Foto: Tobias Müller

Taiwan ist ein unterschätztes Paradies, zumindest kulinarisch. Auf engstem Raum drängen sich hier Einflüsse aus fast allen chinesischen Provinzen, die Zutaten sind qualitativ viel hochwertiger, und der Tee ist schlicht fantastisch.

Es ist eine winzige Version von China, in der nie die Kulturrevolution gewütet und alte Traditionen zerstört hat – Kochkultur und gutes Essen wurden hier nie als bourgeois verfolgt. Dank kolonialer Vergangenheit sind zudem japanische Ess- und Kochkultur (und Design!) allgegenwärtig, die im Gegensatz zum Festland verehrt und bewundert werden.

Foto: Tobias Müller

Die Insel ist reicher, gebildeter, entwickelter, westlicher als China, die Menschen sprechen mehr Englisch – das alles macht es deutlich leichter, als Europäer hier unterwegs zu sein. Taipeh, die Hauptstadt, fühlt sich deutlich größer an, als seine zwei Millionen Einwohner vermuten lassen würden, und bietet alles von tollen Sushi-Bars über Yakitori-Beisl, schicke japanische Cafés und Cocktailbars bis hin zu derber chinesischer Straßenküche. Und außerhalb, vor allem an der Ostküste und im Süden, geht es traditioneller zu.

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Die Australierin und ich durften diesen Winter einen Monat auf der tollen Insel verbringen, den Großteil der Zeit in Tainan, der ältesten Stadt Taiwans im Süden. Das Essen dort hat mich stark an die Küche Fujians erinnert – die Provinz mit ihrer hübschen Hauptstadt Xiamen liegt gleich jenseits der Taiwanstraße auf dem chinesischen Festland (hier gibt's ein paar Fotos von dem dortigen fantastischen Fischmarkt).

Foto: Tobias Müller

Es wird deutlich weniger gewürzt als etwa in Sichuan, Chili wird sparsam eingesetzt, Schärfe kommt eher von riesigen Mengen an Knoblauch. Für mich besonders schön: Fisch und Meeresfrüchte sind Grundnahrungsmittel.

Fische mit Weihnachtsmützen.
Foto: Tobias Müller
Foto: Tobias Müller
Foto: Tobias Müller

Tainan gilt als die traditionelle kulinarische Hauptstadt Taiwans und ist vor allem für seine Snackkultur berühmt. Am Wochenende pilgern daher tausende Einwohner Taipehs hierher, um zu schlemmen. Vor den berühmten Ständen bilden sich mitunter lange Schlangen. Hier ein kleiner, unvollständiger Überblick, was es alles zu kosten gibt. Auf meiner Website folgt in den nächsten Tagen eine Google-Map mit Adressen.

Ahnenschweine

Foto: Tobias Müller

Die Taiwaner, vor allem die Tainaner, sind verfressen und abergläubisch, daher müssen hier auch die Ahnen essen. Mehrmals im Jahr werden die Verstorbenen zu einem Festessen im örtlichen Tempel eingeladen, und dabei wird ganz groß aufgetischt.

Wurstschwein.
Foto: Tobias Müller

Das Highlight: Ganze Schweine mit Räucherstäbchen, die auf großen Festtafeln präsentiert werden. Dass sie nicht gekocht sind, scheint die Ahnen nicht zu stören. Das Fleisch wird übrigens nach dem Fest nicht entsorgt, sondern an die Nachkommen verteilt. Weil die Schweine tiefgekühlt geliefert werden, sind sie spätnachts bereit, zerteilt zu werden.

Foto: Tobias Müller

Krabben, Krabben, Krabben

Ganz Taiwan ist ein Fisch- und Meeresfrüchteparadies. Selten bis nie habe ich außerhalb Japans eine solche Vielfalt, einen solchen Reichtum an Meeresgetier auf den Tellern gesehen. Ein besonders beeindruckendes Beispiel war ein Fischrestaurant mit dem schönen Namen "Aquatic Development", dessen Fischtheke das Haus des Meeres alt aussehen lässt. Während es in Taipeh, der Hauptstadt, zahlreiche High-End-Sushi-Restaurants gibt, geht der Tainaner es eher klassisch an.


Foto: Tobias Müller
Foto: Tobias Müller

Besonders gut waren unsere Krabben: üppig, saftig, und zu der Jahreszeit (Winter) voll köstlicher Eier. Während man sich in Frankreich noch gelegentlich mit Meeresfruchtbesteck abmühen muss, geht es hier deutlich entspannter zu: Krabbe nehmen, reinbeißen und auszuzeln. Macht großen Spaß und ist ganz, ganz köstlich.

