Grüße aus der Küche, Grüße aus dem Meer: Aufgrund seiner geneigten, aquadynamisch abweisenden Lage von 20 Grad können selbst stürmische Wellen dem ersten Unterwasser-Restaurant Europas nichts anhaben

Foto: Ivar Kvaal

Durch das 25 Zentimeter dicke Acrylglasfenster blickt man hinaus in die Nordsee.

Foto: Ivar Kvaal

Lage von Haus im Fjord ...

Foto: Ivar Kvaal

... und Muschel auf dem Teller sind wohl komponiert.

Foto: Ivar Kvaal

Da pickt eine Nacktschnecke auf der Glaswand, vielleicht drei oder vier Zentimeter groß, lässt ihre an den Spitzen rot eingefärbten Kiemen im Rhythmus der Wellen hin und her wiegen. Auf dem künstlichen Riff vor dem Fenster haben sich in den letzten Monaten indes, zwischen den fetten, olivgrünen Kelpblättern Schutz suchend, Venusmuscheln und Seeigel angesiedelt. Und plötzlich schwimmt ein kleiner Zwergseeskorpion herbei – die gesamte Gastschaft lässt den zweiten Gang, Fischkopftatar mit Rogen und irgendwelchen cremigen Emulsionen, links liegen und strömt zum Fenster – und beschließt, ihre abendlichen Spazierrunden just vor versammeltem Gourmetpublikum zu drehen.

"Damit sind die drei wichtigsten Zutaten unseres Unterwasser-Restaurants offengelegt", sagt Nicolai Ellitsgaard Pedersen mit einem breiten Lächeln im Gesicht. "Gutes Essen, spektakuläre Architektur und ein kleiner Einblick in die Weiten der Unterwasserwelt." Der 32-jährige Chefkoch, seine Jugend funkelt noch unschuldig in den Augen, leitete früher den Gourmettempel Måltid in Kristiansand, irgendwo an der südlichsten Spitze des fjordzerklüfteten Norwegen, ehe ihn der Hotelbesitzer und Investor Stig Ubostad anrief, um ihm ein abgrundtief unmoralisches Angebot zu unterbreiten. "Als ich die Pläne und die ersten Visualisierungen gesehen habe, ist mir die Spucke weggeblieben. Alles, was ich rausbrachte, war: Wo muss ich unterschreiben?"

Nasse und trockene Welt

Wie ein umgekippter, an den schroffen Felsen lehnender Betonprügel liegt das Gebäude im Wasser, verbindet die eine mit der anderen, die nasse mit der trockenen Welt und stemmt sich den Wogen und Witterungen mit trotzendem Gewicht in den Weg. Während der Zugang zur rund 35 Meter langen, unter 20 Grad versenkten Betonröhre über eine stählerne Gangway erfolgt, während das Portal und die kleine Terrasse vor dem Eingang noch ein wenig an eine mit hochglanzlackierten Eichenbohlen verlegte Luxusjacht erinnern, taucht man, sobald man das Foyer und die Garderobe hinter sich gelegt hat, Stufe für Stufe in immer dumpfer, immer blauer werdende, sehnsüchtig in die Tiefe saugenden Gefilde ab.

Der Name des ungewöhnlichen Restaurants, das wie ein Fisch- und Meeresfrüchtefernseher in den Fjord von Båly hineinragt, 90 Autominuten vom nächsten Flughafen entfernt, ist Programm: Under bezieht sich nicht nur auf die hier zur Marke erhobene Lage unter der Wasseroberfläche, sondern ist zugleich auch das norwegische Wort für Wunder: Es das erste Unterwasser-Restaurant Europas. Und es ist das größte seiner Art weltweit. Alles andere als verwunderlich also sind die optischen Assoziationen auf der Restaurant-Website, die trotz der geringen Tiefe von nur fünf Metern unter dem Meeresspiegel so stürmisch, so abenteuerlich, so aggregatzuständlich befremdlich anmuten, als würde man beim 18-gängigen Dinner Jules Vernes höchstpersönlich gegenübersitzen.

