Das erste Jahrzehnt der 2000er war das Jahrzehnt der Digitalkameras. Sie machten rapide Fortschritte und lösten analoge System als Standard für Fotografie ab. Auch die ersten Smartphones änderten daran zuerst noch nicht viel, waren deren integrierte Fotomodule zu Beginn mit ihrer niedrigen Auflösung und der schwachen Bildqualität kaum mehr als eine Notfalllösung. Doch auch hier machte die Technik Fortschritte, und die Handyhersteller entdeckten, dass eine gute Kamera für viele Konsumenten ein entscheidender Kaufgrund ist.

Mittlerweile ist es bei normalen Fotos eigentlich kaum noch möglich, zwischen einem guten Smartphone und einer üblichen kompakten Digitalkamera zu unterscheiden. Weswegen es auch nicht überraschend ist, dass die Verkäufe letzterer in den vergangenen Jahren dramatisch gefallen sind. Doch einen Vorteil haben sie immer noch: Selbst günstige Modelle bringen einen optischen Zoom mit. Nun drohen sie aber auch ihr letztes Ass im Ärmel zu verlieren. Huawei hat mit dem P30 Pro ein neues Smartphone-Flaggschiff vorgestellt, das zehnfachen Zoom mitbringt. DER STANDARD hat das Handy getestet.

Foto: STANDARD/Pichler

Hübsch, rutschig und mit nervigem Rand

158 x 73,4 x 8,4 Millimeter misst es. Das P30 Pro ist zwar ein schlankes, aber definitiv kein kleines und mit 192 Gramm auch ein eher schweres Smartphone. Das zeigt auch die Displaydiagonale von 6,5 Zoll. Designtechnisch hat sich zum Vorgänger auch etwas getan. Der untere Rand wurde verschmälert, denn der vormals dort untergebrachte Fingerabdruckscanner sitzt nun unter dem Display. Der Notch am oberen Rand wurde auf das "Tropfen"-Format verkleinert, und an den Seiten ist der Bildschirm nun nach unten gebogen, wie man es von Samsung-Handys seit den Galaxy-Edge-Modellen kennt.

Ergonomisch sind größere Handys von Vorteil, wobei es grundsätzlich nicht möglich ist, obere Bereiche des Displays ohne Fingerakrobatik zu erreichen. Lindern lässt sich das Problem aber etwas durch den Einhandmodus des auf Android 9 basierenden EMUI-Systems. Die Abgerundeten Kanten sind eine eher schwer nachvollziehbare Änderung, denn neben höherer Schadensgefahr bei einem Absturz des Gerätes waren sie während des Tests auch immer wieder Ursache für versehentliche Fehleingaben.

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Das Gehäuse aus Metall und Glas ist sehr gut verarbeitet und das Handy entspricht optisch auch seiner Preisausschilderung von 900 Euro. Die Rückseite ist allerdings ein Magnet für Fingerabdrücke und derart glatt, dass das P30 Pro trotz des leicht hervorstehenden Kameramoduls gerne auf Wanderschaft gen Abgrund geht, wenn es auf einer nicht komplett planen Oberfläche liegt.

Gute Performance

Unter der glänzenden Hülle versteckt sich der von Huawei selbst entwickelte Kirin 980-Chip, der für gute Performance bürgen soll. Man kennt ihn bereits vom Mate 20 und Honor View 20. Und wie auch schon aus damaliger Erfahrung kann man sagen: Er tut, was er soll. In Benchmarks liegt in etwa auf dem Level von Qualcomms Vorjahresflaggschiff Snapdragon 845.

In der Praxis stemmt er Multitasking und auch grafisch aufwändige Games ohne große Mühen. Je nach Modell stehen ihm 6 oder 8 GB RAM zur Seite. Beim Onboardspeicher kann zwischen 128, 256 und 512 GB gewählt werden. Optional ist eine Erweiterung möglich, wenn man sich dafür eine Speicherkarte von Huaweis proprietärem "Nano Memory"-Format anschaffen will.

