Pinar Karabulut rückt Figuren in ein anderes Licht.

Sandra Then

Pinar Karabulut ist nicht der Typ, der weinend nach Hause geht, wenn man ihr blöd kommt. Und blöd kommen tut einem am Theater schnell einmal jemand. Die Konkurrenz ist groß, der Druck enorm. Der 1987 in Mönchengladbach geborenen Tochter türkischer Emigranten sieht man das alles nicht an. Regie war schon immer ihr Ding, auch wenn ihr fiese Kollegen einst geraten haben, es doch besser mit Theaterpädagogik zu versuchen – oder in der Verwaltung.

Karabulut hat sich ihren Weg gebahnt. Heute zählt sie zu den Shootingstars im deutschen Theater und repräsentiert eine ganz junge Regiegeneration, die in einem veränderten Theaterbetrieb ihren Platz gefunden hat. Das Volkstheater hat sie im Vorjahr für Heimwärts von Ibrahim Amir verpflichtet (Volx), nun inszeniert sie erstmals auf der großen Bühne, und zwar den Welterfolg Endstation Sehnsucht von Tennessee Williams.

Demokratiegeschult, genderbewusst

Das Theater ist heute diverser beschaffen, als es noch zur Zeit der künstlerischen "Großväter" wie Peter Zadek oder Luc Bondy war. Auch dafür ist Karabulut mit ein Beweis. Es gibt mehr Frauen im Regiefach, die künstlerischen Stimmen sind vielfältig, die Zahl der Produktionen und Spielstätten ist gestiegen. Viele Häuser sind daran interessiert, ihre Spielpläne heterogener zu gestalten. "Noch vor einem Jahrzehnt waren es eher immer die gleichen Namen", so Karabulut.

Heute sind es die Fernsehkinder der 90er, die Regie führen. Dreißigjährige, die genderbewusst, schnelldenkerisch, demokratiegeschult (man kennt die Bühnentechniker namentlich) und infiltriert von vielen medialen Einflüssen ihre Assoziationsräume bauen. Karabulut ist eine von ihnen.

Keine Vergewaltigung

Sie probiert Unterschiedliches aus, hat aber klare Maximen: Körper sind auf der Bühne mindestens genau so wichtig wie die Sprache. Aber vor allem kämpft die 32-Jährige um neue Lesarten von Texten. Da sie als Regisseurin allein schon durch den Dramenkanon mehrheitlich mit männlichen Perspektiven (Autoren) konfrontiert ist, antwortet Karabulut in den Inszenierungen gern mit einer weiblichen Sicht. Soll heißen: Sie rückt Frauenfiguren anders ins Licht. Eine Vergewaltigung, wie sie am Ende von Endstation Sehnsucht vorgesehen ist, soll es bei Karabulut nicht geben. Sie will diese ikonografischen Bilder nicht reproduzieren. "Ich möchte das anders erzählen."

Bereits während ihrer Zeit als Regieassistentin am Schauspiel Köln hat Karabulut Drei Schwestern als ein Stück des Verstummens inszeniert (O-Ton: "Bei genauer Betrachtung reden hier ja vor allem die Männer") oder Romeo und Julia als morbiden Ausgehrausch. Mit Letzterem wurde sie 2018 zum dritten Mal zum Festival radikal jung nach München eingeladen.

Britney-Spears-Fan

Köln: Hier war Pinar Karabulut drei Jahre lang Co-Leiterin der Nebenspielstätte des Schauspielhauses. Locationname: Britney. Die 90er haben eben ihre Spuren hinterlassen. "Theater darf auch pink sein", sagt sie. Der Anteil der Popkultur am Theater hat gerade in dieser Generation seinen bisherigen Höhepunkt erreicht. Als Nachzüglerin im Kreis von fünf älteren Geschwistern genießt Karabulut das Privileg, auch mit Musik der 70er aufgewachsen zu sein.

"Machen!" ist Karabuluts Devise. Als "hibbeliger Mensch" (Selbstbeschreibung) steht bei ihr das Ausprobieren an vorderster Stelle. "So sehr Sprache zu pauken, wie das Zadek und Co gemacht haben, dafür hätte ich gar keine Geduld", gesteht sie. Britney-Spears-Fan sein heißt heute aber noch lange nicht, dass man intellektuell nichts drauf hätte. Klischeehafte Raster wie diese sind ohnehin am Zerbröseln.

Textexegese

Theaterwissenschaft, Kunstgeschichte und Literatur hat Karabulut studiert, Handwerkszeug, das ihr bei der genauen Textexegese hilft. Die notwendige Neuerforschung von Dramen geht hier mit dem rauen Wind der Popkultur eine Verbindung ein. Gute Mischung. (Margarete Affenzeller, 28.3.2019)