Inhalte des ballesterer (http://ballesterer.at) #140 (April 2019) – Seit 22. März im Zeitschriftenhandel und digital im Austria-Kiosk (https://www.kiosk.at/ballesterer)

SCHWERPUNKT MANCHESTER UNITED

MEISTERMACHER

Matt Busby und Alex Ferguson prägten Manchester United

MEISTER DER DEFENSIVE

Uniteds erster Erfolgstrainer Ernest Mangnall

TAKTIK TOTAL

Fergusons Erbe

DER BESTE FEIND

Die Rivalität zum Liverpool FC

Außerdem im neuen ballesterer:

"ICH BIN KEIN TRAINER DER GROSSEN WORTE"

Israels Teamchef Herzog im Interview

VON ENTEN UND ARBEITERN

Zu Besuch beim Fanverein Hapoel Katamon

VIOLETTE AUFARBEITUNG

Die Austria im Nationalsozialismus

WIEDERENTDECKTE PIONIERIN

Auf den Spuren von Emma Clarke

LILA-WEISSE VERLUSTE

Zerwürfnis bei Tennis Borussia Berlin

IM ZEICHEN DER WÖLFE

Wappenstreit beim SKN Sankt Pölten

EIN DACH FÜR DIE KURVE

Der GAK sammelt für den Stadionumbau

DAS LANGE SPIEL

Ein Anstoß zu Joachim Löws Kaderplanung

DER ERBAUER DES PYRAMIDS FC

Turki Al Sheik will in Ägypten Meister werden

KEIN WARTEN AUF DEN REICHEN MANN

Fußball in der ukrainischen Provinz

GROUNDHOPPING

Matchberichte aus Belgien, Deutschland, Indien und Italien

Foto: Ballesterer

Jonathan Wilson: "Solskjaer war ein guter Einwechselspieler: Er hat von der Bank aus alles ganz genau verfolgt und dann gewusst, was auf dem Platz zu tun ist."

Foto: Privat

Als der ballesterer Jonathan Wilson Ende Jänner zum Interview erreicht, eilt Manchester United unter dem neuen Trainer Ole Gunnar Solskjaer in der Premier League von Sieg zu Sieg. Es scheint, als würde die Mannschaft nach dem Abschied seines grantigen Vorgängers Jose Mourinho alleine schon von der positiven Ausstrahlung Solskjaers angetrieben werden. Mit einer ähnlichen Freude erzählt Wilson Anekdoten aus der Vereinsgeschichte. So detailliert und präzise, dass es wirkt, als wäre er bei Matt Busby, Alex Ferguson und den anderen schon stundenlang auf dem Sofa gesessen.

Manchester United hat seine 20 Meistertitel unter lediglich drei verschiedenen Trainern gewonnen: Ernest Mangnall, Matt Busby und Alex Ferguson. Haben Sie eine Erklärung dafür?

United kann sich glücklich schätzen, drei absolute Genies als Trainer gehabt zu haben. Busby und Ferguson haben zudem den Vorteil gehabt, in idealen Zeiten zu arbeiten: während der beiden großen Revolutionen im englischen Fußball. United hat sie wie kein anderer Verein genutzt. 1964 ist die TV Sendung "Match of the Day" eingeführt worden. Das hat den Fans erstmals die Möglichkeit gegeben, Fußball vom eigenen Sofa aus zu schauen. Bis dahin hat jeder seinen lokalen Klub unterstützt, danach hat man alle Vereine verfolgen können. Mit der Erinnerung an das Flugzeug unglück von München und dem aufstrebenden Team um George Best und Denis Law hat United die größte Strahlkraft gehabt und ist zum ersten Verein mit Fans im ganzen Land geworden.

Und die zweite Revolution?

Das waren die neuen finanziellen Möglichkeiten nach der Einführung der Premier League 1992. In den 20 Jahren davor war der Liverpool FC der dominante Klub. Nach der Hillsborough-Katastrophe haben Liverpool und seine Fans sich aber von der Außenwelt abgeschottet und keinem mehr getraut. United hat unter dem weit sichtigen Vorsitzenden Martin Edwards die neuen Chancen sofort ergriffen. Was andere Vereine in Sachen Merchandising in zehn Jahren geschafft haben, hat United in zwei, drei erledigt.

Was ist der Grund für die Erfolgslosigkeit vor Busbys Ankunft?

