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Boeing muss sich wohl auf mehrere Klagen einstellen.

Foto: Reuters

Chicago – Nach den Abstürzen zweier Boeing-Maschinen steht der Flugzeughersteller massiv unter Druck. Der Stresspegel dürfte für den US-Konzern rasch weiter ansteigen. Denn nun schlägt die Stunde der Anwälte. Das bedeutet im US-Rechtssystem, wo Sammelklagen gang und gäbe sind, für Unternehmen in der Regel großen Ärger. Es drohen etliche Rechtsstreitigkeiten verschiedener Art, einige Klagen liegen schon vor.

Der erste Rechtsstreit im Namen Angehöriger eines Todesopfers der am 10. März in Äthiopien abgestürzten Boeing 737 Max 8 wurde am Donnerstag im US-Staat Illinois eröffnet. Laut Klageschrift wird von Boeing Schadenersatz wegen eines angeblichen Defekts der Unglücksmaschine gefordert. Zudem werfen die Kläger dem US-Luftfahrtriesen vor, nicht ausreichend vor den Risiken des Flugzeugs gewarnt und so Menschenleben gefährdet zu haben.

Zusammenarbeit mit Behörden

Eine Boeing-Sprecherin sagte auf Nachfrage, der Konzern könne sich zu dem Rechtsstreit nicht äußern. "Wir sprechen den Angehörigen derer, die an Bord des Flugs 302 von Ethiopian Airlines waren, unser tiefstes Mitgefühl aus." Boeing unterstütze weiter die Ermittlungen zur Unfallursache und arbeite mit den zuständigen Behörden zusammen.

Ende Oktober war bereits eine baugleiche und ebenfalls fast nagelneue 737 Max 8 in Indonesien abgestürzt, hier folgten bereits etliche ähnliche Klagen. Boeing steht nach den Abstürzen, bei denen insgesamt 346 Menschen ums Leben kamen, heftig in der Kritik. Laut Unfallermittlern spielte eine für die neue Baureihe entwickelte Steuerungssoftware eine entscheidende Rolle beim Crash in Indonesien. Auch beim Unglück in Äthiopien gilt sie als mögliche Ursache.

Das MCAS genannte Programm soll dazu geführt haben, dass die Piloten des Lion-Air-Flugs in Indonesien die Kontrolle über die Maschine verloren. Der Bordcomputer soll die Nase des Jets automatisch immer wieder nach unten gedrückt haben, während die Crew vergeblich versuchte gegenzusteuern. Boeing weist Vorwürfe, wonach die MCAS-Software ein Risiko war, über das Airlines nicht ausreichend informiert wurden, zwar zurück. Doch der Konzern will rasch ein Update für das Programm liefern, um die Sicherheit zu erhöhen.

Aufklärungsarbeit läuft

Die Aufklärung der Unfallursachen läuft noch, doch rechtlich gesehen scheint die Angelegenheit für Boeing auch so schon heikel genug. Die Schadenersatzverfahren der Hinterbliebenen, wie die nun in Illinois eingereichte Klage, dürften einen wesentlichen Teil des juristischen Nachspiels ausmachen. So etwas ist bei Unfällen mit Todesopfern stets eine empfindliche Angelegenheit, denn letztlich feilschen Anwälte beider Seiten hier darum, wie Menschenleben finanziell abzugelten sind. Boeing könnte dabei aber noch größere Probleme bekommen.

Sollte sich der Verdacht bestätigen, dass eine hausgemachte fehlerhafte Software der entscheidende Faktor bei den Abstürzen war, so bekäme der Fall rechtlich eine ganz andere Dimension. Dann könnten US-Gerichte eine viel weitreichendere Haftung feststellen und sogenannten Strafschadenersatz verhängen, mit dem im US-Recht besonders schwerwiegende Fälle über den erlittenen Schaden hinaus sanktioniert werden. Bei Unternehmen ist dieses Instrument gefürchtet, auch aus versicherungstechnischen Gründen.

Sammelklagen im Anflug

Boeing drohen aber noch weitere Prozessrisiken. So trommeln schon seit Wochen US-Kanzleien, die sich auf Sammelklagen spezialisiert haben, Mandanten zusammen, die nach den Abstürzen Kursverluste mit Boeing-Aktien erlitten haben. Darunter sind bekannte Anwaltsfirmen wie Hagens Berman – eine Großkanzlei, die schon Volkswagen in der "Dieselgate"-Affäre oder General Motors im Skandal um defekte Zündschlösser zu schaffen machte. Ohne Boeings "unglaubliches Versagen" bei der Sicherheit hätten die Abstürze womöglich verhindert werden können, meint Hagens-Berman-Partner Reed Kathrein.

Darüber hinaus muss Boeing trotz seines traditionell engen Drahts zur US-Regierung auch die staatlichen Strafverfolger fürchten. Der Konzern wird verdächtigt, bei der Zulassung der Unglücksflieger Informationen unterschlagen zu haben, was die Angelegenheit zum Kriminalfall machen würde. Laut US-Medien hat sich die Bundespolizei FBI auch schon in die Ermittlungen im Zusammenhang mit der Zertifizierung der 737 Max eingeschaltet. An deren Spitze soll die strafrechtliche Abteilung des Justizministeriums stehen, die immer wieder mit hohen Strafen für Unternehmen von sich reden macht.

Flugverbot für Boeing 737 brockt TUI Gewinnrückgang ein

Der deutsche Reisekonzern TUI rechnet wegen der Belastung durch seine mit Startverbot belegten Boeing-Flugzeuge heuer mit einem Gewinnrückgang. Das Unternehmen erwarte einen Einmaleffekt von ungefähr 200 Millionen Euro, teilte TUI am Freitag mit. TUI hat in seiner 150 Flugzeuge großen Flotte 15 Maschinen des Modells 737 MAX 8 im Einsatz, das nach zwei Flugzeugabstürzen am Boden bleiben muss.

Bis Ende Mai wollte der Reiseanbieter weitere acht in Betrieb nehmen. Jetzt fallen Kosten an für verlängerte und neue Leasingverträge, um die ausfallenden Maschinen zu ersetzen. Das operative Ergebnis für das Gesamtjahr (Ebita) werde gegenüber dem Gewinn 2018 von 1,18 Milliarden Euro um 17 Prozent sinken – vorausgesetzt, die Boeing könne ab Mitte Juli wieder fliegen. Sollte das Modell noch länger gesperrt bleiben, erwartet TUI weitere 100 Millionen Euro Kostenerhöhung und einen Gewinnrückgang um 26 Prozent. (APA, Reuters, dpa, 29.3.2019)