Gerade dort, wo die Gesundheit von Sportlern besonders betroffen ist, also im Breiten- oder Freizeitsport, greifen die Antidopingregeln nicht.

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Der jüngste Dopingskandal, der sich inzwischen auf Athleten aus acht Nationen ausgeweitet hat, wirft angesichts der rigorosen Strafdrohungen einige Grundsatzfragen auf, was die Rechte der betroffenen Spitzensportler und die Schutzfunktion für Freizeitsportler betrifft.

Es gibt einen breiten Konsens darüber, dass Doping ethisch und rechtlich verpönt ist, und daher im Falle der Überführung die Verurteilung wegen schweren Betrugs sowie harte Sanktionen gerechtfertigt sind. Meist zieht ein Dopingfall eine Dauersperre durch die Antidopingrechtskommission sowie die Bekanntgabe der Identität nach sich, und auch sonst hat die Überführung eines Dopingsünders schwerwiegende Konsequenzen.

Häufig ist bereits mit der Aufdeckung und Führung als Beschuldigter, also noch vor einer Verurteilung, der Verlust der wirtschaftlichen Existenz verbunden. Sponsoren springen ab, eine bereits begonnene Ausbildung im öffentlichen Dienst muss beendet werden, weder Heeres- noch Polizeisport dulden in ihren Reihen Sportler, die nachweislich gedopt haben.

Nur wenige von ihnen finden ein neues, wirtschaftlich tragfähiges Standbein, etwa im Sportartikelhandel oder -management. Denn die Punzierung als Dopingsünder wirkt lange nach.

Lückenlose Kontrollen

Aus praktischer Sicht ist das Antidopingsystem im Spitzensport ein Erfolg. Die Kontrollen werden lückenlos durchgeführt, die meisten Tests funktionieren, und die Sanktionen schrecken ab. Ein engmaschiges Netz bewirkt zudem, dass auf Dopingsünder Druck entsteht, sich nötigenfalls zu stellen, bevor die Ermittlungen Fahrt aufnehmen.

Doch sowohl aus EU-rechtlicher Sicht als auch aus Sicht der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) stellt sich die Frage, auf welche öffentlichen Interessen das Antidopingregulativ der Wada und der nationalen Verbände sowie die österreichischen Regeln in den Sportgesetzen der Länder und im Antidopingbundesgesetz stützen können.

Der Europäische Gerichtshof hat mehrfach klargestellt, dass Antidopingregeln unter die Anwendbarkeit des EU-Rechts fallen, weil sportliche und wirtschaftliche Aktivitäten heute nahezu untrennbar verbunden sind.

Antidopingregeln sind laut EuGH keine mit dem gemeinsamen Markt unvereinbaren Beschränkungen (18.7.2006, C-519/04, Rs Meca-Medina und Majcen). Sie sind gerechtfertigt, weil sie a) dem Ziel eines fairen Ablaufs der Sportwettkämpfe, b) zugleich der Chancengleichheit der Sportler, ihrer Gesundheit und c) der Ehrlichkeit und Objektivität des Wettkampfs sowie d) der ethischen Werte des Sports dienen.

Gesundheitsschutz als Ziel

Ähnlich wie der EuGH urteilte aber auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der die Vereinbarkeit von strikten, täglichen Zeitfenstern mit dem in Art 8 EMRK verankerten Menschenrecht auf Schutz des Privat- und Familienlebens prüfen musste. Der EGMR hält die ständige Prüfung von Athleten in einer Referenzgruppe für zulässig und rechtfertigt diese Eingriffe mit dem Gesundheitsschutz junger Sportler.

Obwohl das Urteil des EGMR vom 18.1.2018 (FNASS/F, Nr. 48151/11 und 77769/13) stringent begründet, dass weitgehende Eingriffe in die Privatsphäre der Athleten zum Zweck der Dopingverfolgung rechtens sind, kann dieses Ziel hinterfragt werden.

Fragwürdige Vorbildwirkung

Rechtsexperten haben darauf hingewiesen, dass die Berufung auf den Gesundheitsschutz problematisch sein kann. Denn gerade dort, wo die Gesundheit von Sportlern besonders betroffen ist, also im Breiten- oder Freizeitsport, greifen die Antidopingregeln nicht. Es bedarf demnach des Umwegs über die Vorbildfunktion von Spitzenathleten, um die Eingriffe in deren Grundrechtssphäre zu rechtfertigen.

Ob sich ein Wettkampfsportler mit Doping auch gesundheitlich selbst schadet, ist dagegen zweitrangig, wie es auch der EGMR andeutete. Die Topathleten werden aus Sorge verfolgt, dass sich auch Kraftsportfans, Bodybuilder, Marathonteilnehmer oder Triathleten einer Epo-Behandlung, Anabolikadoping oder sogar einer Eigenblutbehandlung unterziehen.

Doch bewirken die rigorosen Verfolgungsmaßnahmen von Doping im Leistungssport auch ein Umdenken im privaten Sektor? Folgt man glaubwürdigen Aussagen aus der Kraftsportszene und empirischen Untersuchungen, so muss deren generalpräventive Wirkung auf die Bevölkerung bezweifelt werden.

Angesichts der Härte, mit der gegen Athleten vorgegangen wird, ist es verwunderlich, dass nur wenige Aspekte von den Gerichten ausjudiziert wurden. Juristische Probleme gibt es auf dem Sektor nicht wenige: Dopingsperren sind zwar "Strafen" im Sinne des Artikels 6 EMRK, aber kein Strafrecht im kompetenzrechtlichen Sinn.

Verankerung in der Bundesverfassung

Ein Ausweg aus der vermutlich bald einmal beim Verfassungsgerichtshof virulent werdenden Kompetenzfrage wäre, das allgemein anerkannte Ziel des fairen, dopingfreien Sports in der Bundesverfassung zu verankern und zugleich eine eigene Kompetenzgrundlage für das Antidopingbundesrecht zu verankern.

Eine solche Verfassungsnovelle, für die Konsens bestünde, könnte mehrere Vorteile bei der Auslegung einfachen Rechts mit sich bringen, da sie auch die sensiblen Eingriffe klarer rechtfertigt und in der Abwägung zwischen Eingriffen in Grundrechtspositionen und dem gesetzgeberischen Ziel eines sauberen, dopingfreien Sports Argumente liefern könnte.

Zudem wäre dann wohl auch der Weg frei, den Sektor des Freizeit- und Breitensports juristisch besser in den Griff zu bekommen und zum Beispiel auch Fitnesscenter oder Veranstalter von Sportevents in die Pflicht zu nehmen, an der Dopingprävention mitzuwirken. Immerhin gibt es in diesem Bereich bereits jetzt freiwillige Selbstverpflichtungen und Fairness-Regulative. (Gerhard Strejcek, 1.4.2019)