Eigentlich hat United mit der Eröffnung des Old Trafford im Jahr 1910 einen erheblichen Vorteil gegenüber den anderen Klubs gehabt. Es war damals das größte Stadion des Landes und hat somit die höchsten Einnahmen garantiert. Dass auf den zweiten Meistertitel von Ernest Mangnall 1911 über 30 Jahre Erfolgslosigkeit gefolgt sind, ist logisch nicht erklärbar. Es sind wohl zahlreiche falsche Entscheidungen getroffen worden. Erst als James William Gibson 1931 den Klub übernommen hat, ist es bergauf gegangen. Er war es auch, der später Busby verpflichtet hat.

Wie wichtig war Busby eigentlich Taktik?

Es gibt eine Anekdote, die diese Frage ganz gut beantwortet. Celtics damaliger Trainer Jock Stein war gut mit Busby befreundet. Ein Journalist soll ihn einmal gefragt haben, ob er sich mit ihm denn auch über Taktik austausche. Daraufhin habe Stein geantwortet: "Natürlich nicht, ich will den Kerl doch nicht bloßstellen." Es sei dahingestellt, ob die Geschichte stimmt, aber sie gibt einen Eindruck davon, wie Busby wahrgenommen worden ist. Taktik war ihm nicht wichtig. Auch das Training soll anspruchslos gewesen sein: keine Kraft- oder Fitnessübungen, sondern die ganze Zeit nur Fünf-gegen-fünf. Einfach nur Fußball spielen.

Was für einen Fußball haben seine Mannschaften gespielt?

Busby hat puren Angriffsfußball spielen lassen – damit ist er ein bisschen aus der Zeit gefallen. In England ist der Trend in den 1960er Jahren Richtung Defensive gegangen. Von den Fans und Journalisten hat es zunächst viel Kritik gegeben, aber 1966 hat England so die WM gewonnen.

Was ist zwischen dem ersten Abschied von Busby 1969 und der Amtsübernahme von Ferguson 1986 schief gegangen?

Busbys großer Fehler war es, dass er nach seinem Rücktritt nicht verschwunden ist, sondern weiterhin omnipräsent war. 1970 hat er das Traineramt sogar noch einmal interimistisch übernommen. Auch danach hat er sein Büro behalten. Wenn die Spieler Probleme mit dem neuen Trainer gehabt haben, sind sie zu ihm gekommen. Außerdem ist er mit ihnen regelmäßig Golf spielen gegangen. Sogar am Transfermarkt hat sich Busby eingemischt: In den 1970er Jahren hat er etwa die Verpflichtung von Peter Shilton verhindert. Der war damals einer der besten Keeper der Welt, doch Busby wollte, dass sein ehemaliger Spieler Alex Stepney Einsertormann bleibt. Für die Entwicklung des Vereins war dieses Verhalten sehr hemmend.

Wie hat sich Ferguson nach seinem Rücktritt 2013 verhalten?

Er hat sich nicht mehr eingemischt – aber erst, nachdem er seinen Nachfolger, David Moyes, ausgesucht hat. Und nichts ist bekanntlich schlechter, als wenn der alte Trainer den neuen auswählt. Nach jemandem, der so lange im Amt ist, braucht ein Klub einen Trainer, der Dinge anders macht. Nur so lässt sich Stagnation verhindern.

David Moyes ist noch während seiner ersten Saison entlassen worden. Auch unter seinen Nachfolgern hat es keinen großen Aufschwung gegeben.

Die Probleme haben schon vor Fergusons Abschied begonnen. Die Mannschaft, die 2013 Meister geworden ist, war nicht wirklich gut. Zuletzt ist sie einzig von Fergusons Willen angetrieben worden. Dazu kommt, dass der Klub seit der Übernahme durch die Glazers 2005 von Geschäftsleuten ohne Sachverstand geführt wird. Seit Fergusons Abschied haben sie viele Fehler gemacht. Sowohl Louis van Gaal als auch Jose Mourinho waren bereits über ihrem Zenit. Es hat den Anschen gehabt, als hätten die Verantwortlichen einfach auf Wikipedia geschaut, welche Trainer in den vergangenen Jahren Titel gewonnen haben. Vor allem die Verpflichtung von Mourinho hat panisch gewirkt. Der Stadtrivale Manchester City hatte mit Pep Guardiola einen großen Namen geholt, also hat man unbedingt auch einen gebraucht.

Seit dessen Entlassung sitzt der ehemalige Stürmer Ole Gunnar Solskjaer auf der Bank.

Das war eine sinnvolle Entscheidung. Die Fans lieben ihn und würden sich nie gegen ihn wenden – nicht einmal, wenn er bis zum Saisonende jedes Spiel verlieren würde. Und Solskjaer wirkt sehr dankbar, diese Chance bekommen zu haben. Seine Hauptaufgabe war es, die von Mourinho vergiftete Stimmung aufzuhellen. Das hat er bereits nach wenigen Wochen geschafft. Alle wirken entspannt: Paul Pogba lächelt die ganze Zeit, Anthony Martial spielt auf einmal fantastisch, und Marcus Rashford hat immenses Selbstvertrauen.

