Den Briten geht schön langsam die Zeit aus.

Foto: APA/AFP/ANDY BUCHANAN

London/Brüssel – Die britische Regierung sucht nach der Ablehnung einer erneuten Abstimmung über ihren Brexit-Deal durch Parlamentspräsident John Bercow einen Ausweg aus der Sackgasse. Auch die EU erwartet dringend eine klare Linie aus London.

"Wir sind nun noch genau zehn Tage vom Rückzug Großbritanniens aus der Europäischen Union entfernt", sagte ein Sprecher von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Man beobachte die Ereignisse im britischen Unterhaus genau, könne sie aber weder kommentieren noch beeinflussen. Es sei nun an der britischen Regierung, über die nächsten Schritte zu entscheiden und sie rasch der EU mitzuteilen.

Heftige Kritik an Bercow

Parlamentspräsident Bercow hatte am Montag deutlich gemacht, dass das bereits zweimal vom Unterhaus abgelehnte Brexit-Vertragspaket den Abgeordneten nur mit substanziellen Änderungen erneut vorgelegt werden darf. Was genau damit gemeint ist, war zunächst unklar. Bercow wird wegen der Anwendung der 415 Jahre alten Regel vor allem von der konservativen Boulevardpresse heftig angegriffen. Der "Daily Express" nannte ihn am Dienstag auf der Titelseite einen "Brexit-Zerstörer", die "Daily Mail" sprach von einem "Sabotageakt". Die "Sun" titelte überhaupt gleich: "Bercow kann uns mal".

Die Regierung kam am Dienstag zu Beratungen über das weitere Vorgehen zusammen. Brexit-Minister Stephen Barclay warb zuvor abermals für das zweimal gescheiterte Abkommen: Es sei weiterhin "der beste Weg", den Brexit zu erreichen, sagte er der BBC. Mit einem weiteren Votum über Mays Brexit-Deal rechnet er nicht mehr. Man schaue sich die Begründung und Hinweise Bercows nun genau an, um einen Ausweg zu finden. Ausgeschlossen sei allerdings, Königin Elizabeth in das Verfahren einzuschalten.

Ein durch die Monarchin angeordneter vorzeitiger Wechsel zu einer neuen Sitzungsperiode des Parlaments – die sogenannte Nuklearoption – war als Möglichkeit ins Gespräch gebracht worden, um doch noch über den Brexit-Vertrag abstimmen zu können. Da die EU inhaltliche Änderungen am Austrittsvertrag ausgeschlossen hat, ist mit Bercows Entscheidung ein – nicht zuletzt von der Wirtschaft gefürchteter – ungeregelter Brexit wahrscheinlicher geworden.

Frage des Aufschubs

Bereits am Donnerstag wird May mit anderen Staats- und Regierungschefs zum EU-Gipfel in Brüssel erwartet. Sie wollte dann eine Verlängerung der Austrittsfrist beantragen, die am 29. März eigentlich endet. Das hatte das Parlament vergangene Woche beschlossen. May hatte dem Parlament eine kurze Verlängerung bis Ende Juni in Aussicht gestellt für den Fall, dass der Deal vorher noch angenommen wird. Sollte er abgelehnt werden, warnte sie vor einer langen Verzögerung.

Doch eine Abstimmung über den Deal vor dem EU-Gipfel scheint nun kaum noch möglich. Spekuliert wird daher, dass May einen langen Aufschub beantragen könnte mit der Option einer Verkürzung, wenn sie doch noch eine Mehrheit im Parlament bekommen sollte. Eine Verschiebung des Brexits muss von den Staats- und Regierungschefs der EU einstimmig beschlossen werden.

Die EU will einer solchen Verschiebung nur zustimmen, wenn Großbritannien einen klaren Plan für das weitere Vorgehen vorlegt. "Ich kann nur noch einmal an unsere britischen Partner in London appellieren, jetzt endlich einen konkreten Vorschlag zu machen, warum man überhaupt eine Verlängerung anstrebt", sagte der deutsche Europastaatsminister Michael Roth am Dienstag. Ähnlich äußerte sich die französische Europaministerin Nathalie Loiseau: "Wenn das Vereinigte Königreich einen Aufschub will, muss es sagen, warum."

Signale aus London gefordert

Auch Schwedens EU-Minister Hans Dahlgren forderte Signale aus London, wie der Prozess zu einem Ende gebracht werden soll. "Wir haben in der EU mit einer ganzen Menge anderer Dinge zu tun. Packen wir es an." Auch die rumänische EU-Ratspräsidentschaft verlangte eine eindeutige Position der Briten. "Offenkundig gibt es keine Klarheit, heute noch weniger als gestern", klagte EU-Minister George Ciamba.

EU-Minister Gernot Blümel (ÖVP) vermisst ebenfalls Klarheit. "Die Briten wissen immer noch nicht, was sie wollen", sagte Blümel. Über mögliche Szenarien wie eine kurze oder längere Verlängerung der Austrittsfrist erklärte er: "Zunächst müssen sie was vorlegen, über das die Staats- und Regierungschefs am Donnerstag beraten können. Klar ist, jeder will einen No-Deal-Brexit verhindern. Aber die Wahrscheinlichkeit steigt, wenn die Unsicherheit bleibt."

Ein Brexit-Aufschub müsste nach Ansicht von Italiens Regierungschef Giuseppe Conte kurz sein. Einen größeren Zeitrahmen zuzugestehen würde bedeuten, "Probleme aufzuschieben", die sich vor Ablauf einer neuen Frist wieder zeigen könnten.

Stimmen die EU-Staaten einem Antrag auf Verschiebung des Austritts nicht einstimmig zu, könnte es am 29. März zu einem ungeregelten Brexit kommen. An diesem Tag endet die Zweijahresfrist für den Austritt. Ein ungeregelter Brexit kann demnach nur noch verhindert werden, wenn das Austrittsgesuch zurückgezogen oder ein Antrag auf Fristverlängerung eingereicht wird. (APA, 19.3.2019)