Mötley Crüe genießen einen weitgehend ausschweifungsfreien Nachmittag am Pool. Gleich wird Ozzy Osbourne kommen und statt Koks eine Ameisenstraße ziehen.

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Die meisten Biografien, die es wert sind, erzählt zu werden, handeln vom Aufstieg, dem Fall, der Versuchung und der Vergebung ihrer Protagonisten. Abgesehen davon, dass es sich bei den in den 1980er-Jahren großen US-Königspudel-Metallern Mötley Crüe um die schlechteste Musik des vorigen Jahrhunderts handelt, bildet das heute trotz allem noch lebende Quartett aus Los Angeles dabei keine Ausnahme. Die Sache ist nur so: Musik war bei Mötley Crüe immer nur Beiwerk.

Mötley Crüe um den fleisch gewordenen Muppet Show-Drummer Tommy Lee hatten zwar, wie es in der unglaublich unterhalt samen Autobiografie The Dirt von 2001 heißt, am Anfang ihrer Karriere oft kein Geld für die Miete, neue Saiten oder eine Schüssel Knuspermüsli, in das man noch frischgeriebenen Apfel und ein wenig Honig statt des schädlichen Industriezuckers hineingibt. Für Drogen und Haarspray war aber immer genug Marie da: Bier, Blowjobs, Blödheiten. You gotta say yes to another excess.

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Apropos Marie, im Laufe der Jahre werden Mötley Crüe dank ihrer mit Kastratengesang und Fliegeralarmgitarren angereicherten Musik (Shout at the Devil!) nicht nur diverse Wohnungseinrichtungen, Ehen, das Kurzzeit gedächtnis und die menschliche Würde zerstört haben. Sie werden auch sämtlichen in L.A. wohnenden Bikinischönheiten, Pornodarstellerinnen und Silikontestimonials das Herz gebrochen haben.

Gefährliche Experimente mit Fönfrisuren

In der Netflix-Verfilmung von The Dirt unter der Regie von Jeff Tremaine (Jackass) wäre bezüglich enthemmten Trieblebens, Selbstzerstörung und gefährlicher Experimente mit waghalsigen Fönfrisuren mehr drin gewesen. Zwar kommt es im Zweistünder zu einigen schönen Orgien und dazu, dass sich der prototypische Metalblödi Ozzy Osbourne am Hotelpool statt Koks eine Ameisenstraße reinzieht. Weil aber der ursprünglich vorgesehene Regisseur David Fincher (!!!) früh das Interesse am Projekt verlor, fehlen bei The Dirt doch entschieden der Dreck, das Dunkle und der Tiefgang im Untergang.

Die blassen und viel zu gesund aussehenden Hauptdarsteller tun das ihre zu diesem knapp am Musical vorbeischrammendem Biopic mit viel zu viel schlechter Musik. Auch bei den Sexszenen wäre etwas mehr Fantasie erwünscht gewesen. Die Band hat den Film mitproduziert. Am Ende will sie gut dastehen. Klar. Tommy Lees Ehe mit Pamela Anderson kommt übrigens nicht vor. Da waren wohl die Anwälte dagegen. Unbedingt das Buch lesen! (Christian Schachinger, 22. 3. 2019)