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Der OLED-Bildschirm löst mit 2.340 x 1.080 Pixel auf, wobei das Betriebssystem situationsspezifisch auch niedrigere Ausflösungen nutzen kann, was potenziell Leistungsreserven freimacht und den Akku schonen kann. Die Darstellungsqualität ist hervorragend. Farben sind kräftig, die Kontraste stark. Es lassen sich darauf auch HDR10-Inhalte wiedergeben, was Filmfreunde freuen sollte.

Bei den restlichen Spezifikationen ist man mit dem P30 Pro auch up to date. Das Handy beherrscht LTE, ac-WLAN, Bluetooth 5.0 und NFC. Ein Infrarot-Modul ermöglicht es auch, das Gerät per App zu einer Universalfernbedienung zu machen. Datenübertragung per Kabel und das Aufladen des Akkus funktioniert über einen USB 3.1-Anschluss des Typs C. Auch drahtloses Laden wird mit bis zu 15 Watt unterstützt. Nicht dabei ist allerdings eine 3,5mm-Klinke für traditionelle Kopfhörer. Wie schon im Vorjahr ist dieses Feature seltsamerweise dem günstigeren P30 (ohne "Pro") vorbehalten, das dafür auf den erweiterten Zoom verzichten muss.

Foto: STANDARD/Pichler

Android im iOS-Gewand

Über EMUI muss man auch nicht mehr allzu viel sagen. Huawei hat Android in weiten Teilen angepasst und sich dabei offensichtlich an iOS orientiert. Dadurch ergeben sich nicht nur klare optische Unterschiede. Das Einstellungsmenü ist als Folge der Entscheidung einigermaßen konfus, verfügt aber zumindest über eine Suchfunktion. Allerdings ist auch so manches nette Zusatzfeature dabei, etwa der schon erwähnte Einhandmodus. Und an der Optimierung hat man in den vergangenen Jahren gut gearbeitet, man hat nicht mehr den Eindruck, das System würde das Handy ausbremsen.

Wozu Huawei eigene Alternativen zu gängigen Apps – etwa einen eigenen Browser zusätzlich zum vorinstallierten Chrome – installiert, erschließt sich allerdings nicht. Diese sind Googles Pendants unterlegen und im Play Store gibt es auch sonst eine Reihe von Alternativen.

Foto: STANDARD/Pichler

Kamera mit starkem Supermakro

Das Herzstück des Smartphones ist natürlich die Kamera. Gleich vier Sensoren bilden das Hauptmodul. Eine klassische 40-MP-Kamera mit Weitwinkelobjektiv, eine 20-MP-Ultraweitwinkelkamera sowie eine nach dem Periskopprinzip gebaute Telefoto-Kamera mit 8 MP, die nativ über fünffachen optischen Zoom verfügen soll. Zur Tiefenerkennung ist ein Time-of-Flight-Sensor integriert, der Infrarotlicht-Reflektionen misst. In Kombination wird außerdem ein zehnfacher Hybrid-Zoom realisiert. Gestützt ist das Setup von optischer Bildstabilisierung. Die Kamera-App bringt zahlreiche Features mit. Im "Pro"-Modus können alle Einstellungen manuell geregelt werden. Auch Aufnahmen im RAW-Format für umfassende Nachbearbeitung sind möglich.

Unter Tag misst sich das P30 Pro auf Augenhöhe mit Samsung und Co. und bringt dabei die Huawei-typischen Stärken und Schwächen mit. So ist die Farbdarstellung üblicherweise gut und auch mit starken Lichtkontrasten in einer Szene geht das P30 Pro souverän um. Die softwareseitige Nachschärfung ist allerdings recht aggressiv. Das sorgt zwar dafür, dass Bilder selten verschwommen aussehen, dafür schadet dies aber öfter auch kleineren Hintergrunddetails oder sorgt für unnatürlich wirkende Umrandungen.

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Absolut beeindruckend ist der Supermakromodus, der es ermöglicht, Detailfotos von Motiven zu machen, die sich nur wenige Zentimeter entfernt befinden. Derlei kurze Aufnahmedistanzen haben bisher nur sehr wenige Smartphones geboten. Hier liefert die Kamera viele Details und auch die Abgrenzung zwischen Vorder- und Hintergrund für die Erzeugung künstlicher Tiefenunschärfe funktioniert gut.

