Neuseelands Regierungschefin Ardern traf Mitglieder der muslimischen Gemeinschaft im Parlament.

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Christchurch – Bereits am Dienstag hat Neuseeland den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan wegen der Verwendung eines Videos des Anschlags von Christchurch bei seinen Wahlkampfauftritten scharf kritisiert. Eine solche Politisierung des Massakers "gefährdet die Zukunft und die Sicherheit der neuseeländischen Bevölkerung und unserer Bürger im Ausland und ist vollkommen unfair", sagte Außenminister Winston Peters.

Nun will er in die Türkei zu reisen, um den türkischen Präsidenten mit dessen Aussagen zu "konfrontieren". "Er fährt dorthin, um die Dinge richtigzustellen, von Angesicht zu Angesicht", kündigte Ministerpräsidentin Jacinda Ardern am Mittwoch an.

Außerdem werde er auf Wunsch der Türkei am Freitag an einem Sondertreffen der Organisation für Islamische Kooperation (OIC) in Istanbul teilnehmen, sagte Peters. Er habe sich direkt beim türkischen Vizepräsidenten Fuat Oktay und bei Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu über die Verwendung des Videos beschwert, als diese nach dem Anschlag auf die beiden Moscheen in Christchurch die Stadt besuchten.

Erdoğan erinnert an Schlacht von Gallipoli

Erdoğan zeigte die Aufnahmen dagegen bei mehreren live übertragenen Wahlkampfkundgebungen am Wochenende. Er präsentierte die Tat dabei als Angriff auf den Islam und die Türkei im Besonderen, nachdem der Täter in einem Manifest wiederholt der Türkei gedroht hatte.

"Das ist keine isolierte Tat, das ist organisiert", sagte Erdoğan zudem am Montag bei einer Feier zum Jahrestag der Schlacht von Çanakkale (Gallipoli) im Ersten Weltkrieg, an der auch zehntausende Australier und Neuseeländer teilgenommen hatten. Sollten sie die Türkei noch einmal angreifen, werde diese sie "in Särgen zurückschicken", so wie sie ihre Großväter zurückgeschickt habe, warnte Erdoğan. Er verzichtete aber darauf, das Anschlagsvideo erneut zu zeigen. Am 31. März finden in der Türkei Bürgermeisterwahlen statt.

Der australische Regierungschef Scott Morrison hat verärgert reagiert. Morrison kündigte am Mittwoch an, den türkischen Botschafter in Canberra vorzuladen. Die Äußerungen Erdoğans bezeichnete er als "sehr beleidigend".

Reaktion von Facebook

Facebook hat nach eigenen Angaben den ersten Hinweis auf das Video nach 29 Minuten erhalten. Der Nutzerhinweis sei zwölf Minuten nach Ende des Livestreams eingelangt, erklärte das US-Unternehmen am Dienstag. Das Video sei "binnen Minuten" nach einer Anfrage der neuseeländischen Polizei gelöscht worden. Damit blieb zunächst unklar, wie lange genau es online war. Livestream-Videos sind nach Ende einer Übertragung zum Abruf verfügbar.

Das Video sei während des Livestreams weniger als 200-mal angesehen worden, insgesamt rund 4.000-mal, bevor Facebook es entfernte. Allerdings habe ein Nutzer der Plattform "8chan" eine Kopie auf eine Filesharing-Seite geladen, noch bevor Facebook auf das Video aufmerksam gemacht worden sei. Das dürfte zur späteren Verbreitung des Videos beigetragen haben.

Facebook hatte bereits am Wochenende erklärt, allein in den ersten 24 Stunden 1,5 Millionen Videos mit der Darstellung des Anschlags gelöscht zu haben. Davon seien 1,2 Millionen bereits beim Hochladen gestoppt worden. Da Nutzer versucht hätten, die automatische Erkennung mit Änderungen am Video auszutricksen, sei auch der Ton abgeglichen worden.

Erste Opfer beigesetzt

Vier Tage nach dem Attentat wurden noch 30 Verletzte im Krankenhaus behandelt, neun von ihnen waren in kritischem Zustand. In Christchurch haben am Mittwochmorgen die Beisetzungen der ersten der Opfer begonnen. Zunächst wurden die Leichen eines Mannes und seines Sohnes im Memorial-Park-Friedhof zu Grabe getragen, wie örtliche Medien berichteten. Die beiden waren erst vor wenigen Monaten aus Syrien nach Neuseeland gekommen.

Der 28-jährige Attentäter sitzt in Untersuchungshaft. Ein 17-minütiges Video, in dem große Teile des Verbrechens zu sehen sind, kursiert immer noch im Internet.

Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern verlangte in einer Rede von den großen Internetkonzernen wie Facebook und Google, ihrer moralischen Verantwortung gerecht zu werden und die Verbreitung solcher Videos zu verhindern. "Das darf kein Fall sein, in dem es allein um Profit geht, nicht um Verantwortung." Auch mehrere neuseeländische Netzbetreiber forderten von den Konzernen, mehr zu tun. Zudem zogen verschiedene neuseeländische Firmen wie eine Lottogesellschaft und Banken, die bei Facebook Werbung geschaltet hatten, ihre Anzeigen zurück.

Ardern will Namen nicht nennen

Ardern will nach eigenen Angaben niemals den Namen des Attentäters aussprechen. "Mit seinem Terrorakt wollte er viele Dinge erreichen, eines davon war der Bekanntheitsgrad", sagte Ardern bei einer Parlamentssitzung am Dienstag, die sie mit der Friedensbotschaft und Grußformel "Salam aleikum" ("Friede sei mit euch") eröffnete.

"Deshalb werden Sie niemals hören, dass ich seinen Namen nenne. Er ist ein Terrorist, er ist ein Krimineller, er ist ein Extremist. Aber er wird, wenn ich spreche, namenlos sein", sagte die Regierungschefin über den 28-jährigen Australier. "Ich bitte Sie: Nennen Sie die Namen derer, die ihr Leben verloren, statt den Namen des Mannes, der sie auslöschte", sagte die schwarz gekleidete Ardern. Zugleich erklärte sie, der Attentäter habe mit "der ganzen Härte des Gesetzes" zu rechnen.

Schärfere Waffengesetze

Die Regierungschefin hatte nach den Anschlägen auch schärfere Waffengesetze in Aussicht gestellt. Details sollen bis kommende Woche vorgelegt werden. In Erwägung gezogen würden aber Waffenrückkäufe und ein Verbot einiger halbautomatischer Waffen.

Die Neuseeländer reagierten bereits auf Appelle der Regierung, Waffen abzugeben. Laut Polizei liegen noch keine Daten zur Zahl der seit Freitag abgegebenen Waffen vor. Die Menschen sollten sich angesichts der verschärften Sicherheitslage aber zunächst bei der Polizei melden. Am Mittwoch sollen zahlreiche Todesopfer – alles Muslime – in Christchurch beigesetzt werden. Auf Spendenkonten für die Hinterbliebenen gingen inzwischen umgerechnet mehr als fünf Millionen Euro ein.

IS droht mit Vergeltung

Unterdessen drohte die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) in einer Audiobotschaft mit Vergeltung für den Anschlag. Die Echtheit der mehr als 40 Minuten langen Botschaft konnte zunächst nicht überprüft werden. Sie wurde aber über die üblichen Kanäle des IS in den sozialen Medien verbreitet. (APA, 19.3.2019)