In ihren Sprechstunden im Bundeskanzleramt hatte Johanna Dohnal allein in einem Jahr 1.500 Kontakt zu engagierten Frauen.

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Erika Thurner, Alexandra Weiss (Hg.), "Johanna Dohnal und die Frauenpolitik der Zweiten Republik. Dokumente zu einer Pionierin des österreichischen Feminismus", 25 Euro / 240 Seiten, Promedia-Verlag, Wien 2019

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Alexandra Weiss: "Dass die Menschen nicht mehr wissen, wofür Gleichstellungeinrichtungen gut sind, hat mit einer starken antifeministischen Strömung zu tun."

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Das Jahr 2019 lädt aus zwei Gründen zu einem Rückblick auf die österreichische Frauenpolitik ein – und beide haben mit Johanna Dohnal zu tun. Im Februar wäre die Feministin und SPÖ-Politikerin 80 Jahre alt geworden, und im Herbst 1979 richtete das Bundeskanzleramt das Staatssekretariat für allgemeine Frauenfragen ein. Die Politikwissenschafterinnen Erika Thurner und Alexandra Weiss analysieren in ihrem neuen Buch "Johanna Dohnal und die Frauenpolitik der Zweiten Republik" 40 Jahre institutionalisierte Frauenpolitik in Österreich.

STANDARD: Welches Verständnis von Frauenpolitik hatte Johanna Dohnal?

Weiss: Dass man Frauenpolitik mit den Frauen gemeinsam gestalten muss. Das Zugehen auf frauenpolitische Akteurinnen aus allen Bereichen, von den Vertreterinnen der autonomen Frauenbewegung bis hin zur katholischen Frauenbewegung, das war Dohnal wichtig. Es war eine Art der Politik, die eine große Nähe zu den Bürgerinnen hatte. Inhaltlich war Frauenpolitik für Dohnal untrennbar mit Sozialpolitik verbunden. Es musste immer eine Politik für alle Frauen sein. Das bedeutet nicht, dass etwa Gleichstellungspolitik an Universitäten falsch ist. Aber Frauenpolitik muss für weniger privilegierte Frauen greifbar bleiben. Ansonsten entstehen eine Distanz und ein Unverständnis für dieses Politikfeld, und in dieser Situation befinden wir uns ja jetzt. Nicht zuletzt auch wegen einer Neoliberalisierung des Feminismus.

STANDARD: Wann hat diese Neoliberalisierung der Frauenpolitik begonnen?

Weiss: In den 1990er-Jahren. Dohnals Nachfolgerin Helga Konrad hat die Verknüpfung von Sozial- und Frauenpolitik noch betont. Bei ihrer Halbe-halbe-Kampagne – Konrads wichtigster Hinterlassenschaft – geht es noch um die soziale Frage im Feminismus: die Umverteilung der bezahlten und unbezahlten Arbeit. Diese Ungleichverteilung ist der Knackpunkt der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern. Allerdings ist diese Umverteilung schwer durchsetzbar, deshalb sprach man dann von einem "Recht auf Teilzeit" – ungeachtet dessen, dass Teilzeit vielen Frauen Abhängigkeit und Altersarmut bringt. Die gesamte Sozialdemokratie Europas wandte sich in den 1990er-Jahren von den unteren Klassen ab – gerade in einer Zeit, in der soziale Ungleichheit und Armut zunahmen. In den Nullerjahren eigneten sich auch konservative und liberale Politikerinnen feministische Positionen an – allerdings ohne deren Sozialkritik. Bezeichnend war daran, dass sie zwar die Benachteiligung von Frauen angesprochen haben, aber nicht die Privilegierung von Männern. Damit machte man sich von jeher unbeliebt.

STANDARD: Heute existiert der Kontakt zwischen Frauenministerium und Frauenbewegung nicht mehr. Warum?

Weiss: Die Frauenbewegung ist heute als solche weniger präsent. Sie ist aber diffundiert in unzählige Frauenprojekte, die für Johanna Dohnal Denkfabriken waren, wo sie sich Expertise holen konnte. Heute wird diese Expertise oft infrage gestellt. Dohnal hat in den Anfangsjahren auch Sprechstunden im Bundeskanzleramt und in den Bundesländern abgehalten. Allein in einem Jahr hatte sie 1.500 Einzelkontakte, zählt man die von ihren Mitarbeiterinnen mit, kommen nochmals ein paar Tausend dazu. Sie haben in gewisser Weise wie Sozialforscherinnen das Land durchkämmt, die Lebenssituationen von Frauen erhoben und daraus politische Maßnahmen abgeleitet.

Bei den in Wien und den Bundesländern veranstalteten Frauenforen und -enqueten konnten sich zudem die verschiedensten Gruppen artikulieren. Das war oft sehr konfrontativ, zum Beispiel in Tirol. Das war für Dohnal nicht angenehm; die katholischen Frauen und die ÖVP-Frauen haben stark gegen die Abtreibung polemisiert.

Frauenministerin Bogner-Strauß macht eigentlich keine Frauenpolitik. Es scheint, als wollte man nicht den gleichen Fehler wie 2000 machen, als man das Frauenministerium abschaffte und eine antifeministisch ausgerichtete Männerabteilung gründete. Man versucht den Schein zu wahren.

STANDARD: Die SPÖ brachte – gemeinsam mit der Frauenbewegung – in Österreich wichtige frauenpolitische Projekte auf Schiene. Liegt es auch an der Entwicklung der SPÖ, dass seit den 1990er-Jahren nicht mehr viel in diesem Bereich passiert ist?

