Das Gedankengut der Identitären ist nicht friedlich, es ist brandgefährlich.

Foto: imago/Rolf Kremming

Immerhin. Die Regierung hat reagiert. Ein mutmaßlicher Attentäter, der 50 Menschen erschossen haben soll, hat dem Chef der österreichischen Identitären, Martin Sellner, im Vorjahr 1500 Euro auf ein privates Spendenkonto überwiesen. Der Kanzler schweigt nicht, der Vizekanzler auch nicht. Das ist gut so. Hätten sich Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache hier nicht zu Wort gemeldet, wäre das mehr als alarmierend.

Dieses Gedankengut sei "eine Gefahr und eine Bedrohung für unsere freie und liberale Gesellschaft", betonte der Kanzler, und sein Vize forderte "schonungslose Aufklärung". Netzwerke, vor denen Journalisten und Menschenrechtsvereine seit Jahren warnen, sollen nun ausgeforscht werden. Es herrsche "null Toleranz" seitens der Regierung. Wunderbar!

Doch die Lippenbekenntnisse der Regierung vom Mittwoch reichen nicht, um ernsthaft zu beruhigen. Schon gar nicht die Ankündigung, man werde nun die Auflösung der Organisation der Identitären prüfen. Diese ist nämlich schon rein vereinsrechtlich gar nicht so einfach. Es würde nicht überraschen, wenn man in ein paar Monaten, wenn sich die Wogen um den grauenhaften rassistischen Mord in Neuseeland medial gelegt haben, hört, dass die Auflösung nicht möglich sei. Ähnliches hat man zuletzt bei der Burschenschaft Germania erlebt. Dennoch soll man der Regierung hier nicht vorauseilend eine Alibiaktion vorwerfen, sondern erst einmal abwarten.

Null Toleranz

Aber selbst wenn es zur Auflösung der Identitären kommen sollte, wird das nicht reichen, wenn sich die Regierung unter Sebastian Kurz mit Extremisten anlegen will. Das Problem liegt auf der Hand: Der Koalitionspartner, die FPÖ, hat selbst zahlreiche Verbindungen ins rechtsextreme Eck – auch und besonders zu den Identitären. Auch wenn gerade Strache in den letzten beiden Jahren immer wieder glaubhaft zu versichern versuchte, dass Antisemitismus und Rechtsextremismus in seiner Partei keinen Platz hätten, strafen ihn seine eigenen Funktionäre in trauriger Regelmäßigkeit Lügen.

Er könnte die aktuelle Situation dafür nutzen, in den eigenen Reihen etwas genauer hinzusehen: in den Gemeinderäten, den Landtagen, den Büros seiner Parlamentarier und besonders in den Jugendorganisationen seiner Partei.

Wenn "null Toleranz" von der Regierung auch nur im Geringsten ernst gemeint sein sollte, steht nicht der von den rechtsextremen Identitären behauptete "große Austausch" der Bevölkerung an, sondern ein dringender Handlungsbedarf in den blauen Büros. Die FPÖ hat aber nicht nur personell – über die Buden ihrer eigenen Burschenschafter oder die Stammtische ihrer Parteijugend – Überschneidungen mit den Identitären, die enger sind, als Strache jetzt zugeben will. Er selbst saß mit Vertretern der Organisation am Biertisch, er selbst bezeichnete die Gruppierung auf Facebook verharmlosend als "nichtlinke Bürgerbewegung", die "friedlichen Aktivismus" betreibe.

Doch das Gedankengut der Identitären ist nicht friedlich, es ist brandgefährlich – nicht nur für den sozialen Frieden der eigenen Bevölkerung, der Kanzler und Vizekanzler am Herzen liegen sollte. "The Great Replacement" nannte der mutmaßliche Mörder von Christchurch sein Manifest. Das sollte sich jeder Politiker, der die These vom "großen Austausch" künftig wieder im Mund führt, vor Augen halten. (Colette M. Schmidt, 27.3.2019)