Wer mit dem Nokia 9 liebäugelt, sollte besser noch abwarten, ob HMD die genannten Probleme mit Softwareupdates in den Griff kriegt.

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Rund zwei Jahre lang schwirrt es in der Gerüchteküche herum: Ein Nokia-Smartphone mit sage und schreibe fünf Kameras auf der Rückseite. Ein Anblick, der jenen, die an Trychophobie (die medizinisch nicht anerkannte Angst vor vielen Löchern) möglicherweise Unwohlsein bescheren könnte, soll für einen neuen Qualitätsgrad bei Aufnahmen bürgen.

Vor wenigen Wochen wurde dass Smartphone, Nokia 9 "Pureview", dann schließlich von HMD enthüllt. Android Police hat nun die erste ausführliche Rezension veröffentlicht. Sie fällt ernüchternd aus.

Eigentlich gute Hardware

Der Ersteindruck des Nokia 9 ist eigentlich ein guter. Das Handy ist gut verarbeitet und kommt in einem IP67-zertifizierten Gehäuse aus Glas und Metall, überlebt also auch unbeabsichtigte Abstürze in Badewannen, Waschbecken und andere Gewässer von geringer Tiefe. Das einzige Manko, was man hier anführen kann: Die rückseitige Oberfläche ist sehr glatt, das Handy kann auf Tischen zu "wandern" beginnen, wenn es nicht plan aufliegt.

Das OLED-Display liefert gute Farbdarstellung und Helligkeit. Auf einen Notch wird verzichtet. Beim System setzt man weiterhin auf Android 9 "Pie", wobei das System nahezu unverändert ist. Auch das Nokia 9 ist Teil des Android One-Programms. Das bedeutet, Google arbeitet bei der Updateversorgung mit, es gibt mindestens drei Jahre lang monatliche Sicherheitspatches und zwei Jahre lang auch Updates auf neue Android-Versionen.

Android 9 auf "Pie"-Basis

Das System selbst ist auch gut optimiert. Auch wenn mit dem Snapdragon 845 der Spitzenprozessor der letztjährigen Flaggschiffgeneration an Bord ist, läuft alles sehr flott. Die RAM-Ausstattung mit sechs GB ist üppig. Dazu kommen ordentliche 128 GB Onboardspeicher. Der Akku liefert 3.220 mAh und ordentliche Laufzeiten. Die Ingredienzen für ein Spitzengerät sind an und für sich da, lediglich auf einen Kopfhöreranschluss wird verzichtet.

Störrischer Fingerprintscanner

Ein erstes von zwei großen Ärgernissen fällt aber schnell auf: Der In-Display-Fingerabdruckscanner. Diese neue Generation an Authentifizierungshardware arbeitet langsamer als ihre konventionellen Geschwister. Wäre das noch vertretbar, so hat HMD hier die Implementierung offenbar vermasselt. Der Scanner ist nicht nur zu hoch angebracht und daher nicht gut zu erreichen, sondern auch noch ausgesprochen störrisch.

Es braucht einen sehr festen Andruck, ehe er überhaupt in Betrieb geht und dann klappt die Erkennung in vielen Fällen nicht. Keine Chance hat man etwa, wenn man im Winter gerade draußen ist und die Hände kalt sind. Die Platzierung führt außerdem dazu, dass man am Sperrbildschirm oft versehentlich andere Buttons klickt, wenn man versucht, sich per Fingerabdruckscanner einzuloggen.

Tolle Fotos, ewig langsame Kamerasoftware

Ähnlich fällt das Urteil über die Kamera aus. Hier kombiniert HMD fünf 12-Megapixel-Sensoren, zwei mit Farberkennung, drei ohne, was – unterstützt von KI – unter anderem eine deutlich feinere Tiefenwarnehmung bringen soll. Dazu gibt es einen Laserfokus sowie einen Time-of-flight-Sensor.

Die Fotos, die das Gerät liefert, sind auch in der Tat beeindruckend. Sie zeichnen sich mit einem sehr hohen Detailgrad und sehr großer dynamischer Bandbreite aus. Das Handy lässt sich von großen Beleuchtungsunterschieden in einer Szene nicht durcheinander bringen. Auch die nachträgliche Fokusänderung klappt meistens, einzig bei manchen Motiven – etwa eine Anordnung von Bäumen mit vielen Ästen – wird das System allerdings etwas verwirrt.

Das Versprechen starker Fotos wird grundsätzlich eingelöst, nur der Weg dorthin ist steinig. Nach jeder Aufnahme braucht die Kamera etwa 20 Sekunden, um das eingefangene Material zu verarbeiten und in einem Bild zu kombinieren. Die Verarbeitung beansprucht das System in hohem Maße. Und wer zu früh erneut auf den Aufnahmebutton klickt, kann mitunter auch Aufnahmen verlieren, wenn das Handy noch damit beschäftigt ist, das vorherige Foto zu erstellen.

Lieber abwarten

Aufgrund dieser beiden fatalen Schwächen rät Android Police daher derzeit davon ab, das Nokia 9 zu kaufen. Kein Smartphone dieser Preisklasse – 649 Euro wird es bei uns kosten – sollte einen derart unkooperativen Fingerabdruckscanner haben und die Verwendung der Kamera macht in der aktuellen Form nur wenig Spaß, so die Argumentation.

Komplett abschreiben sollte man das Smartphone allerdings noch nicht. Es ist gut denkbar, dass HMD die Situation in den kommenden Wochen und Monaten mit Softwareupdates verbessert. Angekündigt hat der Hersteller solche Maßnahmen bereits. (red, 19.03.2019)