Wien – Mit dem Versprechen "In der Prater Alm in Wien, der tiefstgelegensten Alm der Welt, erwartet Sie ein traditionell alpines Ambiente" wirbt ein Etablissement im bundeshauptstädtischen Freizeitareal um Gäste. Ob eine Wirtshausschlägerei unter "traditionell alpines Ambiente" fällt, sei dahingestellt, ein Faustschlag in dem Lokal hat den 23-jährigen Manuel K. jedenfalls vor Richterin Julia Matiasch und den ein Jahr jüngeren Matthias T. ins Krankenhaus gebracht.

Dass T. am 29. September durch mehrere Knochenbrüche im Gesicht schwer verletzt wurde, steht fest. Klar ist auch, dass der Angeklagte sie verursacht hat. Allerdings bekennt sich der Unbescholtene zur Anklage der schweren Körperverletzung nicht schuldig, da er in Notwehr gehandelt habe.

Erst die Wiesn, dann die Alm

K. besuchte an diesem Tag mit Freundin, Schwester und zwei weiteren Bekannten zunächst die "Wiener Wiesn", ehe man in die Prater Alm wechselte. Der später Verletzte fiel dem Quintett bereits beim Eingang auf: "Der hat draußen schon gegen die Tür getreten und war aggressiv", erinnert sich der Angeklagte.

Etwa 20 Minuten später, als die Gruppe um K. bereits an ihrem Tisch saß, kam T. und begann mit E., einem Freund des Angeklagten, zu sprechen. "Sie haben darüber diskutiert, warum E. so deppert schaut", sagt der Angeklagte. Der Austausch der Argumente in diesem Streitpunkt währte nur kurz, dann zertrümmerte T. ein gefülltes Weinglas auf dem Tisch der Gruppe.

"Er hat dem sitzenden E. dann mit der Faust ins Genick geschlagen, ich wollte sie trennen und bin aufgestanden. Da ist er schon mit erhobenen Fäusten auf mich zugekommen und hat ausgeholt. Ich wollte sogar noch einen Schritt zurückgehen, aber da war schon die Theke. Also habe ich ihn einmal ins Gesicht geschlagen, und er ist umgefallen", schildert K. weiter. Danach habe er seiner Freundin gesagt, sie solle die Polizei rufen.

Verletzter mit lückenhafter Erinnerung

T., der Verletzte, ist keine große Hilfe bei der Aufklärung des Sachverhalts. "Ich habe kaum mehr eine Erinnerung. Ich war mit Arbeitskollegen feiern, bin dann anscheinend mit irgendwem anderen in Streit geraten. Dann war die Polizei da, und ich kam ins Krankenhaus", ist alles, was er zum Vorfall sagen kann. Auf Matiaschs Nachfrage gesteht er ein, ziemlich betrunken gewesen zu sein.

"Haben Sie sonst auch Erinnerungslücken durch Alkohol?", will der Staatsanwalt vom Zeugen wissen. "Ganz früher schon", lautet die Antwort. "Und werden Sie aggressiv, wenn Sie betrunken sind?", kommt als nächste Frage. T. schaut den Ankläger kurz stumm an und sagt dann: "Ich weiß es nicht genau."

"Aromatischer Geruch der Atemluft"

Die erschienenen Zeugen aus der Gruppe des Angeklagten bestätigen dessen Version und halten die Aggressivität und Alkoholisierung T.s fest. Wie hoch die genau war, ist unklar, da der Blutalkohol nicht gemessen wurde. Dafür verrät der gerichtsmedizinische Sachverständige Christian Reiter den ärztlichen Fachterminus für "Alkoholfahne": Bei der Einlieferung ins Spital vermerkten die Ärzte nämlich, es sei "ein aromatischer Geruch der Atemluft" wahrzunehmen gewesen. Die mehrfachen Knochenbrüche im Gesicht können laut Reiter durchaus durch einen einzelnen Schlag entstehen, noch dazu, da der Verletzte deutlich schmächtiger als der Angeklagte ist.

Für seine Schmerzen will T. über 21.000 Euro plus Zinsen, Verteidiger Johannes Schmidt weist den Anspruch zurück. Und stellt im Schlussplädoyer klar: "Das ist die klassische Notwehrsituation! Was hätte mein Mandant denn machen sollen? Ihn mit Wattebällchen bewerfen?"

Keine besondere Schonpflicht bei Betrunkenen

Matiasch stimmt ihm zu und spricht K. rechtskräftig frei. "Auch ich habe den Eindruck, dass eine klassische Notwehrsituation vorliegt", begründet sie ihre Entscheidung. "Darüber hinaus gilt laut Judikatur gerade bei Betrunkenen keine besondere Schonpflicht bei der Abwehr eines Angriffs", stellt sie klar. (Michael Möseneder, 30.3.2019)