Endlich darf das zuletzt kaum genutzte, intime Speisezimmer des Saziani wieder für ordentliche Gelage herhalten.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Frittierte Sardinen auf Basilikumöl und Grapefruitzesten, sowie mit Lángos.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Es gibt Verirrungen des Zeitgeistes, über die wir noch lachen werden wie über andere, dem vertriebenen Selbstbewusstsein geschuldete Fehlleistungen der Vergangenheit. Bei der massenhaften Auspflanzung von Cabernet Sauvignon oder Merlot in den 1980ern und 1990ern war das so. Dass in guten Restaurants seit Jahren nur Süßwasserzuchtfisch, aber so gut wie gar kein Wildfang aus der nahen Adria mehr auf der Karte stehen darf, ist ein aktueller Fall von gastronomischem Irrsinn.

Regionale Küche, die sich mit dem begnügen soll, was innerhalb der politischen Grenzen produziert wird, zeugt von außerordentlich beschränktem Horizont. Der führt etwa dazu, dass Tiroler Restaurants zwar massenhaft "regionale" Weine aus dem Burgenland ausschenken, aber so gut wie gar keine aus Tirol – weil die blöderweise jenseits des Brenners gedeihen. Beim Fisch, der erst als (vorwiegend "ausländischer") Jungfisch in Teichen ausgesetzt wird, um danach mit importiertem Mehl aus Meeresfisch gefüttert zu werden, bevor man ihn uns als "regionale" Spezialität unterschiebt, wird es absurd.

Fisch vom Triester Fischmarkt

Harald Irka, der steirische Überkoch in der Sazianistubn, hat das jetzt auf seine Weise gelöst. Zwar darf sich auch weiterhin kaum ein Meerestier auf die Karte des Nobelrestaurants verirren, dafür gibt es seit ein paar Wochen aber ein zweites Lokal am Saziani – ausschließlich mit Fisch und Meeresfrüchten vom nahen Triester Fischmarkt. Zu verdanken ist dies dem Grazer Fischhändler Günther Pichler (So Fisch), der dort jede Woche zweimal einkauft und auf dem Rückweg den Schlenker über Straden macht, damit Irka in den Genuss taufrischer Adria-Ware kommt. Und Pichler selbst in jenen der mit Riesenabstand besten Fischküche des Landes.

Dafür wurde das Gwölb des Saziani (ein hinreißend schönes, von Andreas Burghardt entworfenes Speisezimmer), das seit Jahren zum Frühstücksraum degradiert war, mit reduzierten Mitteln meeresfrisch gemacht. Die Preise sind im Vergleich zur Gourmetküche eine Mezzie und das Essen auf eine Art gut, dass man achtgeben muss, sich nicht in einen Rausch zu essen. Wer die Wellen des Glücks so richtig über den Tisch schwappen lassen möchte, bestellt alle zwölf bis 13 Gerichte der Karte, um sie zu zweit (oder doch zu viert?) zu teilen. Das kostet 190 exorbitant gut investierte Euro und ist vielleicht die bessere Art, am Meer gewesen zu sein.

Dio!

Was es dafür gibt? Kapitalen, rohen Scampo auf Kresseemulsion; Wildlachs von prachtvoll fester, seidiger Geilheit mit Senfkörnern und Fenchelpollen; Ceviche von der Jakobsmuschel mit Holleressig, Kumquat und Jalapeño; winzige Sardinen, frittiert, mit Lángos, Basilikumöl und Grapefruitzesten – zum Schreien gut; knusprige Ährenfische mit elektrisch zitroniger Mayo; frittierte Seppioline mit schwarzsaurem Tintendip, wow; dreierlei Venusmuscheln, fast roh, in ätherischer Acciughe-Butter; Wildgarnelen mit Avocado, Chicorée und Krustentiercreme; Krustentierraviolo mit Hummerbutter und Estragon – Pasta wie im Paradies; Pulpo mit geräuchertem Erdäpfelpüree, gegrillter Paprika und Kernöl, reiner Wahnsinn in einem tiefen Teller; Steinbutt mit kaum gegartem Brunnenkressespinat und Muschel-Beurre-blanc – große Klassik, wie nebenbei serviert; Seeteufel in schwarzem Olivenöl mit wildem Brokkoli- das Gemüse fast noch besser als der fantastische Fisch; und schließlich Seezunge im Ganzen (ja!) "Saltimbocca" in Salbei und Pancetta mit weißen Bohnen und Selleriepüree.

Grandios wie stets: Irkas makellose Technik, die Freude an Gemüse, die schlafwandlerische Sicherheit der Kombinationen. Weinbegleitung gibt es (zum Glück?) keine, die besorgt man sich am besten mit dem dezidiert adriatischen "Camouflage", einem auf der Maische vergorenen Muskateller aus der Kooperation von Kathi Tinnacher und ihrem Lebensgefährten – und Hausherrn – Christoph Neumeister. (Severin Corti, RONDO, 29.3.2019)