Bei der Anlandestation in Mecklenburg-Vorpommern ist noch einiges zu erledigen, ebenso in der Ostsee. Dort wurde bisher ein Drittel der nötigen Rohre verlegt.

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Lubmin – Unspektakulärer und unauffälliger geht es kaum. Halb vergraben in hellbraunem Erdreich liegt ein schwarz-weißer Betonblock, aus dem eine schwarze Röhre derzeit noch ins mecklenburg-vorpommersche Nichts ragt. "Das ist der Ankerblock, er misst zehn mal 18 mal fünf Meter und wiegt 2.000 Tonnen", erklärt Jens Müller, Pressesprecher der Nord Stream AG.

So nüchtern kann man einen der zentralen Punkte jener neuen Ostseepipeline beschreiben, um die seit Jahren eine heiße Debatte geführt wird. Für die einen ist das Projekt der Schlüssel zur künftigen Energieversorgung Europas. Die anderen sehen darin den Weg in die Abhängigkeit von Russland.

Ein unscheinbarer schwarz-weißer Anker für die 1.230 Kilometer lange Pipeline liegt in Lubmin begraben.
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Müller will sich daran nicht beteiligen, sondern beim Rundgang auf der Baustelle Informationen zur sogenannten Anlandestation liefern. Und da spielt der Ankerblock ein paar hundert Meter hinter dem Ostsee-Strand eine wichtige Rolle. Hier wird das Erdgas aus Russland erstmals deutschen und somit auch europäischen Boden erreichen – wenn die Pipeline, die parallel zu Nord Stream 1 laufen wird, in Betrieb ist.

Einsame Großbaustelle

Wenig Sichtbares deutet in der Region darauf hin. Wer in Berlin losfährt, braucht mehr als drei Stunden, um an die Ostsee zu kommen. Immer noch sind viele Straßen in Mecklenburg-Vorpommern schmal, nicht wenige der geduckten Häuser in den Dörfern so braun wie damals in der DDR.

Hinter der Universitätsstadt Greifswald sind es noch 20 Kilometer nach Lubmin. Besucher schätzen das Seebad (2.000 Einwohner) wegen seiner weißen Sandstrände und der Seebrücke.

Der einsame Strand bei Lubmin, gute drei Autostunden von Berlin entfernt.
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Drei Kilometer abseits des Ortes grüßt zunächst ein Energieversorger der Vergangenheit aus dem Kiefernwald: das ehemalige Kernkraftwerk Lubmin, das 1990 abgeschaltet wurde. Kurz darauf tauchen schon die Kräne auf der Nord-Stream-Baustelle auf.

"Nord Stream 2. Committed. Reliable. Safe" ("Engagiert. Zuverlässig. Sicher") steht am Eingang. Zu sehen ist bei der Besichtigung auch das Logo der OMV, die an der Finanzierung der Pipeline beteiligt ist. 40 Personen arbeiten derzeit auf der Baustelle, und wen man auch fragt, es gibt nur eine Botschaft: "Wir liegen voll im Plan, wir werden pünktlich fertig. Ende 2019 strömt hier Gas."

Trump wettert gegen Pipeline

Natürlich verfolgt Ingenieur Ronny Weiß die Diskussionen. Gerade erst hat der CSU-Politiker Manfred Weber, der möglicherweise nächster EU-Kommissionspräsident wird, erklärt, er lehne den Bau der Gaspipeline "kategorisch ab", worüber man sich im Berliner Kanzleramt und in Wien weniger freut als in der Ukraine oder in Polen. Und dann gibt es ja noch die Drohungen von US-Präsident Donald Trump gegen an Nord Stream 2 beteiligte Firmen.

"Das blenden wir bei der täglichen Arbeit aus", sagt Weiß und fügt hinzu: "Aber es ist schon ungewöhnlich, wenn deine Baustelle permanent in den Medien ist."

An Pressesprecher Müller scheint das Unbehagen wegen der Pipeline komplett abzuperlen. Hat er Sorge, dass das Projekt noch irgendwie gestoppt werden könnte? "Wir bewegen uns völlig im rechtlichen Rahmen, darauf vertrauen wir als Investoren", sagt er.

Einsatzbereit: die Teile der Pipeline Nord Stream 2.
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Auf Sanktionsdrohungen Trumps angesprochen, verweist er auf einen Leitfaden vom US-Außenministerium zu Sanktionen. Darin heiße es, dass sich die USA mit den Verbündeten abstimmen müssten. Zudem seien Sanktionen ausgeschlossen, wenn es um Projekte gehe, die vor August 2017 vereinbart wurden. Müller: "Nord Stream 2 kann also davon nicht betroffen sein."

Beim Versuch, Widerstand zu leisten, sind schon andere gescheitert – etwa die deutsche Umweltschutzorganisation Nabu. Sie wollte per Gericht einen Baustopp erzwingen und unterlag im Sommer 2018 vor dem Bundesverfassungsgericht. Wenige Tage später begann die Verlegung der Rohre in der Ostsee.

Sorge um Seegraswiesen

Deutschland wolle diese Pipeline politisch so sehr, "die Meeres- und Klimaschutzargumente des Nabu konnten dagegen kaum durchdringen", heißt es etwas resigniert beim Nabu. Der Naturschutzbund kritisiert nicht nur die Tonnen an Phosphor, die durch Baggerarbeiten am Meeresgrund freigesetzt werden, sondern befürchtet auch die irreparable Zerstörung von Seegraswiesen in der Ostsee.

Weil diese vor Lubmin, im "Greifswalder Bodden", so flach ist, liegen die Rohre nicht am Meeresboden, sondern werden die ersten Kilometer ab der Küste eingegraben. Da war im Sommer 2018 richtig was los im beschaulichen Lubmin. Bis zu 50 Schiffe kreuzten unmittelbar vor der Küste, um die Arbeiten durchzuführen.

Mittlerweile ist Stille eingekehrt, nur der kalte März-Wind pfeift über den Strand. Der Abschnitt vor Lubmin ist fertig, insgesamt wurde bisher ein Drittel der 1230 Kilometer langen Pipeline verlegt. Dafür arbeiten derzeit rund 1000 Menschen auf Verlegeschiffen in schwedischen Gewässern rund um die Uhr. Die je zwölf Meter langen betonummantelten Rohrstücke werden aus vier Lagern in Deutschland, Schweden und Finnland angeliefert.

Ob zum Aufdrehen des Gashahnes der russische Präsident Wladimir Putin kommt, wird Müller dann noch gefragt. Davon wisse er nichts, sagt er. Überhaupt: Man arbeite hier, denke nicht an Party.

Im kleinen Rathaus von Lubmin hingegen wird man vielleicht ein Fläschchen öffnen, wenn Nord Stream 2 in Betrieb ist. Bürgermeister Axel Vogt (CDU) freut sich über die Arbeitsplätze und die üppigen Gewerbesteuern. Während anderswo das Geld knapp ist, kann er dank der Pipeline verkünden: "2020 sind wir schuldenfrei." (Birgit Baumann aus Lubmin, 28.3.2019)