Stimmung kommt auf, als Grönemeyer "Alkohol" spielt.

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Sollte Ihnen einmal sehr langweilig sein, nehmen sie einen Stift in die Hand und versuchen Sie, einen Herbert-Grönemeyer-Liedertext zu Papier zu bringen. Beginnen Sie ruhig melancholisch und schwenken spätestens in der dritten Strophe ins Hoffnungsvolle, Versöhnliche. Durchmessen Sie die stürmischen Wogen der Schiffsmetaphern, peppen sie vorhersehbare Reime mit fein ziselierten Unverwechselbarkeiten auf und am wichtigsten: Stellen Sie möglichst viele Fragen, auf die Sie nicht im Geringsten vorhaben, Antworten zu geben. Oder weiß man jetzt schon, wie oft ein Herz brechen kann, warum Träume keinen Abspann haben, oder wann ein Mann ein Mann ist? Eben.

Die Grönemeyer-Formel

Es wäre ein Leichtes, die Grönemeyer’sche Textierkunst bis ins kleinste Detail aufzuschlüsseln – alles liegt ja offen da. Zwischen den Zeilen tut sich beim großen deutschen Liederingenieur nämlich nicht viel. Muss es auch nicht. Die Aphorismensammlungen glänzen durch geniale Banalität, sind Punktlandungen ohne Raum für Missverständnisse. Da sind die einprägsamen Bilder ("Flugzeuge im Bauch"), die protestantische Direktheit ("Du bist keine Schönheit") und die Haltung ("Aber kein Millimeter nach rechts").

Da ist natürlich auch die manchmal fast lachhafte Humorlosigkeit, die Biederkeit, die überkalkulierte Auf-die-Tränendrüsen-Drückerei. Manchmal, man darf’s bei allem Respekt schon sagen, ist da einfach auch viel Mumpitz. Egal wie sehr Sie aber all diese Parameter in ihrem Text beherzigen – Sie werden sich gegen Ende dieses Experiments wohl eingestehen müssen, dass nur Herbert Grönemeyer Herbert-Grönemeyer-Texte schreiben kann. So durchschaubar wie sie sind, so unnachahmbar sind sie. Deswegen haben die, die ihn lieb haben, ihn so lieb. Deswegen, und weil dieser oberste Befehlshaber der Emotionen einen so unerreicht enervierend, so herrlich ankreist.

Tumult – ein Album für alle

1984 gelang Gröny, der bald seinen 63. Geburtstag feiern wird, mit "4630 Bochum" der kommerzielle Durchbruch. Seither veröffentlichte er immer wieder sehr gute, in jedem Sinne des Wortes anständige Alben. Das letzte richtige Highlight war 2002 "Mensch", aber auch der im Vorjahr erschienene "Tumult" kann was. Zeitgemäß produziert ohne dass es peinlich jung klingt, lieferte Grönemeyer wieder ein Album für alle.

Die zugehörige Tour machte nun auch in der vollen Wiener Stadthalle Halt. "Wir werden alles geben, damit das ein klasse Abend wird", sprach's kurz nach 20 Uhr und hielt Wort. Die Songs vom aktuellen Album, beginnend mit "Sekundenglück", eröffnen den Abend. Viel Überzeugungsarbeit, dass auch das neue Zeug brauchbar ist, muss Grönemeyer aber nicht leisten. Schon bei der zweiten Nummer "Und immer" nickt auch die junge Schankkraft bedächtig mit, während sie stoisch einige Bier vorzapft. Nur ein gallisches Dorf von Aufsichtspersonal, das den Raucherbereich bewacht, redet noch verklärt vom RAF-Camora-Konzert. Auch sie werden noch in Herberts Gasse kommen.

Jauchzen, frohlocken

Der ist mittlerweile in die Vergangenheit gereist. "Kopf hoch, tanzen", "Bochum" und "Männer" machen aus den Fans einen Chor. Leiwand findet das der Herbert, der sich noch öfters ganz verzückt über dieses liebe Ösi-Wort zeigen wird. In bester Stimmung hopst er erschreckend agil fast drei Stunden lang über die Bühne, jauchzt, frohlockt und findet das alles ganz zauberhaft. Ein paar mahnende, knackige Worte gegen Rechts findet er aber auch – nicht nur einmal. Mahnende Worte für den Zusammenhalt und gegen die Spaltung. Man applaudiert folgsam.

Etwas mehr Stimmung kommt auf, als Grönemeyer "Alkohol" spielt – ach ja, wir sind in Österreich. Um die drei Zugaberunden muss nicht lang gebettelt werden, Herbert und seine fleißige Band kamen, um zu liefern. Das Schönste natürlich am Schluss: Zuerst "Der Weg", plärrschön wie immer, dann die sogenannte Jazzversion von "Flugzeuge im Bauch", gefolgt von "Musik, nur wenn sie laut ist". "Zeit, dass sich was dreht" wird einem auch nicht erspart, aber das muss man aushalten können.

Die Single "Warum" aus dem Album "Tumult".
Groenemeyer

Das ausgezeichnete "Warum" vom neuen Album, "Kinder an die Macht" und sogar "Ich hab dich lieb", von dem Grönemeyer behauptet, es nur in Österreich zu spielen, gehören zur letzten Runde der Zugaben, die ein handwerklich perfektes Konzert beschließen. "Ja, war ganz ok, oder?", fragt ein Mann seinen Freund beim Gehen. Kann man natürlich auch so sagen. (Amira Ben Saoud, 23.3.2019)