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Die Protestierenden werden mehr.

Foto: REUTERS/Ramzi Boudina

Der algerische Präsident Abdelaziz Bouteflika ist nach Angaben der Regierung offenbar bereit, die Macht an einen gewählten Präsidenten abzugeben. Dem habe der 82-Jährige zugestimmt, sagte der stellvertretende Ministerpräsident Ramtane Lamamra am Dienstag bei einem Besuch in Moskau. Zugleich kündigte Lamamra an, dass die Opposition an einer Regierung beteiligt werden solle, die die Präsidentenwahl überwachen werde. Die Regierung reagiere damit auf die berechtigten Forderungen des algerischen Volkes.

Der Druck auf die hinter Präsident Abdelaziz Bouteflika stehende Staatsführung Algeriens nahm zuvor weiter zu. Die vor einer Woche gemachten halbgaren Zugeständnisse an die Protestbewegung, die seit vier Wochen mit fast täglichen Großdemonstrationen den Status quo im Land herausfordert, ziehen nicht. Am Freitag schlossen sich nochmals deutlich mehr Menschen den landesweiten Massenprotesten an als in den Wochen zuvor. Sie machten damit unmissverständlich klar, dass sie sich mit nicht weniger zufriedengeben als mit einem echten politischen Neuanfang und einem Ende des "Systems". Bouteflika versprach daraufhin umfassende Reformen und ein neues politisches System. Die Verfassung des Landes solle grundlegend verändert werden, heißt es in einer am Montag verbreiteten schriftlichen Botschaft.

Allein in Algier waren zuvor Hunderttausende stundenlang Parolen skandierend durch die Innenstadt gezogen. "Republik, kein Königreich!" oder "Hau ab, Bouteflika!" hallte es in einer ohrenbetäubenden Lautstärke durch die Stadt, in der sich erneut ein Querschnitt der algerischen Gesellschaft den Frust von der Seele brüllte.

Nur Tage zuvor hatte Bouteflika per Brief die Präsidentschaftswahl verschoben, mit Innenminister Noureddine Bedoui einen neuen Regierungschef ernannt und eine politische Übergangsphase angekündigt – damit aber gleichzeitig die Verfassung verletzt. Denn Bouteflika soll trotz seines offiziellen Mandatsendes Mitte April auf unbestimmte Zeit im Amt bleiben. "Wir wollten Wahlen ohne Bouteflika, jetzt haben wir Bouteflika, aber keine Wahlen", ist auf einem Plakat in der Menge zu lesen. Die als Beruhigungspille gedachte Personalrochade an der Regierungsspitze erntete bisher vor allem eine ordentliche Prise Sarkasmus.

Ruf nach Zweiter Republik

Während sich das hinter den Kulissen regierende Geflecht aus Regimeparteien, Geschäftseliten und Sicherheitsapparat mit derlei politischen Manövern Zeit erkauft, bekommt auch die Protestbewegung mehr Zeit, um sich besser zu organisieren und Forderungen zu konkretisieren. Ging es zu Beginn der Proteste ausschließlich darum, Bouteflikas fünftes Mandat zu verhindern, wird heute eine zweite Republik gefordert. Es geht längst nicht mehr nur um Bouteflika, sondern um das System, das er repräsentiert.

Mittlerweile sieht sich Bouteflika auch mit Rücktrittsforderungen einer neuen politischen Gruppe konfrontiert. Der 82-Jährige solle die Macht zum regulären Ende seiner Amtszeit am 28. April abgeben, verlangte ein Zusammenschluss mit dem Namen "Nationale Koordination für den Wandel" am Dienstag. Ihm gehören neben Oppositionellen und Menschenrechtlern auch ehemalige Regierungsmitglieder und zwei in dem nordafrikanischen Land bekannte Islamisten an.

Aufruf ans Militär

Die neue Gruppierung rief das mächtige Militär auf, sich aus der Politik herauszuhalten. Die Armee solle ihre verfassungsgemäße Rolle spielen und sich nicht in die Entscheidungen des Volkes einmischen. Die Generale verfügen in Algerien traditionell über großen Einfluss, den sie üblicherweise hinter den Kulissen ausüben. In kritischen Situationen schritten sie in der Vergangenheit aber ein.

Russland zeigte sich unterdessen besorgt über die Proteste in Algerien. Es gebe Versuche, das nordafrikanische Land zu destabilisieren, sagte Außenminister Sergej Lawrow vor einem Treffen mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten von Algerien, Ramtane Lamamra.

Während der bereits als angezählt geltende Bedoui immer noch versucht, eine neue Regierung auf die Beine zu stellen – erst am Sonntag lehnten 13 unabhängige Gewerkschaften ein Gesprächsangebot dankend ab -, bröckelt Bouteflikas Unterstützerfront unaufhörlich weiter. Selbst der Polizeiapparat stellt sich inzwischen auf die Seite der Protestierenden.

Die Veröffentlichung von in Polizeihelikoptern aufgenommenen Videos von den Protesten in Algier, die expliziten Grautöne in Stellungnahmen der Polizeibehörde DGSN und die Tatsache, dass sich immer mehr Beamte folgenlos mit den Protesten solidarisieren, sprechen Bände. Die DGSN bereitet sich auf ein Post-Bouteflika-Algerien vor und will kein Chaos sähen. Fraglich bleibt nur, welche mit Bouteflika rivalisierende Fraktion im Machtapparat daraus politisches Kapital schlagen könnte. (Sofian Philip Naceur, 18.3.2019)