Ö1-Podcastduo: Philip Scheiner und Monika Kalcsics.

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Bei den Aufnahmen für den Podcast – v.l.n.r.: Hannes Duscher, Johannes Silberschneider, Roland Gratzer und Katharina Knap.

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Sitzen zwei Verschwörungstheoretiker in ihrem Auto und starren auf das Funkhaus. Bewaffnet mit einer Pistole und einer Audiokassette entern sie das Abendjournalstudio des "Staatsfunks" Ö1, um ihre krude Sicht der Welt zu verbreiten – die "Wahrheit". Österreich sei kein Staat, sondern ein ausbeuterisches Firmenkonglomerat. Nur: Im Funkhaus existiert kein Kassettenrekorder, und die beiden "Freigeister" nehmen die Moderatorin und den Tontechniker als Geiseln, um ihre Botschaften von Neu-Österreich aus – dem örtlichen Sitz ihres grotesken Weltbildes – durch den Äther zu schicken.

Was wie der Anfang eines Witzes klingt, ist nicht so weit von der Realität entfernt, wie man hofft. Die Geschichte dahinter ist in diesem Fall dennoch erfunden und nennt sich Fake News Blues. Das ist der Titel der ersten fiktionalen Podcastserie des ORF und gleichzeitig auch das erste senderübergreifende Projekt dieser Art zwischen Ö1 und FM4.

Der Startschuss zur ersten der drei Folgen fällt heute, Dienstag, um 19 Uhr in der Homebase auf FM4. Die weiteren Sendetermine sind am Mittwoch und Donnerstag sowie am Freitag um jeweils 19 Uhr mit allen drei Episoden. Ö1 zieht am Samstag um 14 Uhr nach.

"Die Realität erzählt ja die schönsten Geschichten. Es gibt tatsächlich Leute, die den Staat Österreich nicht anerkennen", sagt Monika Kalcsics, Ö1-Journalistin und Initiatorin des Projekts.

Kalcsics verweist im Gespräch mit dem STANDARD auf den Staatsverweigerer-Prozess, der kürzlich in Graz mit einem Schuldspruch wegen Hochverrats endete: "Es geht nicht darum, sich lustig zu machen." Und dennoch: Im Podcast paaren sich groteske mit mysteriösen Elementen und – no na: Humor. Die Hauptrollen sind mit Hannes Duscher und Roland Gratzer von FM4 besetzt.

Nicht ganz aus der Welt

Die Nähe zur Realität ergebe auch, dass nicht alles "eingleisig" daherkomme, sagt Philip Scheiner. Er fungiert als Produzent und Regisseur des Podcasts. "Die Protagonisten benennen auch Missstände, etwa dass wir in einer Wegwerfgesellschaft leben."

Für Scheiner ist die Produktion ein "großer Schritt aus der Welt des Denkens, Hörspiel sei Theater fürs Hören". Diese "Emanzipation" manifestiere sich beispielsweise bei der Musik: "Peter Kaizar hat 86 Stücke komponiert, so hatten wir ganz andere Möglichkeiten, eine Bildlichkeit zu erzeugen, die sonst nicht möglich ist."

Und Kalcsics sekundiert: "Das ist eine andere Art des Erzählens. Direkter, näher, sehr szenisch und soundreich." Gedreht wurde von Oktober bis März im und außerhalb des Funkhauses: "Mindestens die Hälfte haben wir draußen aufgenommen", so Scheiner.

Philip Scheiner und Monika Kalcsics.
Foto: STANDARD/Regine Hendrich

Das Experiment entspringt der Initiative von Monika Kalcsics und ist das Resultat einer Kooperation, die vor eineinhalb Jahren mit der Drehbuch-Klasse an der Filmakademie unter der Leitung des österreichischen Regisseurs und Drehbuchautors Götz Spielmann (Revanche) begann.

Kalcsics hat den Inhalt mit den Studierenden Felix Kalaivanan, Yannick Reuter, Andreas Schiessler und Sophia Sixta im Rahmen einer Lehrveranstaltung erarbeitet. Im Stile eines Writers' Room, wo Autorinnen und Autoren gemeinsam eine Geschichte mit all ihren Facetten modellieren. "Bei US-Serien ist diese Art des Arbeitens normal", erzählt sie: "Nur wir hängen am Bild des singulären Starautors, der alleine vor sich hin schreibt und in seiner Kreativität eingeschränkt würde, wenn er mit mehreren Leuten zusammenarbeitet."

Was sich Kalcsics neben geteiltem Hirnschmalz noch wünscht, ist mehr Raum im ORF für Innovationen und senderübergreifendes Arbeiten. Beim nächsten Mal könnte etwa auch Ö3 dabei sein. "Es wäre schön, wenn alle ORF-Radios einen Innovationshub haben könnten, um solche Projekte zu entwickeln."

Gute Zeiten für Radiomacher

Ganz generell ortet die Journalistin eine "total spannende Zeit" für Radio; etwa durch den Podcastboom, der auch Österreich erfasst hat: "Wir befinden uns in einem goldenen Audiozeitalter." Ö1 müsse dort hingehen, wo "uns die Leute nicht suchen". Dabei helfe ein Podcast bei gleichzeitig starker Präsenz auf dem FM4- und Ö1-Player, sagt Kalcsics. Was definitiv nicht helfe, seien Restriktionen, die dem ORF via ORF-Gesetz auferlegt würden. Zum Beispiel die Sieben-Tage-Regelung für Sendungen: "Es ist Wahnsinn, dass wir nicht länger im Netz sein dürfen. Die Leute zahlen Gebühren, und all das sollte wie eine digitale Bibliothek verfügbar sein." Bei Fake News Blues sind es 30 Tage. (Oliver Mark, 26.3.2019)

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