Sind Games zu schwierig?

Foto: Screenshot/GameStandard

Zwei Sekunden – und schon ist der Kampf vorbei. In roten Kanji steht das Urteil über meine miserable Performance: Tod. Schon wieder. Zum gefühlt 20. Mal hat mich der Elitekrieger des Ashina-Clans ohne größere Anstrengung ins Jenseits geprügelt, ohne dass ich einem Sieg näher wäre. Ich atme tief durch, schaue aus dem Fenster. Irgendwo in meinem Bauch brodelt der Frust.

Sekiro: Shadows Die Twice ist ein großartiges Spiel, aber dieses Urteil kann nicht jede und jeder teilen. Viele, auch sehr erfahrene Kollegen und Freunde winken entnervt ab, wenn man sie auf die Spiele des japanischen Studios From Software anspricht: zu schwer, zu frustrierend, keine Lust, "sich das anzutun". Warum, so fragen sie mich, sollen sie Stunden ihres Lebens darauf verschwenden, sich mit einem Spiel zu quälen, das sie durch hohen Schwierigkeitsgrad und den Zwang zur höchsten Aufmerksamkeit frustriert? Immerhin wolle man sich beim Spielen ja hauptsächlich unterhalten oder sich gar entspannen. Dark Souls, Bloodborne und nun Sekiro brächten sie viel eher dazu, den Controller gegen die Wand zu schmeißen.

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Rückkehr zur Härte

Tatsächlich stehen die Spiele von From Software beispielhaft für einen Trend, der die Marschrichtung des Mainstreams in den letzten Jahren störrisch umgekehrt hat: Lange Jahre bemühten sich Entwickler, in ihren Spielen viele Hürden zu beseitigen. Ausführliche Tutorials, einfache Schwierigkeitsgrade, zuschaltbare KI-Hilfe, Autopiloten, überspringbare Kämpfe oder gar Touristen-Modi, in denen die Spielewelt ganz ohne Kämpfe oder Geschicklichkeitstests einfach nur durchwandert werden konnten, haben Spiele für ein größeres Publikum zugänglicher und damit interessanter gemacht.

Denn immerhin: Neun von zehn SpielerInnen, so wiederkehrende grobe Schätzungen, sehen das Ende ihres jeweiligen Spiels niemals; eine Statistik, die bei Büchern, Platten oder Filmen undenkbar wäre. Auch Spielentwicklern gibt sie zu grübeln, denn die Entwicklung von Content ist teuer. Und SpielerInnen, die sich gelangweilt oder genervt irgendwo im Mittelteil abwenden, kaufen weder DLC noch das nächste Spiel: Ein gutes Unterhaltungsprodukt hat seinem Publikum entgegenzukommen. Oder?

Das alte Selbstverständnis des Spiels als Prüfung, die überwunden werden muss, wurzelt irgendwo weit in der Vergangenheit der Spielautomaten, als Scheitern für den Entwickler mehr Umsatz und das Bezwingen des Spiels mit nur einem Zehner für den Spieler das ultimative Glücksgefühl bedeutete. Und es bietet natürlich – ganz wichtig – das Recht auf Distinktion: Wer die Hardcore-Hölle von I Wanna Be The Guy, Super Meat Boy, Cuphead, Getting Over It With Bennet Foddy oder eben Dark Souls überlebt hat, darf sich rühmen, etwas Außerordentliches geschafft zu haben.

The Happy Hob

Git gud

Mit anderen Worten: In Zeiten immer zugänglicher und damit einhergehend auch einfacher werdender Mainstream-Spiele war die Rückkehr zur alten Härte auch ein Rückzug mancher Spieler*Innen in einen inneren Kreis "echter" Spiele. Im Fall von Dark Souls & Co mag das allerdings nicht im Sinn des Erfinders gewesen sein: Der großspurige und martialische Marketingspruch "Prepare to die", der nicht den originär japanischen, sondern nur dem amerikanischen und internationalen Start von Dark Souls prägte und gleich von Anfang an die Härte ins Zentrum des Hypes stellte, steht der Design-Philosophie des Soulsborne-Erfinders Hidetaka Miyazaki entgegen.

Denn der hohe Schwierigkeitsgrad der Spiele, so erzählte der zurückgezogene Entwicklerstar in einem Interview, sei kein Selbstzweck, sondern solle die Spieler*Innen zum aufmerksamen Lernen führen und vor allem die Wertschätzung für ihre Entdeckungen und Leistungen im Spiel steigern; ein letztlich typisch fernöstlich-philosophischer, pädagogischer Ansatz, der sich von simplem "Ist es zu stark, bist du zu schwach" oder gar Lust am eigenen Schmerz unterscheidet. Von außen mag es allerdings so aussehen, als habe dieser pädagogische Ansatz versagt: Wer in Foren und Social Media seinen Frustration äußert, bekommt nicht selten ein höhnisches "git gud" ("werd besser") als wenig hilfreichen Ratschlag zu hören.

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Sich selbst zu besiegen

Dabei ist es schade, dass sich durch diese durchaus unsympathische Außenwerbung viele abgeschreckt fühlen, die meinen, nur die Schnellsten, Besten, Härtesten hätten hier etwas verloren. Im Gegenteil: Anders als bei vielen anderen Spielen, die sich besonderer Schwierigkeit rühmen, braucht man für die Spiele von From Software hauptsächlich Disziplin und Achtsamkeit. Wer sich konzentriert vorantastet, keine unnötigen Risiken eingeht und aus den gegebenen Hinweisen lernt, muss keine übermenschlichen Skills oder auch nur besondere Geschicklichkeit am Controller beweisen – und auch Masochismus ist keine Bedingung.

Die Herausforderung liegt eher darin, seine Ungeduld, seine Unkonzentriertheit, seine Faulheit und seinen Zorn zu disziplinieren – so gesehen bieten "schwere Spiele" wie jene von From Software eigentlich die Möglichkeit, sich selbst zu besiegen. Ob ich das von meinem Spielerlebnis will oder aber "nur" Unterhaltung, die mir ohne besondere Anstrengung vielleicht sogar das Gefühl gibt, der Schnellste, Beste, Stärkste zu sein, der mühelos mit allen Gegnern aufräumt, ist letztlich Geschmackssache. Oder aber eine Frage der Situation: Nach einem harten Tag habe ich auch absolut nichts dagegen, mich in einem einfacheren Shooter einfach zu entspannen und mich allmächtig zu fühlen.

In schweren Spielen wie Sekiro mit ihren strengen, aber fairen Herausforderungen, ihren bitteren Niederlagen und dadurch umso süßeren Triumphen warten aber andere Reize. Hinfallen, aufstehen, durchatmen. Nochmal versuchen. So mach ich das dann auch. Eine Verschnaufpause später betrete ich wieder den Raum mit dem Ashina-Samurai. Tief durchatmen. Konzentration. Auf ein Neues. (Rainer Sigl, 30.3.2019)