Weiss: Die Orientierung an der Mittelschicht in einer Zeit, in der soziale Ungleichheit zunahm, war sicher ein Fehler. Gerade bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist wenig weitergegangen. Am ehesten noch in Ballungszentren, aber auch weil ein neoliberales Wirtschaftssystem Interesse an der Arbeitskraft von Frauen hat. Die fehlende Umverteilung und Vergesellschaftung der unbezahlten Arbeit, keine Arbeitszeitverkürzung seit den 1970er-Jahren oder eine ohne Lohnausgleich (durch die Teilzeitarbeit) – all das sind soziale Fragen, die Frauen besonders treffen. All das wurde von der Sozialdemokratie viel zu wenig thematisiert – sie war gefangen in neoliberalen Denkverboten.

STANDARD: Die Institutionalisierung des Feminismus war auch ein Verdienst Johanna Dohnals. Um den Ruf von Gleichstellungseinrichtungen steht es aber heute schlecht. Warum?

Weiss: So stark war diese Institutionalisierung vorerst gar nicht, erst mit den 1990er-Jahren änderte sich das. Das hatte schon sehr viel mit Dohnals Präsenz, mit ihrer sogenannten Politik der Einmischung und mit ihrer Bündnispolitik zu tun. Dass die Menschen heute nicht mehr wissen, wofür ein Frauenministerium und Gleichstellungseinrichtungen gut sind, hat mit einer starken antifeministischen Strömung zu tun. Und die nimmt nicht nur in irgendwelchen Internetforen Raum ein, sondern auch in den bürgerlichen Medien. Die permanente Rede von der vollendeten Gleichstellung dort trifft die Realität überhaupt nicht, dazu ist nur ein Blick auf ein paar Statistiken nötig. Dennoch ist das ein mächtiger Diskurs geworden. Diese Polemik gegen institutionalisierte Frauenpolitik hat auch mit der Trennung von Frauen- und Sozialpolitik zu tun.

STANDARD: Inwiefern?

Weiss: Durch die Abkoppelung des Feminismus von Sozialpolitik wurde es für die politische Rechte einfach, sie zum sogenannten Establishment zu rechnen und anzugreifen. Es ist gelungen, Feminismus von seinen sozialkritischen Bestandteilen abzutrennen. Was dann übrigbleibt, bezeichnen viele als Elitefeminismus, als neoliberalen Feminismus. In einem nächsten Schritt heißt es dann: Feminismus und Frauenpolitik – das ist etwas für die da oben, ein Eliteprogramm.

STANDARD: Gender-Mainstreaming und andere Gleichstellungsprogramme werden also genutzt, um Feminismus als abgehobenes Vorhaben zu kritisieren?

Weiss: Dass Feminismus eine soziale Bewegung ist, die für alle Frauen etwas erkämpft, das ist als Bewusstsein verloren gegangen. Das hat auch damit zu tun, dass gewisse politische Instrumentarien abgehoben sind, und dazu zählen auch Top-down-Strategien wie Gender-Mainstreaming, die die Hauptangriffsziele von Antifeministen sind. In der politischen Praxis hatte dies oft entpolitisierende Wirkung und wurde zum Teil sogar gegen Frauenpolitik und -förderung in Stellung gebracht – zum Beispiel vom ehemaligen "Frauenminister" Herbert Haupt von der FPÖ. Wenn feministische Politik auf bürokratische Akte reduziert wird, die man halt erfüllen muss, nimmt man dem Thema die Lebendigkeit, das Greifbare. Früher konnten Frauenpolitik und Feminismus vermitteln, dass das alles mit meinem Leben zu tun hat.

STANDARD: Welche politische Errungenschaft Johanna Dohnals zeigt die Verzahnung von Sozial- und Frauenpolitik besonders gut?

Weiss: Ihr war immer die eigenständige Existenzsicherung von Frauen wichtig. Dafür steht etwa das Gleichbehandlungspaket von 1992. Das ist entstanden, weil ein Mann wegen des unterschiedlichen Pensionsantrittsalters geklagt hatte. Damals wurde ein ganzes Paket an politischen Maßnahmen geschnürt. Das Pensionsalter sollte erst dann angeglichen werden, wenn im Bereich der Reproduktionsarbeit ein Ausgleich stattgefunden hat, Kinderbetreuung ausreichend vorhanden ist und eine Gleichstellung im Arbeitsleben erreicht wurde. Ab 2014 sollte es aber jedenfalls eine Angleichung geben, wurde damals festgelegt – anders war das in der Koalition mit der ÖVP nicht durchzubringen.

STANDARD: Demnach würde Dohnal die aktuellen Vorhaben beim Sozialhilfegesetz scharf kritisieren?

Weiss: Ja. Wir wissen, das trifft vor allem die Ärmsten, und das sind oft die Frauen. Sie sind aufgrund der Betreuungsaufgaben und der daraus oft resultierenden geringeren Einkommen abhängiger vom Sozialstaat.

STANDARD: Wenn es eine Parallele zwischen den Frauenministerinnen Johanna Dohnal und Juliane Bogner-Strauß gibt, dann ist das wohl der Gewaltschutz, oder?

Weiss: Nein, das kann ich nicht so sehen, auch weil Dohnal sich mit den Expertinnen aus dem Bereich koordiniert hat. Gewaltschutz ist deshalb derzeit ein Thema, weil es eine dramatische Steigerung bei Frauenmorden gibt. Leider wird da vonseiten der Regierung vor allem rassistisch argumentiert. Es ist eine schwierige Diskussion: Die einen sagen, Gewalt muss man nicht nach Österreich importieren. Doch man kann nicht ignorieren, dass Männer aus sehr patriarchalen Kulturen auch oft sehr gewaltbereit sind. Das lapidar abzutun ist nicht zielführend. Es braucht eine differenzierte Diskussion, was in einem rassistisch aufgeheizten Klima natürlich schwierig ist. (Beate Hausbichler, 22.3.2019)