Am 6. Februar wurde der Leiter der Sozialabteilung der BH Dornbirn erstochen. Mutmaßlicher Täter ist ein 34-jähriger Lustenauer, der bereits 2009 in die Türkei – das Herkunftsland seiner Eltern – abgeschoben wurde.

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Bregenz – Er räumt mit anderen Buben Opferstöcke aus, stiehlt in der Schule, im Sportlokal. Er braucht ein Fahrrad, nimmt es sich. Fliegt aus der Schule, die Eltern werden mit dem Burschen nicht fertig, haben noch sieben Kinder zu versorgen. Mit 14 steht er erstmals vor dem Jugendgericht. Aus den Fahrrädern werden gestohlene Mopeds, später Autos. Vom Cannabis geht es zu Heroin und Kokain. Die Drogen dienen dem Eigenbedarf, der Rest wird gedealt. Mit 19 die erste Haftstrafe und das erste Kind. Drei Jahre später das zweite Kind und eine weitere Verurteilung. Wieder ein Eigentumsdelikt. 15 Strafen hat er gesammelt. Die Behörden drohen dem Lustenauer mit Abschiebung ins Herkunftsland seiner Eltern, in die Türkei.

2009 wird aus der Drohung Ernst. Der 24-Jährige wird abgeschoben, bekommt ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot. Wenige Monate später kommt er zurück, will wieder dort leben, wo seine Familie ist. Er ist nicht der Einzige aus der zweiten Generation türkischer Vorarlberger, die in die Türkei abgeschoben werden. Der Bregenzer Anwalt Ludwig Weh berichtet von mehreren Fällen rechtswidriger Abschiebungen zu dieser Zeit.

Wartet auf Prozess

Der Lustenauer sucht um Asyl an, wird abgewiesen, ein unbefristetes Rückkehrverbot wird ausgesprochen. Er solle gehen, sonst werde auch seiner Lebensgefährtin und den Kindern der Aufenthaltsstatus aberkannt, soll ihm gesagt worden sein.

Am 6. Februar 2019, auf den Tag genau zehn Jahre nach der ersten Abschiebung, trifft der Mann auf jenen Beamten, der damals bei der Fremdenpolizei für seine Ausweisung zuständig war. Er leitet nun die Sozialabteilung der BH Dornbirn. Von ihm möchte der Türke Geld aus der ihm zustehenden Grundversorgung. Denn dieses Mal wurde sein Asylantrag angenommen, das Verfahren vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) eröffnet. Er bekommt in Dornbirn kein Geld, tobt, holt sich ein Messer, kehrt auf die Bezirkshauptmannschaft (BH) zurück und ersticht den Beamten.

Nun wartet er auf seinen Prozess, und die Juristen streiten, welche Behörde hätte verhindern können, dass er wieder in Vorarlberg landete.

Vorarlberg wollte ihn nicht

Das Innenministerium wurde aus dem Landhaus über das Rückkehrverbot informiert. Die zuständige Beamtin hatte die Aufnahme in ein Flüchtlingsquartier abgelehnt. Ihr war die Vergangenheit des Mannes aus ihrer früheren Tätigkeit bei der Fremdenpolizei bekannt. Nach ihrem Rechtsverständnis war das Aufenthaltsverbot gültig, das Innenministerium habe diese Rechtsmeinung aber nicht geteilt, sagte sie dem STANDARD.

Keine eindeutige Regelung

Streng genommen hätte sie die Aufnahme nicht verweigern dürfen, räumt sie ein. Eine klare gesetzliche Vorlage gebe es aber nicht. "Da ist so ein Fall, wo die Juristen von der weißen Seite im Gesetzblatt reden." Sprich: Es gibt keine eindeutige Regelung. Vorarlberg hat als einziges Bundesland kein Grundversorgungsgesetz. Und damit auch keine klaren Vorgaben, nach welchen Kriterien über das Prozedere der Grundversorgung zu entscheiden ist. Man regelt es über das Mindestsicherungsgesetz.

Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) sagte, dass das Land den 34-Jährigen nicht aufnehmen wollte. "Es gab im Vorfeld ganz, ganz intensive Warnungen, diesen Herrn nicht nach Vorarlberg zu lassen." Die Aussage von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ), dass "die Grundversorgungsstelle des Landes Vorarlberg dem Privatverzug nach Vorarlberg zugestimmt" habe, sei ein "billiger Versuch", Verantwortung abzuschieben, sagte Wallner.

Ins Asylverfahren aufgenommen wurde der mutmaßliche Täter von Dornbirn, weil er angegeben hatte, in Syrien aufseiten der Kurden gegen den IS gekämpft und türkische Soldaten getötet zu haben. Im Erstaufnahmezentrum Thalham sei er positiv aufgefallen, berichtet sein Verfahrenshelfer Daniel Wolff dem STANDARD. Dort habe er einen Handydiebstahl verhindert, wurde von den Beamten als ehrlich und entgegenkommend beschrieben.

Laut Neos Behördenversagen

Nun artet der mutmaßliche Täter in Innsbruck auf seinen Prozess, dorthin wurde er überstellt, weil in der Justizanstalt Feldkirch das Personal für Insassen, die als fremd- oder eigengefährdend eingestuft werden, fehlt.

Für Rechtsanwalt Daniel Wolff ist sein Mandat eines ganz sicher nicht: "Ein Paradebeispiel für die Notwendigkeit einer Sicherungshaft." Die Neos sprechen von Behördenversagen: "Die einzige Frage, die sich jetzt noch stellt, ist, welche Behörde versagt hat. Das Aufenthaltsverbot war bekannt, doch die Warnungen aus Vorarlberg wurden offenbar ignoriert. Wieso man 2009 aufgrund des Rückkehrverbots automatisch den Asylantrag abgewiesen hat und das später nicht mehr möglich gewesen sein soll, kann schlichtweg niemand erklären", sagt der stellvertretende Neos-Klubobmann Nikolaus Scherak." Die Vorarlberger Bürgerplattform "Uns reicht's" fordert einen Untersuchungsausschuss. Die entsprechende Petition haben knapp 800 Personen unterschrieben. (Jutta Berger, 27.3.2019)