Paul Buschnegg (Mitte) und Pauls Jets, die Band mit den großen Fragen: "Wo stehst du mit deiner Kunst, Baby?"

Foto: Freya Tuppy

Hat man über Nächte, die nicht enden wollen, weil man gerade wieder beim Ausschweifengehen zum vierten Mal in dieser Woche seine Jugend in üblen Lokalen verschwendet, je Schöneres gehört?"Kannst du noch?/ Es ist halb sechs und die Stadt ist jetzt so leer und kühl/ Kannst du noch?/ Über der Brücke in der Ferne/ Sie hat ihm, wenn sie‘s schaffen, was Geheimes versprochen/ Kannst du noch weitermachen, Baby Boy?/ Wir haben noch zu tun!"

Sänger Paul Buschnegg, das 21-jährige neueste Wiener Musikwunderkind, kann sich als Alleinherrscher über sein Trio Pauls Jets auf dem Albumdebüt Alle Songs Bisher, das alle Songs des Trios bisher enthält, nie ganz entscheiden: Ahmt er jetzt mit seinem mit österreichischem Akzent eingefärbten, piefkinesisch-nölenden Gesang den altvorderen Pop-Poeten Andreas Spechtl von Ja, Panik in großer Verehrung nach?

Große Fragen stellen sich immer

Oder verhält es sich eher so, dass sich der Bub in guter alter heimischer Hinterfotzigkeit der Aufgabe kabarettistisch nähert? Oder ist es überhaupt so wie beim Nino aus Wien? Der mag André Heller gleichzeitig, er mag ihn aber auch nicht. Große Fragen stellen sich bei großem Pop ja schon seit jeher.

redelsteiner

Dazu erklingt in diesem zentralen Stück einer für die heimische Szene 2019 wahrscheinlich zentralen Platte eine Musik, die die Eltern der Gfraster vor hundert Jahren einmal in ihrem früheren Leben als rockig, aber durchaus tanzbar empfunden haben. Jetzt hocken die Alten missmutig daheim beim Frühstück und hoffen darauf, dass die Kinder vor der Uni zumindest noch kurz zum Zähneputzen vorbeischauen, bevor sie schon wieder das Proseminar auf der Angewandten versäumen, weil sie in der Bim einschlafen.

Der Basslauf und das Schlagzeug schieben im Stil des New-Wave- und Fakultätsfestklassikers Psycho Killer ein wenig pumpernd und verhatscht nach vorn. Die Gitarre spielt funky Licks mit etwas zuviel Cola-Whiskey intus. Der Mann am Klavier hat LSD genommen. Er erkundet gerade Klangwelten, die zwei Lichtjahre außerhalb einer Notenzeile angesiedelt sind, wie wir sie kennen. Ist das Free Jazz von Cecil Taylor – oder ist da nur jemand mit dem Kopf auf die Tasten geknallt, weil Baby Boy doch nicht mehr kann?

Der Strand über dem Pflaster

Es gibt im Lied Kannst du noch? auch eine Art Refrain. Der ist schön. Bei dem geht die Sonne gerade einmal soweit auf, dass noch Zeit ist, um sich eine Ray-Ban vom H & M aufzusetzen. Puh, Glück gehabt. Nicht auszumalen, was passiert wäre, wenn sich die Strahlen ins Gehirn gebohrt hätten. Wir sehen schon, Pauls Jets sind, abgesehen von kleineren Schwächen wie der Einigung darauf, die Instrumente ordentlich zu stimmen oder darauf zu schauen, dass man die Trefferquote beim gemeinsamen Takt erhöht, eine gute Band.

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Nach dem verstrahlten Nachtlebenhit Kannst du noch? folgt gleich wieder eine zukünftige Perle. In 22703 heisst es: "Kann es sein, dass wer gesagt hat, dass man in nur hundert Tagen jemand anders als man ist, werden kann?"

Es ist ein gemütlich schwankendes, schunkelndes und torkelndes Indiepop-Album geworden, dass Paul Buschnegg da verwischt, verwaschen und verhuscht für eine junge Zielgruppe produziert hat. Es steht im Zeichen dringlicher Fragen, auf die es mitunter auch Antworten für Baby Boy gibt: "Wo stehst du mit deiner Kunst, Baby?/ Schreib es nicht in dein Heft/ Du sollst es auf den Asphalt sprayen!"

Die Welt ist betrunken. Die Menschen sind gut. In Du wirst schauen was noch alles Rap sein wird machen Bilderbuch Yung Hurn nach. Die Häuser schauen schief aus. Am Wiener Gürtel liegt der Strand über dem Pflaster. Alles dreht sich und bewegt sich. Wann sind wir endlich daheim? Wir sind nie daheim! (Christian Schachinger, 21. 3. 2019)