Eine Wiener Institution: Die Straßenzeitung "Augustin" kämpft mit finanziellen Problemen.

Foto: Augustin/Mario Lang

"Zwei 'Augustin' kaufen, einen verschenken", lautet das Motto, um den Verkauf anzukurbeln.

Foto: Augustin

Wien – "O du lieber Augustin, alles ist hin", heißt es in dem beliebten Volkslied, das auf den Wiener Dudelsackspieler Marx Augustin (1643–1685) zurückgeht. Noch lange nicht "alles hin" ist beim Namenspendant, der Wiener Straßenzeitung – ganz im Gegenteil, es geht bergauf: Nachdem Anfang März bekannt wurde, dass der "Augustin" mit gravierenden finanziellen Problemen konfrontiert ist – der STANDARD berichtete –, freuen sich die Macherinnen und Macher über eine Welle der Solidarität: "Der Verkauf ist gerade steigend, wir waren jetzt bei 20.000 Exemplaren und hoffen natürlich, dass die Zahlen noch weiter steigen beziehungsweise dass es auch anhält", sagt Claudia Poppe vom "Augustin".

Spenden

Um den Fortbestand in seiner derzeitigen Form zu sichern, brauchte es allerdings noch mehr: 28.000 verkaufte Ausgaben, erklärt Poppe. Auch wenn der Weg noch weit ist, die Richtung scheint jedenfalls zu stimmen, denn: Parallel zu den steigenden Verkaufszahlen konnten in den vergangenen drei Wochen auch über 40.000 Euro an Spenden generiert werden: "Das ist die Hälfte des benötigten Betrags", sagt Poppe zum STANDARD, um den "Augustin" mit all seinen Angeboten bis Ende des Jahres ökonomisch solid und nicht mehr selbstausbeuterisch zu führen. Das Jahresbudget beträgt knapp 700.000 Euro.

Abos

Neben dem Verkauf und den Spenden konnte auch die Zahl der Abos angekurbelt werden – von 80 auf 130 Stück: "Wobei wir die ja normalerweise nicht so gern pushen, da die Zeitung auf der Straße gekauft werden soll", so Poppe. Ein Jahresabo für die 23 Ausgaben kostet 90 Euro, ein Förderabo schlägt mit 120 Euro zu Buche.

Viele Maßnahmen geplant

Die Probleme des Sozialprojekts waren Anfang März Thema einer Supporters-Konferenz in Wien, wo Ideen gesammelt wurden, wie sich der "Augustin" längerfristig aus der prekären Situation manövrieren könnte. Eine davon heißt Präsenz und die Rückeroberung des öffentlichen Raums: "Es gibt viele Angebote für Lesungen, Kunstwerke zu versteigern, Kooperationen oder Spendensammelaktionen", resümiert Poppe, einiges davon müsse erst konkretisiert werden und könnte im Herbst über die Bühne gehen.

Fix ist jedenfalls ein Musikbenefizabend, der Geld in die Kassa spülen soll, sowie ein Flashmob auf dem Stephansplatz. Am 28. März um 17 Uhr sollen sich Unterstützer vor der Aida versammeln, um den "Augustin" im öffentlichen Raum zu lesen. Unter dem Motto "Zwei 'Augustin' kaufen, einen verschenken" appellieren die Initiatoren an Sympathisanten, die Zeitung noch mehr Lesern zugänglich zu machen.

Das zahle sich aus, betont Poppe. Der "Augustin" möchte nicht nur als Sozialprojekt gesehen werden, sondern auch mit journalistischer Relevanz punkten: "Mit der aktuellen Nummer über die Jugendproteste für Klimaschutz haben wir voll ins Schwarze getroffen und wieder einmal gezeigt, dass es Sinn macht, den 'Augustin" zu lesen und nicht nur das Sozialprojekt zu unterstützen."

14 Mitarbeiter, hunderte Verkäufer

Claudia Poppe ist seit vielen Jahren für den "Augustin"-Veranstaltungskalender Strawanzerin zuständig und zählt zu den Urgesteinen des im Jahr 1995 gegründeten Sozialprojekts. Der "Augustin", das sind heute 14 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die als Verein organisiert sind, und hunderte, im Laufe seines 24-jährigen Bestehens wohl tausende Verkäufer, für die die Straßenzeitung als finanzielle und soziale Hilfe fungierte. Ein Drittel der derzeitigen Verkäufer hat Deutsch als Muttersprache, ein Drittel kommt aus Afrika und ein Drittel aus Osteuropa. Der Verein erhält keine öffentlichen Förderungen.

Was die Zeitung alles finanziert

Die Auflage der Wiener Straßenzeitung sank zuletzt auf 17.000 bis 18.000 Stück, vor einigen Jahren brachten die rund 400 "Augustin"-Verkäuferinnen und Verkäufer im 14-Tage-Erscheinungsrhythmus noch rund 35.000 Stück an den Mann und die Frau – also das Doppelte. Von dem Verkaufspreis von 2,50 Euro profitieren beide Seiten gleichermaßen. 1,25 Euro fließen zurück an den Verein, der das Gesamtkunstwerk "Augustin" mit Sitz im fünften Bezirk orchestriert. Neben der Straßenzeitung gibt es etwa noch Radio Augustin, Augustin TV, einen Chor, sportliche Aktivitäten, Sozialhilfe, Rechtsberatung oder diverse Kurse.

Die Gründe für die rückläufigen Verkaufszahlen der Zeitung sind vielfältig. Gratiszeitungen hin, Medienwandel her: Ein wesentlicher Aspekt sei die "zunehmende Verdrängung von Kolporteuren aus dem öffentlichen Raum", kritisieren die "Augustin"-Macher. Das gehe von Verkaufsverboten vor Supermärkten bis zur Verdrängung aus öffentlichen Gebäuden wie dem Wiener Hauptbahnhof. Eine andere Ursache sind nichtregistrierte Verkäufer, die den "Augustin" in Verruf bringen, weil sie die Zeitung als Schutzschild missbrauchen, um zu betteln. "Wenn es mir wichtig ist, dass ich registrierte Verkäuferinnen unterstütze, dann kann ich darauf achten, wer den weinrot-weißen 'Augustin'-Ausweis sichtbar trägt", empfiehlt Poppe.

Bandbreite an Verkäufern

Registrierte "Augustin"-Verkäufer müssen sich an bestimmte Regeln halten. Dazu gehört Höflichkeit und das Akzeptieren eines Neins: "Wenn ich aber eine Verkäuferin oder einen Verkäufer als Belästigung erlebe, kann ich ihr oder ihm dies mitteilen und mich weiters entscheiden, die Zeitung bei jemand anderen zu kaufen", so Poppe: "Es gibt in Wien, Wien-Umgebung bis ins Burgenland viele unterschiedliche Persönlichkeiten, von kaum wahrnehmbar, unauffällig, schüchtern, dezent, höflich bis hin zu jenen, die lebendig verkaufen, singen, tanzen oder alle Kunden umarmen wollen." (Oliver Mark, 21.3.2019)