Die Zukunft von Solskjaer über das Saisonende hinaus ist noch ungeklärt. Könnte er eine langfristige Lösung sein?

Als ich United Mitte Jänner bei Tottenham 1:0 gewinnen sehen habe, habe ich mir gedacht, dass er vielleicht wirklich die Lösung für alle Probleme sein könnte. Zunächst hat es Zweifel gegeben, weil er 2014 bei seiner ersten Trainerstation in der Premier League mit Cardiff City abgestiegen ist. Aber das darf man nicht überbewerten. Vor einigen Jahren habe ich mich einmal mit Ferguson über Solskjaer unterhalten. Er hat gesagt, dass er keinen Spieler trainiert habe, der Fußball besser lesen könne als er. Deswegen war Solskjaer auch so ein guter Einwechselspieler: Er hat von der Bank aus alles ganz genau verfolgt und dann gewusst, was auf dem Platz zu tun ist. Solskjaer hat ein großartiges taktisches Verständnis.

Welche Rolle hat Taktik für Ferguson gespielt?

Sein Umgang mit den Spielern, sein Auge für Talente, sein Wille und seine Behandlung der Medien waren sicherlich größere Stärken, aber Ferguson hat auch Ahnung von Taktik. Sein Erfolgsrezept war, dass er sich permanent hinterfragt und den Fußball seiner Mannschaft weiterentwickelt hat. Entscheidend war dabei, dass Ferguson sein Trainerteam – anders als die meisten Trainer – immer wieder durchgemischt hat. Während seiner Amtszeit hat er mit Archibald Knox, Brian Kidd, Steve McLaren, James Ryan, Carlos Queiroz, Walter Smith und Michael Phelan sieben verschiedene Assistenten gehabt. Sie haben großen Einfluss auf die taktische Ausrichtung der Mannschaft gehabt, weil Ferguson zuhören konnte. Queiroz war für ihn ohnehin einer der besten Taktiker überhaupt. Ferguson hat sich stets an Trends und die verfügbaren Spieler angepasst. Deshalb hat sich United so lange an der Spitze gehalten.

Wie hat Ferguson United im Lauf der Zeit weiterentwickelt?

Bei seinem ersten Meistertitel 1993 hat United reinen Konterfußball gespielt. Mitte bis Ende der 1990er Jahre war die Mannschaft in ihrem traditionellen 4-4-2 mit den Flügelstürmern Ryan Giggs und David Beckham sehr angriffslustig. United hat zwar oft das erste Gegentor kassiert, seine Gegner dann aber überrannt. Ab der Jahrtausendwende hat Ferguson wieder abwartender spielen lassen.

Was hat dieses Umdenken ausgelöst?

Erfahrungen in der Champions League. 2000 ist United im Viertelfinale an Real Madrid gescheitert. Nach einem 0:0 im Hinspiel ist United im Rückspiel trotz drückender Überlegenheit wegen drei Glückstoren 0:3 zurückgelegen und hat am Ende 2:3 verloren. Bis dahin hat Ferguson gedacht: "Wenn das Torschussverhältnis 20:5 beträgt, werden wir gewinnen." Danach hat er sich überlegt: "Wenn es 5:0 beträgt, können wir nicht verlieren." Fortan hat er defensiver aufgestellt.

Gibt es noch andere Erlebnisse in der Champions League, die Ferguson inspiriert haben?

2007 hat United im Viertelfinale gegen die AS Roma 7:1 gewonnen, dennoch hat ihn der klar unterlegene Gegner auf eine gute Idee gebracht. Ferguson war von Francesco Tottis Rolle als falschem Neuner so begeistert, dass er das in der darauf folgenden Saison in einem 4-3-3 mit Cristiano Ronaldo ausprobiert hat. Am Ende hat United die Champions League gewonnen. Das ist in taktischer Hinsicht übrigens nicht das einzig Paradoxe an seiner Zeit als United-Trainer.

Was denn noch?

Bei seinen beiden Champions-League-Siegen ist Ferguson taktisch falsch gelegen. 1999 hat er Beckham im Finale im zentralen Mittelfeld spielen lassen, was überhaupt nicht funktioniert hat. Der FC Bayern hat 91 von 94 Minuten dominiert. Im Finale 2008 war der Chelsea FC das bessere Team. Die damalige United-Mannschaft hat weder davor noch danach jemals wieder so zusammengespielt. (Nino Duit, 21.3.2019)