Rindssuppe

Die Taiwaner lieben Suppen zu jeder Tages- und Nachtzeit, und oft sind sie der Star oder der einzige Bestandteil einer Mahlzeit. Der taiwanische Suppenkoch konzentriert sich bei seiner Arbeit meist voll und ganz auf die tatsächliche Suppe, also die Flüssigkeit, nicht die Einlage. Rindssuppe gilt hier als Frühstück, und wird von fünf Uhr früh bis etwa zehn am Vormittag serviert.

Foto: Tobias Müller

Gute Versionen sind eine vor Kraft strotzende, nach Unmengen gerösteter Knochen schmeckende Rindsessenz, die man sich in den allermeisten österreichischen Wirtshäusern so wünschen würde. Sie wird brühend heiß in die Schüsseln gefüllt, dann kommen, je nach Bestellung, rohe, dünn geschnittene Stücke Rindfleisch, Herz oder Leber hinein – recht ähnlich wie bei einem vietnamesischen Pho. Nudeln, Gemüse oder Kräuter gehören allerdings nicht zum Programm.

Der Gast füllt sich ein kleines Schälchen mit frischem Ingwer und süß-saurer Sauce und dippt die Fleischstücke in die Mischung. Die Brühe wird aus der Schüssel getrunken. Wer nicht genug bekommt (die meisten), kann sich mehr Brühe holen.

Boiled Stuff

Tainans häufigste Art des Restaurants ist das, was die Australierin und ich einen "Boil-Shop" getauft haben: Die Gäste wählen von einem mehr oder weniger umfangreichen Buffet, auf dem sich allerlei vorgegarte Köstlichkeiten stapeln: gekochte Schweinszungen und ausgelöstes Schweinskopffleisch, frische Leber und gekochter Schweinedarm, Tofuhaut, Tofu getrocknet, geräuchert oder frisch, in Sojasauce gegarte Eier, Enoki-Pilze oder diverses noch rohes Grünzeug.

Kochplatte.
Foto: Tobias Müller

Jeder nimmt sich, was er möchte, packt es in einen kleine Korb und reicht es an die Köchin oder den Koch weiter, Herr über einen riesigen Topf, in dem heiße Suppe aus Schweinsköpfen (und sonstigen Teilen) blubbert. Die Auswahl wird kurz darin versenkt und durchgewärmt und dann mit einem ordentlichen Schuss der Brühe und etwas Frühlingszwiebel serviert. Dazu gibt es meist einfache, aber sehr gute Nudeln und gelegentlich Teigtaschen. Weil der Suppentopf von jeder Bestellung profitiert, gilt: je später der Abend, desto besser das Ergebnis.

Wenige Meter von unserem Haus war ein solcher Laden, sechs Tage die Woche von fünf Uhr nachmittags bis drei Uhr früh geöffnet und auch spätabends noch gut besucht. Familien drängen sich hier an großen Tischen über riesigen gekochten Platten, Pärchen teilen sich Teller, alte Männer nehmen einen Mitternachtssnack, die Stimmung ist entspannt und freundlich wie bei einer sehr guten Familienfeier. In keinem Restaurant haben wir öfter, in kaum einem lieber gegessen als hier.

Milchfisch

Der Milchfisch ist so etwas wie der Nationalfisch Taiwans und Milchfischsuppe der Tainaner liebstes Frühstück. Zur Suppe dazu kann und soll man diverse seiner Teile bestellen: gebratenen Milchfischbauch, gesottene Milchfischköpfe oder, besonders beliebt, geröstete Milchfischinnereien. Mich persönlich hat die Suppe wenig überzeugt, auch, weil sie meist mit einer sehr großzügigen Menge frittierten Knoblauchs garniert wird.

Foto: Tobias MÜller
Foto: Tobias MÜller

Lammsuppe

Viel besser gefallen hat mir da Tainans angeblich traditionellstes Frühstück: Lammsuppe. Die Brühe bei unserem Lammsuppenstand war ähnlich konzentriert wie die Rindfleischsuppe und kann entweder pur oder mit diversen chinesischen Heilkräutern und Wurzeln versetzt genossen werden – Letzteres gibt ihr eine herrlich medizinale, leicht bittersüße Note (Medizinsuppen sind ein ganz wesentlicher Bestandteil der chinesischen Küche – die Trennung zwischen Essen und Medizin ist hier noch viel unklarer als bei anderen Gerichten). Im Gegensatz zum Rindfleischladen ist das gesottene Lammfleisch hier perfekt auf den Punkt gegart – vor allem die Lammleber war ein Gedicht. Schwere Frühstücksempfehlung!

