Österreichisches Kino mit US-Grundierung: Caleb Landry Jones und Eléonore Hendricks in "To the Night".

Foto: Diagonale/Freibeuter

Egal, in welcher Sektion man zuletzt auf der Berlinale Filme sah, auf österreichisches Kino stieß man überall. Eine virtuelle Geisterkammer wie Rainer Kohlbergers It Has To Be Lived Once And Dreamed Twice stand neben bildgewaltigen Weltvermesssungen wie Nikolaus Geyrhalters Erde oder Marie Kreutzers Spielfilm um zwei konträre Schwestern, Der Boden unter den Füßen, mit dem die Diagonale heute eröffnet.

Mit Marie Kreutzers "Der Boden unter ihren Füßen" startet am Dienstag die Diagonale in der steirischen Landeshauptstadt.
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Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber, das Leitungsduo der Diagonale, dessen Vertrag bis 2021 verlängert wurde, hätten freilich auch mit Die Kinder der Toten den Auftakt riskieren können, der anarchisch-freien Elfriede-Jelinek-Adaption des Nature Theater of Oklahoma. Das hätte zwar mit der Praxis gebrochen, ein Premierenpublikum nicht übermäßig zu reizen. Dafür hätte der Film den Mehrwert einer Art Heimpremiere gebracht, gerät darin doch die Region Neuberg bei Mürz durch eine Horde Zombies aus dem Lot. Und, Heimatbilder geraten herrlich ins Strudeln.

Messbare Erfolge

Wie auch immer, insgesamt zeugen all diese Arbeiten von einer stilistischen Pluralität, die in den oft einseitig monetär ausgerichteten Debatten um "den österreichischen Film" gerne übergangen wird. Die Festivalerfolge heimischer Filmschaffender sind anders als manche Träume von nationalen Blockbustern real, also messbar. 609 Einladungen waren es laut Austrian Film Commission im Jahr 2018, Kurz- und Experimentalfilme nicht mitgerechnet. Mehr Sichtbarkeit im eigenen Land sollte dennoch möglich sein, nicht nur durch flexiblere Kinoangebote, sondern auch mehr Neugierde vonseiten der TV-Sender.

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Der Diagonale gelingt der Beweis der Vielgestaltigkeit des heimischen Films schon seit 1998 ohne allzu große Anstrengungen – in diesem Jahr wieder mit vielen Österreichpremieren, etwa dem jüngst in Hof erfolgreichen Nevrland von Gregor Schmidinger, der in die Angstwelten eines queeren Jugendlichen eindringt; oder mit Katharina Coponys In der Kaserne, der, zwischen Essay und Spielfilm oszillierend, Teile der eigenen Familiengeschichte wachruft.

Weiblichkeitsbilder, revisited

Um Rollenbilder geht es im historischen Special, das sich mit "Weiblichkeitsbilder" erstmals nur einem Überthema widmet: Externe Kuratorinnen und Kuratoren wurden eingeladen, aus der österreichischen Filmgeschichte auszuwählen und sich nicht auf Regisseurinnen zu beschränken – keine schlechte Idee, wenn man Ambiguität sucht und auch zur Diskussion stellen will. Das Feld reicht nun von Filmen wie Ulrich Seidls Models über VALIE EXPORTs Praxis der Liebe bis zu Filmen über das süße Wiener Mädl von Willi Forst. Institutionen wie Filmmuseum und das Filmarchiv wurden bei der Planung einbezogen, nicht aber der Verein Synema, auf dessen filmvermittlerische Expertise man sonst immer gezählt hat, dieses Jahr allerdings recht lapidar verzichtet hat.

Internationale Gäste wie Roland Klick, Volker Koepp oder Mia Hansen-Løve, deren vorbildliche Werkbiografien das Festival früher aufgeladen haben, vernachlässigt man schon länger. Die marketingfreundlichere Verkultung hat ein wenig die Vertiefung abgelöst. Personalen gelten heuer dem Schauspieler Hanno Pöschl, der nicht nur Wiener Strizzis emblematisches Profil verliehen hat, sowie dem Filmemacher Ludwig Wüst (Der Standard berichtete).

Umgekehrt ist der österreichische Film selbst internationaler geworden. In Peter Brunners in den USA gedrehtem Spielfilm To the Night spielt Caleb Landry Jones einen traumatisierten Jungvater. Die belgische Regisseurin Nathalie Borgers hat mit The Remains einen Film über die Bestattung im Mittelmeer ertrunkener Flüchtlinge gedreht, und Michaela Grills Antarctic Traces verzeichnet menschlichen Raubbau im ewigen Eis. (Dominik Kamalzadeh, 19.3.2019)