Zehnfachzoom als echter Fortschritt

Auch der Zoom erweist sich als echter Fortschritt in Sachen Smartphone-Fotografie. Die fünffache Vergrößerung steht den meisten Kompaktkameras wenig nach. Erst wenn man Bildausschnitte genauer betrachtet, fällt auf dass kleinere Strukturen nicht mehr scharf eingefangen werden. Bei bewegten Elementen im Bild, beispielsweise herumspazierenden Menschen, verschwinden ebenfalls viele Details.

Bei der Verwendung des Zooms zeigt sich zudem, dass die dafür genutzten Kamerasensoren eine etwas blassere Farbwiedergabe aufweisen. Der Fünffach-Zoom dürfte sich zudem nicht vollständig auf die Periskopkamera verlassen. Denn während die Auflösung ihres Sensors mit 8 MP angegeben wird, kommen die finalen Fotos auf knapp 10 MP (3.648 x 2.736 Pixel).

Foto: STANDARD/Pichler

Die Unterschiede zwischen einem weitestgehend nur über Optik realisierten und durch "Softwaremagie" realisierten Zoom werden beim Modus für zehnfache Vergrößerung jedoch offensichtlich. Sofern man mit der Kamera keine größeren Einzelmotive, etwa den Dachteil eines Gebäudes anvisiert, sondern eine komplexere Szene, so stellt man infolge erheblichen Detailverlust fest. Zudem wirken Fotos in maximaler Vergrößerung tendenziell etwas unscharf. Für Social Media Postings reichen die Resultate wohl immer noch, Poster sollte man damit aber eher nicht ausdrucken lassen.

Die Kritik ist aber gar nicht so vernichtend gemeint, wie sie sich vielleicht liest. Denn andere Handys erreichen diesen Zoomfaktor ausschließlich über konventionelle Vergrößerungsalgorithmen. Diese können auf diesem Level aber maximal Pixel schön aufblasen, die Resultate sehen dementsprechend mehr nach abstrakter Kunst, denn nach einem Foto aus. Damit verglichen ist der Superzoom des P30 Pro eine erhebliche Verbesserung und wohl ein Hinweis darauf, wohin die Reise weiter geht.

Starker Nachtmodus

Stark ist auch der Nachtmodus der Kamera. Seit dieser Generation funktioniert dieser KI-unterstützt auch ohne, dass man ein Stativ nutzen oder das Handy wo anlehnen muss, wie es zuvor der Fall war. Er kann sich mit dem Nachtmodus der Google-Kamera-App auf den Pixel-Smartphones matchen. Ein direkter Vergleich war nicht möglich, gefühlt liefert er aber mitunter sogar bessere Ergebnisse.

Foto: STANDARD/Pichler

Erwähnenswert ist, dass auch die höheren Zoomstufen in diesem Modus zur Verfügung stehen. Wirklich brauchbar geraten die Fotos mit Zehnfachvergrößerung damit aber in städtischem Umfeld – also mit zahlreichen Lichtern – nicht. Hier sorgt die Mischung aus ohnehin schon verringertem Detailgrad, den Lichtbedingungen und dem Postprocessing für verrauschten Pixelmatsch, der von einer Szene nicht mehr sehr viel übrig lässt, als eine sehr grobe Abbildung.

Die Frontkamera (32 MP) arbeitet brav, kommt aber trotz HDR-Support mit größeren Kontastunterschieden nur mäßig gut zurecht, weswegen der Himmel schon einmal gern ausgebleicht wird. Sie liefert auch merkbar weniger intensive Farben als die Hauptkamera. Bei der Kamera-App mit dabei sind wieder allerlei Filter und andere Spielereien.

