Vanessa Rodel und ihre Tochter Keana beim Zusammenpacken kurz vor dem Abflug am Montagmorgen.

Foto: Maria de la Guardia

Auf dem Weg zum Flughafen. Fotografin Maria de la Guardia begleitete die beiden und ließ dem STANDARD aus dem Flugzeug die Bilder zukommen.

Foto: Maria de la Guardia

Abschied für immer. Bis zuletzt musste die Ausreise der beiden geheim bleiben, weil Schikanen durch die Behörden in Hongkong zu befürchten waren.

Foto: Maria de la Guardia

Innsbruck/Hongkong/Toronto – "Endlich in Freiheit, endlich in Sicherheit." Vanessa Rodels (42) Stimme zitterte vor Aufregung, als sie am Wochenende dem STANDARD über ihre für diesen Montag geplante Ausreise von Hongkong nach Kanada erzählte. Zum Zeitpunkt des Telefonats war alles noch streng geheim. Nicht einmal Rodels siebenjährige Tochter Keana wusste Bescheid. Für sie sollte es die erste Flugreise ihres jungen Lebens werden, die sie zugleich in ein neues führt. "Dieser Tag wird für uns alle ein großes Abenteuer", sagte Rodel.

Doch die Angst vor Interventionen durch die Hongkonger Behörden war bis zuletzt groß. Sowohl bei Rodel, Asylwerberin aus den Philippinen, als auch bei ihrem Anwalt Robert Tibbo (55). Und sie war nicht unbegründet. Denn am Flughafen wurden Mutter und Tochter plötzlich von Beamten abgeführt. Zu ihrem Glück hatte Kanada vorsorglich diplomatische Begleitung organisiert, und selbst die Uno hatte einen Offiziellen geschickt. Die Beobachter machten offenbar Eindruck, nach einer bangen Stunde Befragungen konnten die beiden das Flugzeug nach Kanada boarden.

Snowdens Helfer werden in Kanada erwartet

Dort wartete Montag bereits Anwalt Tibbo in Toronto auf ihre Ankunft, die für 18 Uhr lokaler Zeit geplant war. Seit nunmehr sechs Jahren kämpft der Kanadier dafür, die insgesamt sieben Helfer Edward Snowdens aus Hongkong in Sicherheit zu bringen. Für Rodel ist das nun gelungen.

Edward Snowden hat sich auf Twitter erfreut gezeigt.

Tibbo hatte den US-Whistleblower im Sommer 2013, nachdem er die Weltöffentlichkeit über die Überwachungspraktiken des US-Nachrichtendienstes NSA informiert hatte, in Hongkong bei seinen Klienten, Asylwerbern, versteckt. Der Gedanke dahinter war ebenso einfach wie effektiv: "Niemand vermutete den meistgesuchten Mann der Welt bei den Ärmsten der Welt." Der verwegene Plan ging auf.

Rodel und die anderen Flüchtlinge zögerten keine Sekunde zu helfen. "Er war in derselben Situation wie wir. Ich bin stolz, geholfen zu haben, und würde es wieder tun", sagt sie. Dabei fristete sie in Hongkong selbst ein Paria-Dasein. Die dortige Regierung tut alles, um Flüchtlingen das Leben zur Hölle zu machen. Die Asyl-Anerkennungsrate liegt bei 0,1 Prozent.

Anwalt wurde unter Druck gesetzt

Nachdem 2016 bekannt worden war, wer den Whistleblower versteckt hatte, gerieten die Helfer ins Visier der Behörden. Hongkong setzte fortan alles daran, die sieben, darunter drei Kinder, in ihre Herkunftsländer zu deportieren. Auch ihr Anwalt Tibbo geriet zusehends unter Druck. Er musste Hongkong Ende 2017 schließlich sogar verlassen, weil seine Sicherheit nicht mehr garantiert war, DER STANDARD berichtete.

Doch Tibbo, den ein Team aus Anwälten und Aktivisten in Kanada unterstützt, blieb hartnäckig. Er empfand dies als seine "moralische Pflicht", wie er sagt, und versuchte Kanada zur Aufnahme der Snowden-Helfer zu bewegen. Dass Rodel und ihre Tochter nun als Erste ausreisen konnten, sei für ihn ein Etappensieg: "Es freut mich sehr, doch es ist noch nicht zu Ende. Fünf Menschen warten immer noch."

Dass vorerst nur Rodel Asyl erhielt, liege daran, dass Kanada die Fälle getrennt behandelt, sagt Tibbo. Nach kanadischem Asylrecht sind Frauen, vor allem Alleinerzieherinnen, besonders schutzwürdig. Daher dürfte Rodel nun als Erste eine Aufenthaltsbewilligung als anerkannter Flüchtling erhalten haben. Nach drei Jahren kann sie nun die Staatsbürgerschaft beantragen.

Fünf Helfer warten weiter

Indes wird die Lage in Hongkong für die verbliebenen Helfer Snowdens zusehends schwieriger. Ihnen droht die Abschiebung in ihre Heimat Sri Lanka, wo sie von der für Folter berüchtigten Kriminalpolizei gesucht werden. Deren Häscher waren Ende 2016 sogar illegal nach Hongkong gereist, nachdem bekannt geworden war, dass sie Snowden unterstützt hatten. Die Behörde in Hongkong reagierte nicht, als Tibbo sie darauf aufmerksam machte. Im Gegenteil, man verhaftete stattdessen die Zeugen.

Auch Rodel hofft, dass bald alle Helfer Snowdens in Sicherheit sind. Der Whistleblower selbst sei "unendlich erleichtert, dass Vanessa und Keana es geschafft haben", sagt Tibbo: "Es belastet ihn sehr, dass jene, die ihn schützten, nun deshalb in Gefahr sind." Die NGO "For the refugees" hat in Kanada dank Spenden bereits alles für Rodels Ankunft vorbereitet. In Montreal wartet eine Wohnung, und Tochter Keana wird dort die Schule besuchen. Zuallererst wollen die beiden aber das Eislaufen ausprobieren. Und auch langfristige Pläne hat Rodel bereits geschmiedet: "Ich will Journalistin werden, um Menschen zu helfen, so wie mir und Keana geholfen wurde." (Steffen Arora, 25.3.2019)