Ungewöhnliche Kräfte

"Die Planung und Errichtung dieses Bauwerks war für uns in der Tat ein kühnes Experiment, denn wir haben es hier mit Kräften zu tun, die in der Architektur nicht ganz alltäglich sind", sagt Kjetil Trædal Thorsen. Der 60-Jährige ist Gründer und Partner im norwegischen Architekturbüro Snøhetta, das Ateliers in Oslo, Innsbruck, Paris, New York und San Francisco betreibt und schon so atemberaubende Projekte wie die Bibliothek von Alexandria, die Oper von Oslo und das wie funkelnde Blutsteine in den Wüstenhimmel ragende King Abdulaziz Center in Dhahran, Saudi-Arabien, realisierte. Erst vor wenigen Monaten wurde in Wattens, Tirol, die Swarovski-Manufaktur in Betrieb genommen.

"Und mit neuen, ungewöhnlichen Kräften meine ich nicht nur die Macht des Wassers, die uns hier auf Schritt und Tritt begegnet und das Projekt maßgeblich geformt hat, sondern auch statische und konstruktive Lösungen, bei denen wir komplett umdenken mussten." Betoniert wurde das Gebäude, dessen Oberfläche aus aquadynamischen Gründen leicht gebaucht ist, auf einem schwimmenden Ponton, der in der Nachbarbucht in gerade mal 100 Meter Entfernung vor Anker lag. In einer eintägigen Reise wurde das 1600 Tonnen schwere Ungetüm nach monatelanger Aushärtungszeit im Juni 2018 mit Seilen und luftgefüllten Tarierballons an Ort und Stelle gezogen.

"Normalerweise sind Fundamente auf Druck beansprucht, weil auf ihnen eine schwere Baukonstruktion lastet", sagt Thorsen, "doch in diesem Fall war es umgekehrt. Nachdem sich das Restaurant aufgrund seiner inneren Leere wie ein Schiff verhält und ohne Verankerung sofort an die Wasseroberfläche aufschwimmen würde, mussten wir das Fundament auf Zug konstruieren." Acht oberarmdicke Schraubbolzen, die von Tauchern festgezogen wurden, sorgen dafür, dass das Restaurant dort bleibt, wo es seinem Namen alle Ehre zu erweisen imstande ist.

Bis Oktober ausgebucht

Über eine elf Meter breite und drei Meter hohe Acrylglasscheibe, die aufgrund des umgebenden Wasserdrucks massiv in 25 Zentimeter Materialdicke (!) dimensioniert werden musste, gelangt das natürliche Licht, das sich durch das nasse Medium den Weg nach unten kämpft, in den Innenraum. Am Abend wird das dem Restaurant vorgelagerte Riff künstlich beleuchtet, worauf sich das Fenster vor den bis zu 40 speisenden Gästen in einen 33 Quadratmeter großen Lampenschirm verwandelt. Kleine LED-Spots im Plafond korrigieren die Wellenlänge und bereichern das bläulich-grünliche Licht des Wassers um die nötigen Rotschwingungen, die in fünf Metern verlorengegangen sind. Eine ästhetisch überaus wichtige Maßnahme, denn sie sorgt dafür, dass einem das Date vis-à-vis nicht wie eine blaulippige Wasserleiche erscheint.

"Das Wasser zu beleuchten klingt nach einem dramatischen Eingriff in die Natur", erklären die beiden Meeresbiologen Trond Rafoss und Kim Halvorsen, die das Projekt von Anfang an begleitet haben und im Under nicht nur ein Restaurant, sondern auch eine maritime Beobachtungsstation sehen. "Aber die permanente Lichtverschmutzung in den Dörfern und Städten hat weitaus größere Auswirkungen als die sieben Scheinwerfer, die in den Abendstunden die paar Kubikmeter des Meeres ausleuchten. Viele Fische fühlen sich vom Licht angezogen. Und die anderen, die das Licht scheuen, werden uns eh fernbleiben."

Mit rund 70 Millionen norwegischen Kronen (7,2 Millionen Euro), die in Forschung, Entwicklung und Errichtung flossen, soll das Unterwasser-Restaurant nicht zuletzt den internationalen Tourismus, der die norwegische Südküste auf dem Weg nach Stavanger, Bergen und auf die Hurtigruten bisher übersprungen hat, etwas ankurbeln. Das Konzept könnte aufgehen. Am 2. April wird das Lokal, das nordischen Matadoren wie Noma (Kopenhagen) und Maaemo (Oslo) Konkurrenz machen soll, offiziell eröffnet. Trotz eines Menüpreises von 2250 Kronen (230 Euro) sind die Tische bis Oktober ausgebucht. (Wojciech Czaja, 24.3.2019)