Mono-Sound und starker Akku

Akustisch ist das P30 Pro ein etwas zweischneidiges Schwert. Weil man zugunsten des schmaleren Notch den Ohrhörer gestrichen hat, gibt es ausschließlich Mono-Sound über den Lautsprecher an der Unterseite. Der klingt für ein Smartphone ausreichend laut und in Sachen Klangqualität okay. Wunder vollbringt er aber keine. Die Anrufakustik scheint unter dem Wechsel von Lautsprecher auf Knochenschall über das Display nicht gelitten zu haben. Sie entspricht in etwa dem Honor View 20. Das Gegenüber hört sich teilweise etwas dumpf und verzerrt, aber dennoch verständlich an. Man selbst ist gut verständlich.

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Der Akku wurde im Vergleich zum Vorgänger geringfügig auf 4.200 mAh vergrößert. Auch unter intensiver Nutzung (Kamera, Pokémon Go, Benchmarks) bricht der Ladestand nicht rapide ein. Soweit sich im Laufe der Testzeit beobachten ließ, kommt man mit einer vollen Aufladung in praktisch jedem Szenario gut über den Tag und zumindest den folgenden Vormittag.

Wer nur gelegentlich zum Handy greift oder die verfügbaren Energiespardmodi nutzt, kann wohl deutlich mehr Zeit herausholen. Mit dem beiliegenden Ladegerät lässt sich auch schnell nachtanken, 70 Prozent in 30 Minuten werden versprochen – was allerdings aus chemischen Gründen nur gehalten wird, wenn der Akku vorher bis zur Ausschaltung strapaziert wurde.

Fazit

Das Huawei P30 Pro ist Premium-Smartphone mit guter Verarbeitung aber rutschiger Rückseite und gebogenen Displaykanten, die schon einmal zu ungewollten Eingaben führen. Aus beiden Gründen (und wohl auch, weil 900 Euro nicht gerade wenig Geld sind) ist daher die Verwendung einer Schutzhülle anzuraten. Bei der restlichen Hardware gibt man sich keine Blöße. Performancetechnisch spielt das Handy gut mit, das Display liefert schöne Darstellung und die Akustik ist solide, wenn auch nicht umwerfend. Die Akustik ist solide, der Akku hält lang durch.

Bei der Kamera liefert Huawei allerdings. Neben sehr guten Aufnahmen unter verschiedenen Lichtbedingungen sind der Fünffach- und Zehnfachzoom ein bedeutender Fortschritt in der Smartphonefotografie. Einer, der in künftigen, verbesserten Generationen den Kompaktkameras wohl den endgültigen Todesstoß versetzen wird. In der derzeitigen Ausführung sieht der Fünffachzoom bereits recht gut aus, die zehnfache Vergrößerung leidet aber klar noch an den Schwächen eines Hybridsystems aus optischer Vergrößerung und softwaregestützter Nachbereitung. Dennoch fallen die Resultate deutlich besser aus, als sie der Digitalzoom anderer Smartphones liefern würde.

Mit einem Preis von ab 900 Euro liegt man allerdings auf einem Niveau unweit von Apple und Samsung. Wer ohnehin gerade ein neues Highendhandy mit guter Kamera sucht und diesen Preisbereich nicht ausschließt, trifft mit dem P30 Pro eine gute Wahl. (Georg Pichler, 01.04.2019)

Testfotos

Bitte zur Ansicht des Originals auf die Bildbeschreibung klicken. Fotos, deren Beschreibung mit einem Stern (*) markiert ist, wurden vor der Installation eines Firmwareupdates aufgenommen, das nicht näher spezifizierte Kameraverbesserungen beinhaltete.

Tageslicht*
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Tageslicht, 5x-Zoom*
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Tageslicht, 10x-Zoom*
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Supermakro, gemischte Lichtsituation*
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Supermakro, Tageslicht*
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Kunstlicht*
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Supermakro, Tageslicht*
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Tageslicht*
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Tageslicht, 5x-Zoom*
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Tageslicht, 10x-Zoom*
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Nachtmodus*
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Tageslicht





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Tageslicht, Porträtmodus
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Tageslicht, Dog-Content
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Tageslicht
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Tageslicht, 5x-Zoom
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Tageslicht, 10x-Zoom
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Tageslicht, 5x-Zoom
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Tageslicht, Supermakro
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Tageslicht
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Tageslicht, Porträtmodus
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Nachtmodus
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Nachtmodus, 10x-Zoom
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