Erst ein paar Monate ist es her, dass die mittlerweile berüchtigte Studie "Buchkäufer – quo vadis?" ihren Weg an die Öffentlichkeit fand. Das vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels in Auftrag gegebene Papier förderte wenig Erkleckliches zutage, nämlich dass der Buchmarkt in den letzten fünf Jahren mehr als sechs Millionen Käufer verlor. Die Lösungsvorschläge, die man sich daraufhin zur Rückgewinnung der "Buchabwanderer" (zu Netflix oder in die sozialen Medien?) beim Börsenverein ausdachte, nahmen sich zunächst wie ein Teil des Problems aus, das man zu lösen trachtete. Vom Beachclub in der Buchhandlung war etwa die Rede oder vom Speeddating zu Bücherthemen bis hin zu Buchpremieren in Justizvollzugsanstalten.

Sachbuch-Bestseller 2018: Michelle Obamas faszinierende Autobiografie, Yuval Noah Hararis welterklärende Menschheitsgeschichte und der Medizinratgeber "Der Jungzelleneffekt".
Foto: Goldmann, Edition A, DVA

Doch zum Glück ist die Leserschaft, was ihr Verhalten betrifft, nicht nur ein Buch mit sieben Siegeln, sie scheint auch immer wieder für Überraschungen gut zu sein. So konnte der Börsenverein jüngst bei der Leipziger Buchmesse Positives vermelden. Erstmals seit 2012 ist die Zahl der Buchkäufer 2018 gestiegen (um 300.000) und auch heuer laufen die Geschäfte gut, in den ersten zwei Monaten stieg der Umsatz um 4,5 Prozent. Insbesondere das Sachbuchsegment legte um 13,7 Prozent zu. Eine ähnliche Tendenz zeigten schon die Jahresergebnisse für 2018, die der Hauptverband des Österreichischen Buchhandels in der ersten Ausgabe seines Anzeigers im Jänner publizierte. Hierzulande konnten trotz eines leicht sinkenden Gesamtumsatzes (minus 1,15 Prozent) die Sachbücher um sechs Prozent zulegen.

Neue Unübersichtlichkeit

Das ist insofern erstaunlich, als man der Warengruppe Sachbücher, die sich auf populäre Art mit Wissensthemen befassen, noch vor einigen Jahren eine düstere Zukunft prophezeite. Wie den Ratgebern (plus 5,4 Prozent) auch, Letztere richten sich an eine spezielle Zielgruppe, die zu einem konkreten Thema Rat sucht. Als Hauptkonkurrent gilt das Internet, in dessen unendlichen Weiten sich jede Menge Information und vermeintlicher Rat finden lässt, falls das Baby nicht schlafen will, der Weihnachtsspeck wegmuss, oder der Nachbar deppert ist.

Dass speziell das Sachbuch boomt, mag auch mit den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen in einer Welt zu tun haben, die schnelllebig und unübersichtlich geworden ist. Jo Lendle, seit vier Jahren Verleger des Hanser-Verlages, kündigte schon 2017 in einem Interview an, die Sachbuchschiene ausbauen zu wollen. Die Themen, so Lendle, lägen gegenwärtig auf der Straße herum: "Andererseits glaube ich schon an ein gesteigertes Interesse an fundierter Information (...). Wir haben zwar in Deutschland in den vergangenen Jahren auch gesehen, dass man mit populistischen Büchern in der Breite viele Freunde findet. Unsere Aufgabe sehe ich eher anderswo. Wir haben Bedarf an Hintergründen, an Denkherausforderungen", so der Verleger.

Oder anders gesagt: Sachbücher punkten bei einem Publikum, dem ein paar Seiten Internetrecherche nicht ausreichen und das sich gern ausgiebig mit einem Thema beschäftigt – oder mit anderen Leben. Denn zu den am besten verkauften Sachbüchern gehören immer noch Biografien (wie zuletzt von Napoleon, Leonardo da Vinci) sowie Autobiografien. Zum Beispiel Becoming von Michelle Obama. Das Buch der ehemaligen First Lady startete im November 2018 mit einer Startauflage von 200.000 Exemplaren, die nach einer Woche vergriffen war. Seither findet es sich in Deutschland und Österreich auf den Sachbuch- und Bestsellerlisten.

Inspirierende Frauen

Allerdings ahnt die Buchbranche, was Äsop schon wusste: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Doch obwohl niemand so begeistert Kassandra-Gesänge anstimmt wie die Büchermacher, ist die Stimmung heiter. Nicht nur in Deutschland. Auch an der London Book Fair (12.-14. März), die mit der Frankfurter Buchmesse zu den wichtigsten Branchentreffpunkten zählt, gab man sich zuversichtlich. Besonders gut entwickelt sich auf der Insel der Sachbuchmarkt für Kinder und Jugendliche. Er wuchs um zehn Prozent. Sehr beliebt sind Bücher über inspirierende Frauen, Marie Curie etwa, die Flugpionierin Amelia Earhart oder Coco Chanel.

Frauen zwischen 15 und 34 Jahren sind mittlerweile die wichtigste Käufergruppe Britanniens, dessen Verlage und Buchhandlungen harte Zeiten hinter sich haben. Besonders stark wachse auch das Segment der über 35-Jährigen, gab Jacks Thomas, Direktorin der Londoner Buchmesse, der Zeitung Die Welt zu Protokoll. Es handle sich dabei um die Harry-Potter-Generation, so Thomas, "die jetzt selbst Kinder hat und diese ans Lesen heranführt". Die Warengruppe Kinder- und Jugendbuch ist letztens auch in Deutschland (plus 5,9 Prozent) und Österreich (plus 3,9 Prozent) gestiegen. Nicht das schlechteste Zeichen. (Stefan Gmünder, 2.4.2019)