Foto: Tobias Müller

Schildkrötensuppe

Gelegentlich geht es dann doch auch um die Einlage. Zu Weihnachten hatten wir das große Vergnügen, in einem von Tainans berühmtesten, ältesten Restaurants zu speisen, dass vor allem auf Krabbenreis spezialisiert ist. Während ich das Krustentier anderswo besser genossen habe, wurde uns ein Gericht serviert, auf das der Max Stiegl sehr stolz gewesen wäre: Schildkröte (Zucht, nicht Galapagos) und Huhn, im Schweinsmagen gegart. Dekadent und fantastisch.

Foto: Tobias Müller

Shrimp-Dumpling

Mein liebster Snack der Snackhauptstadt: Shrimp-Speckknödel. Der Hafen von Anping, der alten Festung der Holländer, ist berühmt für seine kleinen, fleischig-süßen Shrimps, die in der Mischung aus Salz- und Süßwasser leben, Sie werden mit etwas Speck und ausgelassenem Schweineschmalz gemischt, in einen extrem weichen, klebrigen Reisteig aus altem gekochtem Reis gepackt und kurz gedämpft. Der Knödel wird dann mit einer dicken Sauce aus getrockneten Shrimps, Sojasauce und etwas Koriander gewürzt.

Foto: Tobias Müller
Foto: Tobias MÜller

Klassisches Restessen, umwerfend gut. Es schmeckt ob seiner krautigen Noten und seiner bittersüßen Krustentier-Aromen mehr nach Malaysia denn China und ist süchtigmachend. Die größte Herausforderung ist es, den extrem weichen Teig und die Sauce mit Stäbchen zu essen, dem einzigen Besteck, das mein liebstes Shrimpsknödelrestaurant angeboten hat. Ich habe mir anfangs vom Nachbarrestaurant einen Löffel zur Hilfe geholt.

Aalnudeln

Der perfekte Mitternachtssnack. Aal, fett und üppig, wie es sich für diesen Fisch gehört, wird im sehr heißen Wok kurz gebraten, dann mit süßsaurer Sauce und jeder Menge weißem Pfeffer gewürzt und über einer Schüssel frischer Nudeln serviert. Das Ergebnis ist eine süß-saure Umami-Bombe mit grandiosem Wok Hai, jenem unvergleichlich rauchigen Geschmack, den nur ein gut eingebrannter Wok über in Europa verbotenen starken Flammen entwickelt. Am besten betrunken genießen.

Foto: Tobias Müller
Foto: Tobias Müller

Schweinereis

Der Snack für den größeren Hunger. Schweinereis-Geschäfte haben einen riesigen Topf, in dem eine dicke Brühe aus kleinwürfelig geschnittenem, butterweich gekochtem Schweinebauch, vor allem Haut und Fett, vor sich hin blubbert. Auf Bestellung wird ein Schöpfer davon über eine Schüssel Reis gekippt und das Ganze je nach Lust und Laune mit einem in Sojasauce gekochten Ei, ein wenig Sauergemüse und Pork-Floss, getrocknetem, gezupftem Schweinefleisch, garniert.

Foto: Tobias Müller

Kalmar-Nudelsuppe

Ähnlich wie bei der Rindssuppe geht es auch hier vor allem um die Brühe: umwerfend intensiv nach Kalamari schmeckt sie, was zusätzlich überrascht, weil die klare Flüssigkeit nach nichts aussieht. Die Einlage, Reisnudeln und ausgekochter Kopffüßler, sind eher zu vernachlässigen.

Foto: Tobias MÜller

Gedämpfter Reis und Misosuppe

Ein klassisches Taiwan-Frühstück: Klebreis, entweder mit Fleisch gefüllt oder gezuckert und mit gehackten Nüssen bestreut, im Bananenblatt gedämpft. Erinnert stark an mexikanische Tamales und zeigt schön, dass die ganze Welt gern ihr Essen in Blätter wickelt. Dazu gibt's dank japanischer Kolonialvergangenheit eine Schüssel Misosuppe.

Foto: Tobias Müller

Mandelpudding

Foto: Tobias Müller

Nicht nur aus Sojamilch lässt sich Tofu machen, es funktioniert auch mit Sesam- oder Mandelmilch.

Als solche ist die Milch ein in Taiwan höchst beliebtes Dessert, gern serviert mit süßer, schwarzer Sesamsauce. Mir persönlich ist allerdings Douhua immer noch am liebsten. Gibt es hier natürlich auch an jeder Straßenecke.

Ein großes Dankeschön an Matthias, Xinxin, Naseem, Tom und Chao Wen, den sicher tollsten Restaurateur von ganz Taipeh – ohne euch wäre das so nicht möglich gewesen!

(Tobias Müller, 31.3.2019)

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