Vignette: Oliver Schopf

Dafür, dass Schrödingers Katze auf ein äußerst schwieriges Problem der Quantenphysik hinweist, hat es das Tier in der Kiste zu einiger Berühmtheit gebracht. Selbst so mancher Politiker oder Kabarettist scheut nicht davor zurück, die Katze, die zugleich tot und lebendig ist, auf die eine oder andere Weise zu vereinnahmen.

Es gibt aber noch eine andere Analogie, die danach trachtet, die mysteriösen Prinzipien der Quantenphysik in der Alltagswelt zu verdeutlichen. So wie Schrödingers Katze wurde sie in der Schweiz erdacht und hat Wiener Wurzeln: Bertlmanns Socken. Im Gegensatz zur Katze beruht ihre Geschichte auf einer wahren Begebenheit. Völlig zu Unrecht sind sie außerhalb von Fachkreisen ziemlich unbekannt. Dabei bergen Bertlmanns Socken ein fundamentales physikalisches Geheimnis.

Worum geht es also? Zeit ihres Lebens verband die Physikkapazunder Niels Bohr und Albert Einstein eine Lieblingsstreitfrage: Ist die Quantenphysik eine vollständige Theorie oder muss sie um weitere Parameter ergänzt werden, damit sie die Natur adäquat beschreiben kann? Während Bohr auf der Vollständigkeit der Theorie beharrte, war Einstein vom Gegenteil überzeugt. Jahrzehntelang gingen Physiker davon aus, dass es sich dabei um eine rein philosophische Frage handelt. Doch 1964 schlug der irische Physiker John Bell ein Experiment vor, durch das der Streit entschieden werden konnte – zugunsten von Bohr.

Trotz dieses wegweisenden Resultats schenkte die Community Bells Vorstoß nur zaghaft Aufmerksamkeit. Anfang der 1980er-Jahre widmete Bell der Angelegenheit einen Aufsatz, der dank knackigen Titels und einer Handzeichnung eine größere Öffentlichkeit erreichen sollte. Als Inspirationsquelle diente ihm sein österreichischer Mitarbeiter am Kernforschungszentrum Cern, der damals wie heute eine auffällige modische Angewohnheit besitzt: Reinhold Bertlmann trägt stets Socken mit unterschiedlichen Farben.

Im Aufsatz "Bertlmann's Socks and the Nature of Reality" nutzte Bell die verschiedenfarbigen Socken, um das Prinzip der quantenmechanischen Verschränkung zu erläutern. Sieht man Bertlmann um die Ecke kommen und entdeckt dabei einen pinken Socken, weiß man sofort, dass der andere Socken nicht pink ist – noch bevor man diesen erspäht hat.

Langjährige Beobachtungen an der Universität Wien, wo Professor Bertlmann bis heute tätig ist, haben gezeigt, dass Bell ein wenig damit übertrieben hat, dass einer von seinen Socken immer pink ist, der andere nicht. Manchmal sind die Farbkombinationen auch orange und grün, rot und blau oder andere mehr oder weniger komplementäre Farben. Das tut der Physik dahinter allerdings keinen Abbruch.

Bei Teilchen funktioniert die Verschränkung heute bereits über weite Distanzen. Sie ist zudem die wesentliche Zutat für neue Anwendungen der Quantenphysik wie Quantenkryptografie oder Quantencomputer. Bertlmanns Socken haben demnach das Zeug dazu, unseren Alltag grundlegend zu revolutionieren. Denken Sie daran, wenn Sie das nächste Mal in der morgendlichen Hektik kein passendes Paar Socken finden. (Tanja Traxler, 1. 4. 2019)