Mädchen, Johanna, nur in einer imaginierten Sphäre, die im Theater an der Wien gerne mit reichlich Trockeneisnebel und Drehbühneneffekten herbeigezaubert wird.

Zu viel aufgebürdet

Letztlich wird das Regiekonzept jedoch von der historisch geprägten Geschichte erdrückt und als doch etwas aufgesetzt entlarvt. Tschaikowskis Version wirkt wie ein ins Geschehen hereinplatzender Störfaktor einer heutigen Teenagergeschichte, der zu viele Lasten aufgebürdet werden. Es ist ja auch König Karl VII. (ausgezeichnet Dmitry Golovnin) Teil jener sich vergnügenden und skeptischen Männergesellschaft, gegen die Johanna sich zu behaupten hat.

Und natürlich ist die Auseinandersetzung mit der Kirche zu führen, die in Gestalt des Erzbischofs von Reims auftritt, den Martin Winkler mit kurzweiliger Skurrilität ausstattet. Bisschen viel "Vaterkonflikte" für eine junge Dame von heute. Und wenn bei der Liebesszene zwischen Johanna und Lionel (solide Kristjan Johannesson) mittelalterliche Soldaten ins Mädchenzimmer der ersten Liebesnacht torkeln, wird es auch unfreiwillig komisch.

Poetischer Luftkrieg

In solch Momenten der Kollision zwischen Regiekonzept und Oper schlägt sich die Inszenierung zwar unter ihrem Wert. Es gelingen andernorts aber eindringliche Bilder: Waffengeklimper wird in eine Art akrobatisch-poetischen Luftfight schwebender Körper transformiert (Choreografie: Ran Arthur Braun). Und wenn es um Vorbilder geht, sucht Johanna ein engagiertes Grüppchen heim, dessen Teil Vorkämpferinnen fürs Frauenwahlrecht sind wie auch Margaret Thatcher und Popsängerin Madonna.

Johanna tankt also Motivation im Wunderland der Role-Models, während sie andernorts inmitten blutiger Schüttbilder Schmerz erfährt (Ausstattung: Clement und Sanou). Solch Szenengemälde heben den Abend über das Verwirrende des Konzeptes, in dem auch Lena Belkina (als Johanna) darstellerisch etwas verloren wirkt.

Robuste Stimme

Immerhin ermöglicht ihre im Dramatischen robuste Stimme eine respektable Performance, die schließlich in einer Begegnung Johannas mit ihrem historischen Pendant mündet: Der Teenager tanzt mit der jungfräulichen Kriegerin. Nun ja.

Während dies eher ideenflach wirkt, überzeugen das Ensemble, der Schönbergchor und die Wiener Symphoniker durch Engagement. Unter der Leitung von Dirigentin Oksana Lyniv bieten Letztere eine kompakte, nie gefühlige Umsetzung der romantisch-süffigen Partitur, die nur punktuell Tschaikowskis Genie erahnen lässt. (Ljubiša Tošić, 17.3.2019)