Zwischen Kakteen und Häkeldeckchen drängt sich dem Publikum am Petersplatz eine Frage auf: Wer war der Mensch, der hier gelebt hat?

Foto: Alexander Gotter

Neben der Wohnungstür am Fußboden stapeln sich Kronen Zeitung, Heute und die Wochenzeitung Zeit. An der Wand mit der miefig grauen Tapete darüber hängt eine Muttergottes, im Kleiderschrank linker Hand liegen zwei Sommerhüte mit hellen Schleifen, auf dem Schuhschrank geradeaus stehen kleine Kakteen.

Im Standort des Werk X am Wiener Petersplatz hat die vergangenes Jahr neu gegründete Gruppe Darum eine Spurensuche aufgebaut. Am Küchentisch steht ein Häferl, der Kaffee darin ist zu einer dicken Kruste eingetrocknet. Durch einen Holzperlenvorhang geht es in der beengten Wohnung weiter zum Klo. Auch ein paar Muscheln und Nüsse hat Ausstatterin Julia Grevenkamp verstreut. Wer hat hier gewohnt?

Die Installation soll dem Publikum Rätsel und Aufschluss zugleich sein. Zu rekonstruieren gilt es ein Menschenleben, das Ende Jänner mit einem "einsamen Begräbnis" sein Ende gefunden hat. Rund 500 dieser ohne Trauergemeinde ablaufenden Beerdigungen finden in Wien jedes Jahr statt, weil Angehörige nicht zu erreichen sind oder es keine Verwandten und Freunde mehr gibt.

Das Leben von "B"

Ungebetene Gäste heißt die etwa dreistündige Tour, die am Petersplatz beginnt und nach einer Busfahrt durch die Stadt am Zentralfriedhof endet. Bis auf den Anfangsbuchstaben des Vornamens bleibt der oder die Verstorbene anonym, verschiedene Stationen enthüllen aber Details seines oder ihres Lebens. Als Publikum soll man diese ordnen und verbinden.

Beim ersten Termin am Wochenende drehte sich alles um "B". Ein Kondolenzbuch lag auf, an einer Wand hingen ausgedruckt Bewertungen über Wirts- und Kaffeehäuser, die "B" im Internet abgegeben haben soll. Sie schätzte die Kundenfreundlichkeit eines bestimmten EDV-Shops. Außerdem war sie Raucherin und nach einer schwierigen Ehe geschieden. Sie hatte wenige Freunde, litt an Rückenschmerzen, lebte in Döbling und wurde 68 Jahre alt. Vier Performer in schwarzen Kleidern boten Stücke ihrer geliebten Cremeschnitte an.

Seltsame Erfahrung

Die Darum-Gründer Laura Andreß, Victoria Halper und Kai Krösche betreiben bei ihrem Debüt einigen Aufwand. Die nächsten Vorstellungen beschäftigen sich mit anderen einsam Beerdigten.

Während der Fahrt zum Zentralfriedhof erfährt man, dass es in Wien 600 Denkmäler gibt. Man lernt, dass Totenglocken einst verschieden läuteten, je nachdem ob ein Mann, eine Frau oder ein Kind verstorben war. Nach einem Marsch durch die Gräberreihen wartet auf das Publikum in einer Verabschiedungshalle ein Leichenschmaus. Bei manchen warf das Fragen nach dem eigenen Tod auf. Eine seltsame Erfahrung, deren Erkenntniswert zugleich aber enden wollend ist. (Michael Wurmitzer, 25.3.2019)